Inter: Mehr als Thohirs Spielzeug

Von Philipp Böhl
Ein Zeichen des Optimismus? Erick Thohir posiert neben dem Champions-League-Pokal
© getty

Seit gut einem Jahr ist Erick Thohir Präsident bei Inter Mailand. Viel bewegt hat der Indonesier in dieser Zeit auf den ersten Blick nicht. Von anfänglichen Erfolgen unter der Regentschaft das Indonesiers kann man aber dennoch sprechen - trotz der enormen Schulden, die der Verein zuletzt machte. Doch schon bald soll der Weg der Nerazzurri wieder an die Spitze Europas führen.

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Es ist rund vier Jahre her, da bekam Diego Milito im Estadio Santiago Bernabeu 35 Meter vor dem Tor einen Ball von Samuel Eto'o in den Fuß gespielt. Der Argentinier nahm auf dem linken Flügel Tempo auf. Kurze Körpertäuschung in die Mitte, von da den Ball wieder auf links gelegt und schon war er vorbei an Bayerns Daniel van Buyten. Der Abschluss gegen Hans-Jörg Butt war nur noch Formsache - 2:0 für Inter Mailand. Zwanzig Minuten später lagen sich die Spieler in den blau-schwarzen Trikots in den Armen und konnten ihr Glück an diesem Abend im Bernabeu kaum fassen. Der Gewinn der Champions League war der Höhepunkt eines Jahrzents, in dem Inter fünf nationale Meisterschaften holte.

Vier Jahre später. Inter Mailand überträgt auf seinem Vereinskanal ein Interview. Der Interviewpartner sitzt auf einem weißen Sessel, im Hintergrund ein großes Inter-Emblem. Mit zurückgegelten Haaren, schwarzem Anzug und schwarzem Polo-Shirt beantwortet der Asiate, zugeschaltet aus Jakarta, in gebrochenem Englisch die Fragen eines Mailänder Journalisten. Der Mann heißt Erick Thohir, ist neuer Präsident der Mailänder und bemüht sich, einerseits diplomatisch, aber auch gleichzeitig mutmachend zu antworten.

Wirklich offen geht er erst auf Fragen ein, wenn sie sich um die Zukunft des Klubs drehen. Die Rede ist dann von "neuen Märkten", "internationaler Zusammenarbeit" und einem "langfristigen Plan".

Problemzonen der Serie A

Thohir hat an diesem Punkt die Zeichen der Zeit erkannt. Der italienische Fußball ist nicht mehr das, was er vor Jahren noch war. Neben leeren Stadien und einer Meisterschaft, die schon Wochen vor Saisonende entschieden war, zeichnen sich etliche italienische Teams eher durch Schuldenberge als durch attraktiven Fußball aus.

So auch die Nerazzurri, die laut dem von Thohir eingestellten US-Manager Michael Bolingbroke "ein großer Brandherd" seien. Nicht überraschend kam da vor kurzem die Meldung, dass Inter einen Rekordverlust von 103 Millionen Euro machte.

Heute ist Thohir fast auf den Tag genau ein Jahr Präsident in Mailand - bahnbrechend viel verändert hat sich in dieser Zeit nicht. Wer erwartet hatte, dass Inter vom indonesischen Geschäftsmann, der auch Miteigentümer der Philadelphia 76ers ist, eine Millionenspritze erhalten würde, befand sich auf dem Holzweg. Viel eher ist Konsolidierung ein Stichwort, das die Machenschaften des 44-jährigen Sportfans beschreibt.

Und das ist auch nötig. Inter hat seit besagtem Champions-League-Titel in dieser einen Nacht in Madrid 2010 sechs Trainer verschlissen. Der Abstand auf den ersten Platz in der Serie A hat sich in diesem Zeitraum auf 42 Punkte erhöht. Teure Verträge, die besonders im Zeitraum um das Jahr 2010 abgeschlossen wurden, belasten das Budget des italienischen Klubs noch immer. "Wenn du obenauf bist, fühlst du dich zu komfortabel, wirst dick und faul. Dann kommt plötzlich eine andere Firma und es wird harte Arbeit, dagegen anzukämpfen. In unserem Fall sind es die Premier League und die Bundesliga", weiß Thohir. Dieses ökonomische Denken ist einerseits etwas, was Inter gebrauchen kann, kommt bei den leidenschaftlichen Tifosi allerdings nicht immer gut an.

Junge Talente statt teurer Routiniers

Diesen gelingt es schon seit Jahren nicht mehr, das Stadio Giuseppe Meazza zu füllen. Zwar hat Inter den höchsten Zuschauerschnitt der Serie A, dieser reicht aber dennoch nur aus, um 46.246 von 80.000 Plätzen im San Siro zu füllen. Auch aus diesem Grund ist Juventus Turin ein Vorbild von Thohir, der mit der Stadt Mailand bereits Gespräche über ein eigenes Stadion führte.

Langfristig solle sich diese Investition lohnen, behauptet der Vater von vier Kindern. Kontinuität soll einkehren, gleichzeitig soll aber auch nichts über Knie gebrochen werden. Bei Inter müssen Talente wieder gefördert werden, vor allem, nachdem etliche alteingesessene Spieler wie Esteban Cambiasso, Walter Samuel, Diego Milito, Christian Chivu und Javier Zanetti den Verein - hauptsächlich aus Kostengründen - verlassen mussten. Nur so sei langfristiger Erfolg möglich. "Priorität hat derzeit, die Verlängerung der Verträge von Icardi und Kovacic", antwortete Thohir vor kurzem, angesprochen auf mögliche Transfers. "Ich bin niemand, der panisch und undurchdacht Spieler verpflichtet. Planung ist essenziell." Dabei spielt er womöglich auf Inters Einkäufe der Vergangenheit an.

Spieler wie Ricky Alvarez, Alvaro Pereira oder Ishak Belfodil kosteten den Klub viel Geld, zählen heute aber allesamt nicht zur Stammelf oder sind schon weiterverkauft beziehungsweise verliehen worden.

In drei Jahren auf Europas Thron?

Es scheint, als hätte Thohir, der stets so kritisch beäugt wird, wirklich einen Plan. Zwei bis drei Jahre soll es dauern, bis Inter wieder an der Spitze Europas thront - ein optimistisches Unterfangen. Dass dafür neue Wege zu ergründen sind, ist klar. So sieht der Indonesier besonders in seiner Heimat große Möglichkeiten: In Anlehnung an die Global Games der NBA will er Inter im asiatischen Raum vermarkten, so wie es die Premier League bereits seit Jahren tut.

Ändert sich nichts in Italien, drohe der "Tod der Serie A". So widrig die aktuelle Lage ist, so groß seien die Chancen, die die Liga habe. Das Geld, das so eingenommen werden kann, könne man dann erst für Transfers verwenden - gemäß den Richtlinien des Financial Fair Play, auf die Thohir immer wieder eingeht, sofern er auf mögliche Investitionen aus eigener Tasche angesprochen wird.

Für Inter beginnt nun eine neue Zeitrechnung. Massimo Moratti zog sich komplett aus dem Verein zurück und beendete eine lange Ära. Der 69-Jährige verzichtete sogar auf die Ehrenpräsidentschaft. Zuletzt übte er dennoch Kritik an Trainer Walter Mazzari, nachdem Inter auch in dieser Saison schwach startete und nach zehn Spielen nur auf dem neunten Platz liegt.

Doch das lässt Thohir kalt: "Ich habe mehrfach betont, dass ich an unseren Trainer, das Team und das gesamte Projekt glaube". Vielleicht ist es gerade diese Konsequenz, die das "Projekt Inter" unbedingt braucht und die es in den letzten Jahren gänzlich vermissen ließ.

Grenzen des Kaders

Klar ist dabei aber auch eins: Aus dem vorhanden Kader ist nicht viel mehr zu machen, als aktuell gezeigt wird. Punktuelle Verstärkungen sollen dabei langfristigen Erfolg geben. "Im Sommer mussten wir unser Mittelfeld verstärken, also haben wir Gary Medel und Yann M'Vila verpflichtet. Neue Spieler müssen ins Team passen, sonst wäre es sinnlos, sie unter Vertrag zu nehmen." kommentierte der Asiate mit dem Dauergrinsen seine letzten Transferaktivitäten.

Gelungen ist es Thohir in seiner Amtszeit so bereits, den Kader zu verstärken, gleichzeitig aber auch kaum Geld auszugeben. Rund zwei Millionen Euro Transferminus machten die Mailänder zuletzt. Für ein Team von Inters Format und den Ambitionen der Nerazzurri alles andere als üppig. Ein weiterer Schritt in die richtige Richtung.

Bestes Ergebnis seit drei Jahren

Einen kurzfristigen Erfolg gab es dabei bereits vergangene Saison: Mit Platz fünf wurde das beste Ergebnis der letzten drei Jahre erreicht. Doch Thohir will weit höher hinaus. Mit der Einstellung etlicher englischsprachiger Mitarbeiter krempelte er den Verein bereits teilweise um und bereitet alles für den globalen Markt vor.

Insgesamt lässt sich aber sagen, dass Thohir aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat und einen neuen Weg für die Zukunft bereits eingeschlagen hat. Diese "Übergangszeit" wird für die Tifosi zwar hart, ist aber der wohl einzige Weg, den maroden Klub Inter Mailand wieder zu dem zu machen, was er einmal war: Eine Spitzenmannschaft.

Rund zwei Jahre hat Thohir noch Zeit, "sein" Inter zu selbiger zu formen, sofern er seinen Worten wirklich Taten folgen lassen will. Vom Kader aus der Triple-Saison von 2010 ist dann kaum noch ein Spieler übrig, die Altlasten sind nicht mehr im Verein und vielleicht findet das Team genau so wieder zurück zu den alten Erfolgen.

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