Mit Dusel und Lahm ins Finale

Von Daniel Börlein / Stefan Rommel / Florian Bogner
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München/Basel - Die DFB-Elf hat es geschafft! Mit einem 3:2 (1:1)-Sieg über die Türkei ist Deutschland erstmals seit zwölf Jahren wieder in ein EM-Endspiel eingezogen.

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Dabei lieferte das Team von Joachim Löw aber phasenweise eine erschreckend schwache Leistung ab.

Vor 39.374 Zuschauern im Baseler St. Jakob-Park, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel, ging die Türkei nach 22 Minuten durch Ugur Boral verdient in Führung. Bastian Schweinsteiger glich mit der ersten deutschen Chance aus (26.).

Ein Torwartfehler von Rüstü Recber ermöglichte Miroslav Klose das 2:1 (79.). Die Türkei konnte vier Minuten vor dem Ende durch Semih Sentürk noch einmal egalisieren, doch Philipp Lahm machte in der 90. Spielminute den deutschen Sieg perfekt.

Es war der erste Länderspielsieg gegen die Türkei seit 16 Jahren. Der enttäuschten Terim-Elf blieb damit der erste Finaleinzug verwehrt.

Am Mittwoch ermitteln Russland und Spanien den Finalgegner des DFB-Teams. Das Endspiel findet am Sonntag im Wiener Ernst-Happel-Stadion statt.

Der SPOX-Spielfilm: 

Vor dem Anpfiff: Jogi Löw vertraut den elf Spielern, die auch gegen Portugal begannen. Das heißt: Torsten Frings erstmal nur auf der Bank.

8.: Riesenfehler von Lahm, der Altintop im Strafraum den Ball in die Beine spielt. Aber der Bayern-Spieler scheitert aus acht Metern an Lehmann.

13.: Was für ein Knaller! Sabri legt von der Grundlinie zurück und Kazim zimmert die Kugel aus elf Metern an die Latte. Der Ball bleibt noch heiß. Ugur mit der flachen Hereingabe von links. Sentürk grätscht in die Kugel. Außennetz.

22., 0:1, Ugur Boral: Einwurf für die Türken auf rechts. Ayhan legt per Brust auf Sabri ab. Der bringt die Flanke nach innen. Kazim haut die Kugel aus acht Metern im Fallen an die Latte. Den Nachschuss drückt Boral aus vier Metern durch die Beine von Lehmann über die Linie.

26., 1:1, Schweinsteiger: Podolski spielt den Ball von links flach vors Tor. Schweinsteiger ist am ersten Pfosten einen Schritt schneller als Topal und lässt den Ball über den rechten Außenrist ins rechte Eck rutschen. Keine Chance für Rüstü. Fast wie gegen Portugal!

34.: Hitzlsperger holt sich in der eigenen Hälfte den Ball und schickt sofort Podolski auf links. Der läuft alleine auf Rüstü zu, schießt die Kugel aber aus elf Metern knapp drüber. In der Mitte war Klose mitgelaufen. Hätte er auch abspielen können.

63.: Deutschland hat Angst! Die Türken spielen sich den Ball über 15, 20 Stationen um den deutschen Sechzehner zu, kein Deutscher attackiert. Ballack macht dem Treiben erst nach über einer Minute ein Ende.

79., 2:1, Klose: Lahm zieht von links nach innen und flankt. Rüstü kommt aus seinem Kasten, aber Klose ist schneller am Ball und nickt aus zehn Metern ein.

86., 2:2, Sentürk: Sabri lässt Lahm auf rechts ganz schlecht aussehen und spielt den Ball flach vors Tor. Sentürk geht am ersten Pfosten in den Ball und schiebt Lehmann den Ball ins kurze Eck. Der deutsche Keeper sieht da auch nicht gut aus.

90., 3:2, Lahm: Lahm spielt Doppelpass mit Hitzlsperger und steht völlig frei vor Rüstü. Lahm knallt das Ding aus acht Metern hoch ins kurze Eck.

So lief das Spiel: Das deutsche Team ließ sich schnell den Schneid abkaufen. Die Türkei unheimlich spritzig und bissig in den Zweikämpfen. Die DFB-Elf pomadig, mit zahlreichen Ballverlusten im Spiel nach vorne und eklatanten Lücken nach hinten. Die Terim-Elf führte das deutsche Team zeitweise vor und erzielte völlig verdient das 1:0. Mit dem ersten guten Angriff schlug die Löw-Elf zurück, fand aber selbst danach nicht ihre Linie.

In Halbzeit zwei ein ähnliches Bild. Deutschland fand einfach keine Mittel, ging aber durch den Fehler von Rüstü in Führung und wähnte sich bereits im Finale. Dann kamen die Türken in gewohnter Weise zurück. Und wähnten sich in der Verlängerung, bis die Löw-Elf mit einem der wenigen starken Spielzüge die Entscheidung durch Lahm besorgte.

Der Star des Spiels: Deutschland spielt Türkei. Das DFB-Team trat dieses Mal so auf, wie sich die Türken über weite Strecken dieser EM präsentierten: eine Halbzeit völlig verschlafen, dann dem Gegner das eigene, langsame Tempo aufzwängen und schließlich in der Schlussphase gnadenlos zuschlagen.

Die Gurke des Spiels: Der Auftritt der Deutschen. So kann, so darf man sich in einem Halbfinale der Europameisterschaft nicht präsentieren - unabhängig vom Ausgang. Die Türken wirkten fitter, williger, spielstärker, taktisch reifer und, und, und. Dabei waren sich doch vorher fast alle einig, dass die deutsche Elf als klarer Favorit in die Partie geht. Da auch vom Bundestrainer keine Impulse von der Bank aus kamen: Eine auf allen Ebenen katastrophale Vorstellung der deutschen Mannschaft.

Die Lehren des Spiels: Joachim Löw verzockte sich mit seinem System total, die Mannschaft tat ihr Übriges dazu, indem sie den Gegner trotz aller Beteuerungen unterschätzte, geistig nicht anwesend war und null Aggressivität versprühte.

Der Raum zwischen Viererkette und defensiven Mittelfeld, das quasi nicht existent war, war ständig ungedeckt und die Türkei nutzte dies perfekt. Pressing fand überhaupt nicht statt, die Türken hatten Ballbesitzzeiten ohne Ende und holten sich dadurch die nötige Sicherheit.

Den Schachzug des Gegners, mit jeweils zwei Außenpärchen und Aurelio quasi als Ballack-Manndecker zu agieren, erkannte Löw viel zu spät. Klose hing vorne völlig in der Luft, die Mittelfeldspieler mussten große Räume mit dem Ball am Fuß überbrücken, anstatt eine zweite Anspielstation in der Spitze zu finden.

Einzig der türkischen Abschlussschwäche war es zu verdanken, dass das Spiel nicht schon nach der ersten Halbzeit gelaufen war: Torschussbilanz bis dato: 3:16! Selten zuvor hat eine Mannschaft dermaßen unverdient ein Halbfinale gewonnen. Vielleicht ist diese Kaltschnäuzigkeit ja ein kleiner Lichtblick in einem grausamen Spiel.

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