Martin Forkel im Interview über Fußball in Vietnam: "Spieler wohnen in 3-Bett-Zimmern"

Von Nicolai Lehnort
Martin Forkel als Fitnesstrainer der vietnamesischen Nationalmannschaft.
© imago

Martin Forkel spielte in der 2. Liga für Greuther Fürth, Wacker Burghausen und die TuS Koblenz. Seit 2016 arbeitet er als Fitness- und Co-Trainer in Vietnam - aktuell beim Ho Chi Minh City FC.

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Im Interview spricht der 38-Jährige über den Start seines Engagements in Vietnam, rücksichtsvolle Verkehrsteilnehmer, einen Handy-Raub, schüchterne Spieler und Profis in Drei-Bett-Zimmern.

SPOX: Herr Forkel, Sie haben für Greuther Fürth, Wacker Burghausen und die TuS Koblenz 164 Spiele in der 2. Bundesliga absolviert und bis 2015 beim 1. FC Saarbrücken gespielt. Ein Jahr später wechselten Sie zum vietnamesischen Verband. Wie kam das denn zustande?

Martin Forkel: Ich habe in Saarbrücken meine Laufbahn beendet, dort noch die A-Lizenz absolviert und die U23 sowie U19 betreut. Mein Vertrag lief aus und über einen Vermittler kam der Kontakt zum Verband zustande. Ich unterschrieb zunächst nur für sechs Monate und wollte mir alles mal anschauen. Nach Rücksprache mit meiner Familie, die noch in Deutschland lebt, und weil es mir gut gefallen hat, habe ich um ein Jahr verlängert.

SPOX: Beim Verband waren Sie lediglich als Fitnesstrainer angestellt und für Nachwuchs sowie A-Nationalmannschaft zuständig. Seit 2018 arbeiten Sie nun als Fitness- und Co-Trainer beim Ho Chi Minh City FC in der V.League, der höchsten vietnamesischen Liga.

Forkel: Der Kontakt zum Verein lief über mich, da unser Präsident damals mein Spieler bei der Nationalmannschaft war. Dort habe ich nach eineinhalb Jahren einen Monat vor Ablauf gekündigt, da ich aufgrund familiärer Angelegenheiten nach Deutschland musste. Anschließend unterschrieb ich in Saigon.

Martin Forkel: Die Stationen seiner Karriere

DauerVerein
1998 - 1999SpVgg Greuther Fürth
1999 - 2000Borussia Fulda
2000 - 2006Wacker Burghausen
2006 - 2010TuS Koblenz
2010 - 20121. FC Saarbrücken
2012 - 2013Borussia Neunkirchen
2013 - 20151. FC Saarbrücken

SPOX: Bevor wir über den Fußball in Vietnam reden: Wie kommen Sie dort zurecht? Man denkt ja schnell an den dortigen Straßenverkehr, jede Menge Mopeds und viel Chaos.

Forkel: Das ist die Realität und anfangs empfand ich das natürlich auch so. Mittlerweile habe ich selbst ein Moped. (lacht) Es ist eben alles wahnsinnig unorganisiert. Rote Ampeln werden ignoriert. Mit einem Moped ist man immer schneller, weil man sich durch den Verkehr schlängeln kann. Auf dem Moped schwimmt man mit dem Verkehr mit. Heute würde ich sagen, dass das alles schlimmer aussieht, als es ist. Und im Vergleich zu Deutschland wird hier im Straßenverkehr sogar mehr Rücksicht aufeinander genommen.

SPOX: Tatsächlich?

Forkel: Es würde anders auch schlichtweg nicht funktionieren. Niemand fährt hier aggressiv. Quetscht man sich in Deutschland irgendwo hinein, wird man angehupt oder bekommt den Mittelfinger gezeigt. In Vietnam wird einfach gebremst und man wird hereingelassen. Das ist völlig normal. Die Toleranz der Verkehrsteilnehmer ist deutlich höher als bei uns zu Hause.

SPOX: Die Kriminalität vermutlich auch.

Forkel: Richtig. Wenngleich ich sagen muss, dass ich mit den meisten Menschen hier wirklich positive Erfahrungen gemacht habe. In Saigon gibt es aber zehn Millionen Einwohner und darunter sind leider auch viele sehr arme Menschen. Vor ein paar Monaten habe ich dann den Fehler begangen, auf meinem Moped kurz zu telefonieren. Plötzlich kam von hinten ein Roller angeschossen, hat mir das Handy aus der Hand gerissen und ist abgehauen. Ich war geschockt und habe ihn noch fünf Minuten lang gejagt, verlor ihn dann aber aus den Augen. Zum Glück war es sozusagen nur mein Geschäftshandy, dort waren weniger wichtige Daten und private Dinge gespeichert. Diese Dinge passieren hier aber tagtäglich.

SPOX: Kommen wir zum Sport: Welches fußballerische Niveau ist in der 1. Liga in Vietnam zu bestaunen?

Forkel: Es dürfte ungefähr auf Regionalliga-Niveau liegen. Im November 2017 hatten wir ein Qualifikationsspiel mit der Nationalmannschaft gegen Afghanistan. Dort spielten vier Spieler, die in Deutschland ihr Geld verdienen. Unter anderem Hassan Amin, der damals bei Waldhof Mannheim kickte, und drei weitere Spieler aus der Regionalliga. Das Spiel ging 0:0 aus und das spiegelt in etwa das Niveau wieder.

SPOX: Wie sieht es mit den physischen und technischen Voraussetzungen der Spieler aus?

Forkel: Die meisten Spieler sind durchaus gut ausgebildet. Sie kommen über das Kurzpassspiel und verfügen über eine ordentliche Technik. Durch ihre geringe Körpergröße sind sie schnell und wendig. Der große Nachteil, auch im Vergleich mit Ländern wie Korea, Japan oder Thailand, sind die körperlichen Defizite. Die Spieler sind nicht nur klein, sondern auch relativ schmächtig. Kopfballduelle oder Zweikämpfe sind Problemzonen. Auch die Ausdauer ist ein Bereich, bei dem man hinterherhinkt.

SPOX: Das dürfte allerdings auch mit den Temperaturen zusammenhängen, oder?

Forkel: Klar. Dass das Spieltempo nicht besonders hoch ist, liegt größtenteils an der fehlenden Physis und am extremen Wetter. Die Luftfeuchtigkeit ist sehr hoch, meist herrschen um die 35 Grad. Spiele, in denen ab der 60. Minute nur noch Standfußball oder lange Bälle gespielt werden, sind keine Seltenheit.

SPOX: Damit sollten auch Ihre Kerngebiete als Fitness- und Co-Trainer abgesteckt sein.

Forkel: Stimmt. Wir arbeiten vor allem im Ausdauerbereich: an der Power, an der Stabilität, am Aufbau von Muskelmasse. Wir wollen die Spieler dahin bringen, dass sie auch einmal über 90 Minuten marschieren können, ohne zum Standfußball zu wechseln oder Krämpfe zu bekommen. Wir machen gute Fortschritte.

SPOX: Wie sieht es mit der sportlichen Mentalität der Spieler aus?

Forkel: Alle sind lernwillig und diszipliniert. Ich habe im Verband mit Spielern jeder Altersklasse gearbeitet und wirklich alle sind sehr bodenständig und motiviert. Woran wir arbeiten müssen ist es, auf dem Platz dann genauso diszipliniert aufzutreten und ein wenig die Kämpfermentalität in das Spiel zu bringen. Es ist nämlich oft so, dass die Köpfe nach einem Gegentor schnell runtergehen. In solchen Momenten verlieren die Spieler häufig den Glauben. Sie sind ohnehin sehr schüchtern. Es gibt meist keinen Leader auf dem Platz, der den Mund aufmacht und die Jungs pusht. Man muss sie oft darauf hinweisen, dass sie sich gegenseitig coachen und aufbauen sollen. Den einen oder anderen scheint das einiges an Überwindung zu kosten.

SPOX: Ihr Cheftrainer ist der Japaner und ehemalige vietnamesische Nationaltrainer Toshiya Miura. Wie läuft die Zusammenarbeit mit ihm?

Forkel: Im Vergleich zu meinen bisherigen Beobachtungen bei anderen Vereinen geht es bei uns ziemlich professionell zu. Miura hat seine Ausbildung in Deutschland absolviert und zwischen 1990 und 1996 bei uns gelebt. Daher spricht er auch Deutsch. So kann ich mich ihm gegenüber verständlicher ausdrücken als auf Englisch. Er ist absolut professionell und gut organisiert, das Training und die Inhalte sind durchdacht. Das habe ich in meiner Zeit bei der Nationalmannschaft auch schon anders kennengelernt.

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