"Wir sind im Finale - und das zählt"

Von Stefan Moser
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München - Über die Spielweise der Nationalmannschaft zu nörgeln gehört zu Deutschland wie Bratkartoffeln oder Gartenzwerge. Und es gäbe durchaus Schlechtes zu erzählen über dieses Halbfinale gegen die Türkei.

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Allerdings: 3:2! Deutschland steht im EM-Finale! Zum ersten Mal seit zwölf Jahren! Deshalb wollen wir für einen Augenblick die Nörgelei vergessen und stattdessen einem neutralen Beobachter das Resümee überlassen.

Und wen gäbe es in diesen Tagen, der neutraler wäre als die Engländer? Also bitte: Die Online-Ausgabe des "Guardian" unmittelbar nach Schlusspfiff: "Was für eine Nacht! Fünf Tore, das nächste späte Comeback der Türken, und ein noch späteres Comeback der Deutschen! Dazu ein globaler Zusammenbruch der Fernsehbilder."

Tatsächlich hatte der Abend einiges zu bieten, zumindest emotional - da allerdings die ganze Palette: frühe Ernüchterung über die Passivität der DFB-Elf, der Schock des Rückstands nach 22 Minuten, Erleichterung nach dem Schweinsteiger-Ausgleich nur vier Minuten später, plötzliche Euphorie nach Kloses Führungstreffer in der 79. Minute, entsetztes Staunen beim Ausgleich durch Sentürk (86.) und schließlich diese Mischung aus Kopfschütteln und Jubel nach dem Siegtreffer durch Philipp Lahm in der 90. Minute.

"Gott sei Dank!"

"Das ist einer der schönsten Momente meiner Karriere. Wir sind ins Finale eingezogen, obwohl wir kein gutes Spiel gemacht haben", sagte der Siegtorschütze hinterher.

Für Lahm war es auch deshalb ein besonderes Tor, weil der Münchner vier Minuten zuvor seinen Gegenspieler Sabri hatte laufen lassen, und der den Platz nutzte, um das 2:2 vorzubereiten.

"Gott sei Dank haben wir kurz vor Schluss das 3:2 gemacht. Ich weiß, dass ich am 2:2 beteiligt war. So einen Zweikampf darf man nicht verlieren oder man muss dann ein Foul machen. Gut, dass ich der Mannschaft am Schluss noch helfen konnte", strahlte Lahm entsprechend in die Kameras.

"Das entscheidende Tor war zumindest ein Angriff, der toll herausgespielt war", lobte auch Joachim Löw den Mann des Tages, der in der letzten Minute der regulären Spielzeit endlich sein Herz in beide Hände nahm und mit Power und Entschlossenheit den Spielzug ebenso sehenswert vorbereitete, wie er ihn schließlich mit einem kaltschnäuzigen Rechtschuss aus elf Metern vollendete.

Nur das zählt

Schlecht gespielt und trotzdem gewonnen: "Das war ein Wahnsinns-Kampf auf Biegen und Brechen bis zur letzten Sekunde. Jetzt haben wir die Siegermentalität, um auch das Finale zu holen", zog der Bundestrainer seine Lehren und hatte dabei noch die Muße, sein eigenes taktisches Dilemma einzugestehen.

"Wir hatten im Mittelfeld große Probleme, deshalb wollte ich nicht umstellen. Aber im Laufe des Spiels hätten wir heute sicherlich einen zweiten zentralen Stürmer gebraucht", sagte Löw und zog den Schlussstrich unter die Partie:  "Jetzt bin ich natürlich glücklich, aber auch geschafft."

Glücklich und geschafft: Nicht anders ging es seinen Spielern. "Es war ein harter Kampf. Wir freuen uns riesig, haben aber auch viel Kraft gelassen", sagte Michael Ballack stellvertretend für die ganze Mannschaft, der die Müdigkeit nach dem Spiel deutlich anzumerken war.

"Wir sind im Finale - und das zählt", so der Kapitän weiter, "aber die Türken waren ein unbequemer Gegner, haben gut gespielt, haben den Ball laufen lassen und wirkten einen Tick frischer."

Frau Merkel stockt der Atem

Fatih Terim hat die Komplimente gerne entgegengenommen, wirklich trösten konnten sie den türkischen Trainer freilich nicht: "Ich bin sehr traurig. Wir waren so kurz vor dem Finale. Meine Spieler hätten es verdient gehabt."

Tatsächlich war seine Mannschaft über weite Strecken des Spiels dominanter, hatte mehr Spielanteile und auch die Mehrzahl an klaren Aktionen und Torchancen.Die deutsche Elf lief vor allem in der ersten Halbzeit fast immer hinterher, wirkte passiv und lethargisch und fand auch taktisch kein Mittel gegen die gute Raumaufteilung der Türken.

Allerdings: 3:2! Deutschland steht im Finale! Und deshalb überlassen wir das Schlusswort einer Beobachterin, der der Sinn ebenso wenig nach detaillierten Analysen stand, wie den Millionen von Fans, die auf Deutschlands Fanmeilen die Nacht durchfeierten.

Also bitte: DFB-Maskottchen und Bundeskanzlerin Angela Merkel unmittelbar nach Schlusspfiff: "Ich habe oft die Luft angehalten, aber ich gratuliere unserer Mannschaft. Insgesamt war es für Deutschland und für die in Deutschland lebenden Türken ein sehr, sehr spannendes und schönes Spiel. Ende gut, alles gut."

Direkt nach dem Spiel diskutierten die SPOX-User angeregt über das 3:2...

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