Ein Krieger mit Spätzündung

Von Fatih Demireli
Olivier Giroud (r.) wurde mit dem HSC Montpellier in dieser Saison französischer Meister
© spox

Olivier Giroud ist die Entdeckung Frankreichs, der mit dem Sensationsmeistertitel mit dem HSC Montpellier eine überragende Saison krönte. Im Castrol EDGE Ranking steigt Giroud seit einem Jahr unaufhörlich auf und ist einer der besten Stürmer. Dem 26-jährigen Stürmer winkt nach der EURO 2012, an der er mit Frankreich teilnehmen wird, ein Wechsel zu einem europäischen Top-Klub. Dabei war die Profikarriere fast schon beendet, bevor sie überhaupt richtig begann.

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Wenn am Sonntagabend der HSC Montpellier in die Ligue 2, die zweite französische Liga, abgestiegen wäre, hätte man das registriert, wäre aber nicht weiter überrascht gewesen. Man hätte diesem nicht einmal sonderlich Beachtung geschenkt, zumal es lediglich die Fortsetzung eines elenden Schicksals eines Klubs wäre, der nach neun Abstiegen in 93 Jahren Vereinsgeschichte nun die Zehn vollgemacht hätte.

Am Sonntagabend stieg Montpellier allerdings nicht ab, was alleine auch nicht aufsehenerregend ist. Aber der HSC wurde Meister: vor dem Scheichklub Paris Saint-Germain, vor Olympique Marseille, vor dem OSC Lille, vor Olympique Lyon. Die Wirkung in Frankreich war so gigantisch, wie sie in Deutschland wäre, wenn der SC Freiburg Meister werden würde. Genauso wurde der Sensationstitel in Montpellier selbst aufgenommen.

"Was zur Hölle?"

"Wenn ich Paris, Lille, Marseille oder Lyon wäre, würde ich mir eine Wurst in den Hintern stecken. Was für eine Schande für die", sagt der extrovertierte Montpellier-Präsident Louis "Loulou" Nicollin. Dass es mit dem ersten Meistertitel in der fast 100-jährigen Klub-Geschichte überhaupt geklappt hat, ist Nicollin und seiner Fähigkeit, schlagfertig zu argumentieren, zu verdanken.

Es war im Sommer 2010, als Celtic Glasgow einen gewissen Olivier Giroud verpflichten wollte. Der Stürmer schoss in der zweiten französischen Liga 21 Tore, wurde Schützenkönig und zum besten Spieler der Liga gewählt. Klar, dass so ein Stürmer schnell Begehrlichkeiten weckte und nicht nur Celtic auf die Idee kam, den Stürmer zu holen.

Den Rest erzählt Giroud selbst: "Ich traf mich mit den Celtic-Leuten in Paris, aber dann wurde Montpellier aktiv. Präsident Nicollin rief mich an und sagte: 'Was zur Hölle tust du dir da an? Willst du wirklich nach Klimanorck reisen?' Er brachte mich zum Lachen. In diesem Augenblick hatte ich das Gefühl, dass wir uns eine Ewigkeit kennen."

Bauchschmerzen beim "ersten Mal"

Zur Freude Nicollins lehnte Giroud das Celtic-Angebot ab und ging nach Montpellier, der grauen Maus Frankreichs, die auf dem vorletzten Platz der Liga landet, wenn es um das Thema Etat geht.

Nur zwei Spielzeiten später ist Giroud erneut Torschützenkönig geworden - wieder mit 21 Toren, aber diesmal in der höchsten Spielklasse - und ganz nebenbei wurde er eben auch Meister mit Montpellier. Diesen gewaltigen Sprung hätte Giroud zu grauen Anfangszeiten selbst nicht erwartet: "Der Unterschied zwischen Ligue 1 und Ligue 2 ist schon gewaltig. Als ich zum ersten Mal in der Liga auflief, hatte ich richtige Bauchmerzen."

Die bekamen aber recht schnell auch die Montpellier-Gegner, denn Giroud benötigte entgegen der eigenen Erwartung nicht viel Anlaufzeit und knipste sich in der Liga warm. Regelmäßig traf er, hier eins, da zwei, dann wieder ein Tor. Bis auf eine zweimonatige Ladehemmung zwischendurch war Giroud immer für ein Tor gut, so dass der Aufstieg Girouds und Montpelliers parallel vonstatten ging.

Trainer sagte: Du bist zu schwach

Dass Potenzial, irgendwann die ganz große Nummer in Frankreich zu sein, hatte Montpellier zugegeben noch nie. Bei Giroud verhielt es sich allerdings anders, der schon in frühen Jugendjahren auffiel und genauso wie sein Bruder Roman in der berühmten Jugendakademie vom AJ Auxerre Halt machte. Dort lief er damals täglich den jahrgangsälteren Thierry Henry und David Trezeguet über den Weg.

Während die beiden Letzteren in jungen Jahren Frankreichs Hoffnung wurden, dümpelte Giroud vor sich hin. 2005 sagte ihm sein Trainer Mehmed Bazdarevic bei Grenoble, wo Giroud erstmals im Profibereich spielte, dass er für die erste und zweite Liga zu schlecht sei und kommandierte ihn ab. In Istres zeigte Giroud, dass er zumindest für die dritte Liga Klasse hat. Beim FC Tours folgte der Beweis dann auch für die 2. Liga.

Dass er inzwischen nicht nur die Klasse für die Ligue 1 hat, sondern auch für die ganz großen Ligen des europäischen Fußballs, beweisen die zahlreichen Interessenten, die laut Berater Guillame Sola "von jeder großen Liga in Europa kommen". Sola sagt: "Spanien, die Deutschen, England, Italien und auch PSG und Lyon haben ihn im Auge." Der Spätzünder hat es allen angetan.

Kein Wechsel zum FC Bayern

Lange Zeit galt der FC Bayern München als großer Favorit auf die Verpflichtung Girouds. Das gegenseitige Interesse wurde unumwunden bestätigt, aber zu einem Transfer wird es nicht kommen, weil sich die Bayern längst anders entschieden haben. Zu ähnlich wie Mario Gomez, heißt das Urteil, das aber nicht unbedingt jedermanns Meinung sein muss.

Auch Giroud selbst sieht es anders. "Wir haben beide ungefähr dieselbe Größe und ein ähnliches Profil, auch wenn es Unterschiede gibt. Mario Gomez ist sehr geschickt vor dem Tor, sehr stark im Strafraum. Ich kann aber auch von außerhalb des Strafraums Tore schießen. Ich bin ein Typ, der darüber hinaus auch mehr am Aufbau des Spiels teilnimmt als Mario Gomez", sagte Giroud in einem "Sport Bild"-Interview.

"Er ist ein massiver Typ, aber voller Finesse", sagt HSC-Trainer Rene Girard. Wenn man Girouds Spielart vergleichen muss, dann eher mit einem Zlatan Ibrahimovic. Zumal Girard auch sagt: "Olivier ist ein Krieger im Strafraum. Einer, von denen es nicht mehr so viele gibt."

Frankreichs Stürmer bei der EM

Das findet auch Nationaltrainer Laurent Blanc, der Giroud lange zappeln ließ, bis er ihn im Februar 2012 für die Nationalmannschaft nominierte. "Es ist Zeit, ihn zu belohnen und ihm die Chance zu geben, dass er sieht, was der internationale Fußballer einfordert", sagte Blanc damals. Prompt schoss Giroud beim 2:1 gegen Deutschland ein Tor und ist nun auch ein Bestandteil des EM-Kaders 2012.

Inzwischen ist Blanc ein richtiger Fan von Giroud: "Auf seiner Position brauche ich einen untypischen Spieler wie ihn - mit seiner Statur und seinen Fähigkeiten, mit dem Rücken zum Tor spielen zu können." Blanc sagt auch: "Er hat eine deutliche Entwicklung genommen."

Getreu dieser Entwicklung müsste Girouds Weg nun weiter nach oben gehen. Dritte Liga, zweite Liga, erste Liga, Meister und Torschützenkönig. Nach der EURO 2012 könnte Giroud nun den nächsten Schritt zu einem Top-Klub machen, wobei Giroud selbst noch zweifelt, nachdem er lange mit einem Wechsel geliebäugelt hat.

Bleibt er doch in Montpellier?

"Dieses tolle Gefühl nach der Meisterschaft könnte meine Entscheidung beeinflussen. Meine Arbeit bei diesem Klub ist eigentlich noch nicht beendet. Schauen wir mal, wo ich in der nächsten Saison bin", so Giroud.

Präsident Nicollin, der Giroud einst nach Montpellier lotste, kennt die Gesetzmäßigkeiten des Geschäfts, auch wenn er sagt: "Wenn wir Champions League spielen, brauchen wir Spieler wie ihn."

"50 bis 60 Millionen Euro Ablöse", teilte er englischen Medien einst mit, die nach Giroud fragten. Ein Angebot von Newcastle United lehnte Niccolin jüngst ab: "Newcastle? Das ist ein zu kleiner Klub für ihn." Aber Nicollin sind die Hände wohl gebunden, zumal Giroud eine fixe Ablösesumme im mittleren Zehnmillionen-Bereich haben soll, die einen Wechsel sehr wahrscheinlich machen.

Wohin es gehen könnte, lässt Giroud durchblicken: "Für mich ist es eine klare Sache, dass die Premier League die beste Liga der Welt ist. Ich schaue mir die Spiele im Fernsehen immer an. Für mich wäre es ein Traum, eines Tages dort zu spielen." Es wäre der nächste - logische - Schritt.

Olivier Giroud im Steckbrief

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