Wir haben ein Trainerproblem

Von Stefan Rommel
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Kaiserslautern/Gelsenkirchen - Der Sommer des Jahres 1996 war ein heißer im Nord-Londoner Stadtteil Islington.

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Mit den durchaus mäßigen Temperaturen hatte dies aber wenig zu tun. Vielmehr machte eine Entscheidung die Runde, die den ansässigen FC Arsenal und seine Fans in helle Aufregung versetzte

Patrick James "Pat" Rice, ein echter Haudegen, 528 Einsätze im Arsenal-Trikot, Co-Trainer, Jugendleiter, für einige Monate sogar Chef über zwei Schreibmaschinen und eine dazugehörige Sekretärin auf der Geschäftsstelle der Gunners, war erst vor wenigen Wochen zum Trainer der Lizenzspielerabteilung aufgestiegen.

Der Nordire, gelernter Gemüsehändler, hatte die Gunners nach einer turbulenten Saison und jeder Menge Theater übernommen. Die Leute liebten ihn und Rice war leidlich erfolgreich. Nur die graue Eminenz des Vereins, Sir Chip Keswick, sah das anders.

Lachnummer Wenger

In einer Nacht- und Nebelaktion schnappte Keswick dem englischen Verband FA dessen designierten Technischen Direktor quasi vor der Nase weg. Einen Franzosen mit Namen Arsene Wenger.

Fortan war Wenger das Gesprächsthema in jedem Pub Londons. Die Arsenal-Hasser lachten sich kaputt, die Arsenal-Fans beschmierten Häuserwände mit kaum zitierbaren Parolen gegen Wenger. Schließlich hatte der zuletzt den japanischen Erstligisten Grampus Eight Nagoya trainiert.

In ihren Augen war die Entscheidung eine einzige Lachnummer.

Was aber noch viel schwerer wog: Zum 100-jährigen Jubiläum des Klubs schenkte der Verein den Fans zum ersten Mal einen Trainer, der nicht aus Großbritannien stammte. Sondern aus Frankreich.

Die Episode ist mittlerweile zwölf Jahre her. Was in der Zwischenzeit passiert ist, weiß jeder. Die anfängliche Skepsis wich schnell einer Akzeptanz. Mittlerweile ist Arsene Wenger der FC Arsenal. Die beleidigenden Graffitis sind längst übermalt.

Arsenal wagte viel und gewann alles. Wenger war der Wegbereiter für eine ganze Heerschar ausländischer Manager, die die verkrustete Premier League reformierten und zu dem machten, was sie jetzt ist.

"Die Struktur ist nicht gesund"

Doch auf einen Heilsbringer à la Wenger will der deutsche Fußball nicht warten. Der verschließt die Augen nicht vor seinen Schwachstellen und schreitet selbst zur Tat.

"Wir haben in allen Bereichen ein Trainer-Problem. Die gesamte Struktur ist nicht gesund", kritisiert etwa Matthias Sammer im Gespräch mit SPOX.com. "Auch im Nachwuchsbereich haben wir zu wenige Organisationsformen gefunden, die inhaltlicher und organisatorischer Natur eine gewisse Attraktivität haben. Irgendwann ist das Ende erreicht."

Zustimmung erhält Sammer von Bernhard Peters, dem Direktor für Sport- und Nachwuchsförderung beim Bundesliga-Aufsteiger 1899 Hoffenheim: "Ich möchte es nicht verallgemeinern, in Deutschland gibt es etliche gute Trainer. Aber es ist wohl richtig, dass es nicht gelungen ist, sehr viele Trainerpersönlichkeiten mit einer eigenen Handschrift und Führungsphilosophie zu entwickeln."

Wissenschaftlicher Ansatz

Die Entwicklungsarbeit ist nun Sache von Frank Wormuth. Vergangene Woche stellte der Deutsche Fußball-Bund den Leiter für Fußballlehrerausbildung im Rahmen des Länderspiels gegen Weißrussland vor - und Wormuth selbst stellte sein Konzept vor.

"Seit 2005 läuft unsere Reform. Die Ausbildung bis dahin war schon gut, sie muss aber viel besser verkauft werden", sagt der 47-Jährige. Und sie muss ausgebaut werden.

Wo sich früher verdiente Ex-Nationalspieler nach ein paar Vorlesungsstunden und einem verschmitzten Augenaufschlag die DFB-Trainerlizenz ergattern konnten, tritt nun eine ausgeklügelte Ausbildung in Kraft, die ihren Schwerpunkt - ganz zeitgemäß - in der wissenschaftlichen Arbeit sieht.

"Sportmedizinische Aspekte, Persönlichkeitsbildung, Außendarstellung sind wichtige Gebiete", verrät Wormuth.

Klein anfangen!

Er selbst war ein mittelmäßig begabter Zweitligaspieler beim SC Freiburg und Hertha BSC, einige Zeit Co-Trainer bei Fenerbahce Istanbul und Trainer in Pfullendorf, Reutlingen, bei Union Berlin, in Aalen. Und auch in der Kreisliga A. "Eine wichtige Zeit. In den unteren Ligen kann man genügend Fehler machen. Da bekommt es keiner mit", sagt er.

Fehler im Profigeschäft verzeiht niemand. "Bei uns werden die jungen Trainer viel zu schnell verheizt", kritisiert Sammer. "Mir tut es in der Seele weh, dass ein Jürgen Kohler im Moment nicht als Trainer arbeitet. Weil er viel zu hoch eingestiegen ist in diesem Job. Das ist doch das Ende der Fahnenstange, wenn du Trainer in der Ersten Liga bist."

Wormuth wolle mit seiner Arbeit, "eine Art Anlaufstelle werden". Fernziel sei, eine Trainerfindungskartei aufzubauen: "Die Idealvorstellung ist die, dass ein Bundesligist dann zu uns kommt und sagt: 'Wir brauchen den und den Trainer - könnt ihr uns da weiterhelfen?'"

Ein Manuskript mit 55 Seiten soll der Wegbereiter sein. Von sechs auf elf Monate wird die Ausbildung gestreckt, Praktika sind ab sofort obligatorisch. "Neben den 23 Vorlesungswochen sollen die Absolventen auch eine komplette Saison in einem Klub mitarbeiten. Die Ausbildung verläuft parallel zur Spielzeit. Auslandspraktika sind erwünscht, aber keine Pflicht."

Inspiration aus der Schweiz

Trainerfindungskartei klingt nun fast wie Trainerfindungskomission und hat auch dasselbe Kürzel. Die TFK1 gebar im Sommer 2004 immerhin Jürgen Klinsmann - die Quelle und den Ursprung aller Reformen im DFB.

Zur Konzeptfindung ließ sich Wormuth von seinen Eindrücken aus der Schweiz inspirieren, wo er seinen Trainerschein erlangte. "Über den Tellerrand hinausschauen ist ganz wichtig. Und trotzdem bleibt die Basis unseres Fußballs der der deutschen Nationalmannschaft. Die Zusammenarbeit zwischen Nationalmannschaft und Akademie bleibt bestehen."

Eine eigene Homepage steht kurz vor dem Launch, es wird bald aktuelle Newsletter und eine regelmäßig erscheinende Zeitschrift geben. Der Klinsmannismus hält Einzug.

Ziel: 18 deutsche Trainer

"Wir werden keine geschnitzten Trainer produzieren können", wehrt Wormuth ab. "Aber wir verfolgen einen roten Faden. 4-4-2 ist kein Muss, Ball- und Raumorientiertheit in der Defensive aber schon. Zudem ist One-Touch-Fußball angesagt."

Wie beim FC Arsenal, seit Arsene Wenger dort ankam. Der Erfinder des One-Touch-Fußballs. Vor ein paar Jahren bekam Wenger den Order of the British Empire verliehen.

Frank Wormuth wäre schon mit weniger zufrieden. "Wenn jeder Bundesligist einen deutschen Trainer hätte, das wäre toll." Es liegt noch eine Menge Arbeit vor ihm.

Vor wenigen Wochen stellten die Spitzenklubs aus Hamburg und Schalke ihre neuen Übungsleiter vor - sie kommen beide aus den Niederlanden.

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