WM

Bachramow und die Gefallenen

Deutschland steht bei der WM 2014 in Brasilien zum achten Mal im Endspiel
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1966: England - Deutschland 4:2 n.V.

Am Schluss reichte es nicht. Die Deutschen mussten sich geschlagen geben. Hoffnungen hatte man sich gemacht, doch gegen diese Engländer - vergeblich. 34:27 hieß es am Ende. Der FIFA-Kongress hatte 1960 in Rom abgestimmt: Die WM sechs Jahre später wird nach England gehen und nicht nach Deutschland.

Ob es bereits ein Omen für das war, was am 30. Juli 1966 im Wembley-Stadion folgen sollte? Auf jeden Fall ist es eine der vielen Geschichten der WM im Mutterland des Fußballs, die fast niemand kennt.

Vielleicht weiß man von der WM 1966, dass Ken Aston an einer Kreuzung an der Kensington High Street die Gelben und Roten Karten erfand. Doch wer weiß schon vom 1:0 Nordkoreas gegen Italien - einem der größten Sensationssiege der WM-Geschichte. Davon, dass der Lufthansa-Kapitän der deutschen Nationalmannschaft im Landeanflug über dem Wembley-Stadion eine Durchsage machte: "Hier möchten wir sie spielen sehen." Oder, dass der WM-Pokal im März 1966 gestohlen - und von einem Hund namens "Pickles" in einer Hecke versteckt wiedergefunden wurde.

Doch das alles und viel mehr rückte in den Schatten einer der größten Fehlentscheidungen in der Geschichte des Weltfußballs. Das Tor, das "das meistdiskutierte der Fußball-Geschichte bleiben wird", wie der italienische "Corriere della Sera" schon damals wusste.

Auch vom Endspiel im Wembley-Stadion vor 96.924 Zuschauern und der Queen blieb nicht viel anderes in Erinnerung. Die fatale Entscheidung, den neuen Stern am deutschen Fußballhimmel Franz Beckenbauer als Bobby Charltons Leibwächter einzusetzen? Makulatur. Dass bei Geoff Hursts entscheidendem 4:2 in der Nachspielzeit der Verlängerung schon jubelnde Fans auf dem Rasen waren? Nicht mal eine Randnotiz.

Doch die 101. Minute, die kennt jeder. Flanke von rechts. Hurst nimmt den Ball sechs Meter vor dem Tor an. Dreht sich nach links. Schießt im Fallen. Der Ball donnert gegen die Unterkante der Latte, kommt auf der Linie auf und springt wieder ins Feld.

Die Engländer jubeln, und hätte Wolfgang Weber den Ball nicht ins Aus, sondern zurück ins Spielfeld geköpft, Schiedsrichter Gottfried Dienst hätte wohl einfach weiterspielen lassen. Doch so bekam sein Assistent Tefik Bachramow aus der Sowjetunion seinen großen Auftritt.

Hatte er das Tor gesehen? Die Szene, die das WM-Finale entschied? Keineswegs. "Natürlich habe auch ich nicht gesehen, dass der Ball hinter der Linie war. Doch aus den Reaktionen der Spieler schloss ich, dass es wohl ein Tor gewesen war." Später soll der Linienrichter auch noch Folgendes von sich gegeben haben: "Als ich die Fahne hob, dachte ich an alle sowjetischen Gefallenen und das Leid des Zweiten Weltkriegs."