"Kein Trainer muss sich inszenieren"

Dieter Hecking ist seit Winter Trainer von Borussia Mönchengladbach
© getty

Dieter Hecking ist aktuell der erfahrenste Trainer aller Bundesligisten. Seit Hecking im Winter bei Borussia Mönchengladbach übernahm, geht es bei den Fohlen wieder bergauf. Vor dem DFB-Pokal-Halbfinale gegen Eintracht Frankfurt (20.30 Uhr im LIVETICKER) spricht er über seinen Ruf als Trainer, oberflächliche Diskussionen beim Thema Taktik und erklärt, weshalb der Amateurfußball in Deutschland in seinen Augen krankt.

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SPOX: Herr Hecking, im Sommer 2009 bezeichneten Sie sich im SPOX-Interview als Coach von Hannover 96 noch als jungen Trainer.

Dieter Hecking: (unterbricht) Das bin ich immer noch. (lacht)

SPOX: Mittlerweile sind Sie von den aktuellen Fußballlehrern in der Bundesliga jedoch derjenige mit den meisten Spielen. Vor zwei Jahren haben Sie beim VfL Wolfsburg mit dem DFB-Pokal Ihren ersten Titel geholt. Wie hat sich dadurch die Wahrnehmung von außen auf Sie verändert?

Hecking: Mir persönlich ist am wichtigsten, dass ich mich kein bisschen verändert habe. Das bestätigen mir viele Menschen. Wie andere mich wahrnehmen, habe ich nie beeinflussen wollen. Das könnte ich ja ohnehin nicht. Ich habe nach dem Titelgewinn schnell gemerkt, dass man deutlich häufiger angesprochen und damit konfrontiert wird, in den letzten Jahren immer mehr in der Öffentlichkeit gestanden zu haben. Ich werde häufiger erkannt, verstehe aber auch die Menschen, wenn sie eine Person des öffentlichen Lebens zu Gesicht bekommen.

SPOX: Fühlen Sie sich nun auch als sehr erfahrener Coach?

Hecking: Ich sehe mich als einen der gestandenen Trainer an, so selbstbewusst bin ich schon. Ich bin jetzt seit über elf Jahren in der Bundesliga, bin erfahren und habe Titel gewonnen. Titel sind die markantesten Auszeichnungen für einen Trainer. Es ist letztlich einfach ein riesiger Unterschied, ob man wie ich 2006 in Hannover zum ersten Mal in der Bundesliga trainiert oder ob man schon seit Jahren dabei ist.

SPOX: Elf Jahre sind eine Menge im Trainergeschäft.

Hecking: Erfahrung ist etwas, was man nicht in der Trainerausbildung lernt - die muss man machen. Ich weiß heute, was ich kann. Dieses Selbstbewusstsein muss man in diesem Metier auch haben. Einen der begehrtesten Arbeitsplätze im deutschen Fußball zu haben, ist nach wie vor ein Privileg. Ich weiß aber auch ganz sicher, dass mir der Job in der 2. oder 3. Liga genauso viel Spaß machen würde. Man muss sich als Trainer auf alles einstellen, was auf einen zukommt. Diese Bodenständigkeit habe ich mir immer erhalten.

SPOX: Sie waren als Trainer sehr zielstrebig und sind immer wieder frühzeitig die nächsten Karriereschritte gegangen. Glauben Sie, dass es vielleicht mehr Inszenierung braucht, um in die oberste Kategorien an Trainern zu stoßen?

Hecking: Kein Trainer muss sich inszenieren, um erfolgreich zu sein. Für mich zählt nur, wie mein engstes Umfeld meine Leistung einzuschätzen weiß. Die allermeisten Leute, die über mich urteilen, kennen mich und meine Arbeit nicht wirklich. Man steckt in Schubladen, in die man irgendwann einmal hineingepackt wurde. Ob sie der Wahrheit entsprechen oder nicht, muss letztlich jeder für sich selbst beurteilen. Ich gebe nichts auf öffentliche Beurteilungen, weil mittlerweile eine über die Jahre gewachsene Gelassenheit in mir steckt.

SPOX: Woher kommt diese Gelassenheit, aus Ihren westfälischen Wurzeln?

Hecking: Das weiß ich nicht. Es ist besonders, in der Bundesliga zu arbeiten, aber es wird eben auch gewissermaßen zur Normalität, je mehr Erfahrung man ansgesammelt hat. Die Gelassenheit braucht man in hektischen, wie in erfolgreichen Phasen, um den Überblick zu behalten und nicht durchzudrehen. Das ist in meinen Augen meine große Qualität.

SPOX: Für wie bedauerlich halten Sie diese teils hektischen Reaktionen in der Öffentlichkeit, was den Fußball anbelangt?

Hecking: Der Fußball ist immer hektisch gewesen, dazu ist mittlerweile kaum mehr Kontinuität gegeben. Doch das gilt nicht nur für den Fußball, sondern für unsere gesamte Gesellschaft. In jedem Beruf steigt der Leistungsdruck kontinuierlich. Man muss Ergebnisse liefern und darf sich keine Schwächen erlauben, weil man sonst Gefahr läuft, dass vor der Tür schon der eigene Nachfolger wartet. Das ist das deutsche Leistungsprinzip. Es gibt andere Länder, in denen es deutlich ruhiger zugeht. Im Moment wird mir die Spirale bei allem Streben nach Perfektion zu häufig überdreht, die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer. Das fällt auf, gerade wenn man sieht, wie viele Familien erheblich zu tun haben, um den normalen Alltag bewältigen zu können. Ich bin gespannt, ob das die Gesellschaft irgendwann einmal auffangen kann.

SPOX: Als Sie in Gladbach übernahmen, war eine Ihrer Maßnahmen, sich auf die verinnerlichten mannschaftstaktischen Abläufe unter Lucien Favre zurück zu besinnen. Beispielsweise führten Sie die Viererkette wieder ein, nachdem unter Ihrem Vorgänger Andre Schubert meist eine Dreierkette zum Einsatz kam. Die Diskussionen darum kanzelten Sie anschließend als "oberflächlich und populistisch" ab. Wie war das gemeint?

Hecking: Man hat zwanghaft versucht, irgendwelche Unterschiede zu Andre Schubert oder Gemeinsamkeiten mit Lucien Favre auszumachen. Ich mag diese Vergleiche nicht. Ich bin ein ganz anderer Trainer als Lucien Favre, auch wenn ich jetzt dasselbe System spielen lasse. Ich habe von der ganzen Kaderzusammenstellung her etwas vorgefunden, das sich in der Vergangenheit und auch nach wie vor am besten angeboten hat. Andre Schubert war hier sehr erfolgreich, doch am Ende nur zu sagen, er habe ständig die Aufstellung verändert, greift viel zu kurz. Vielleicht musste er das aus Verletzungsgründen oder um die Belastung zu verteilen zwangsläufig machen. Es ist der falsche Ansatz zu behaupten, nur durch die Wiedereinführung der Viererkette sei wie selbstverständlich alles stabiler.

SPOX: Wie sah denn die Entscheidungsfindung dafür genau aus?

Hecking: Mir blieb nach meiner Übernahme nur wenig Zeit, um mir das bestmögliche Bild meiner neuen Mannschaft zu machen. Wir haben von 17 Tagen der Vorbereitung zwölf Tage lang Dreierkette gespielt. Ich wollte ein Gefühl dafür bekommen, ob die Mannschaft wirklich stabil genug dafür ist. Ich hatte aber den Eindruck, dass es nicht so richtig passt. Vor unserer ersten Partie in Darmstadt haben wir im Training mit der A-Mannschaft und einer Dreierkette gegen die B-Mannschaft gespielt. Da hat sie Probleme gezeigt, es wurde zwischen den Spielern viel über Laufwege und Abstimmung diskutiert. Das hat mir nicht gefallen, so dass ich die Entscheidung getroffen habe, künftig mit Viererkette zu spielen.

SPOX: Sie sagten auch, dass diese Betrachtungen grundsätzlich "etwas mehr in die Tiefe" gehen sollten. Trainerausbilder Frank Wormuth pflichtete Ihnen kürzlich bei, dass die Bewertung taktischer Systeme und Ordnungen mittlerweile überzogen sei. Man sähe plötzlich Dinge, die es möglicherweise gar nicht gibt, sagte Wormuth. Weshalb wird zu viel in das Thema Taktik hineininterpretiert?

Hecking: Es lassen sich mittlerweile sehr viele Menschen über Fußball aus. Es gibt Onlineportale, die Spieler und Partien analysieren. Da habe ich einmal einen Bericht über eines unserer Spiele gelesen. Darin standen Ausdrücke, da wusste ich auf Anhieb gar nicht, wie das gemeint sein könnte. Vieles wird heutzutage verwissenschaftlicht und verkompliziert. Ich selbst spreche keine veraltete Fußball-Sprache, denn der Fußball ist einfach. Ich muss nicht das Wort Matchplan bemühen. Das sind alles neue Wortschöpfungen, die ich zwar wahrnehme, aber für mich total unwichtig sind - und manchmal muss ich darüber schmunzeln.

SPOX: Andererseits: Wäre es nicht wünschenswert, wenn inhaltliche Themen breiter diskutiert würden anstatt des neuesten, mit Brillanten besetzten Rucksacks eines Profis?

Hecking: Das wäre absolut wünschenswert, aber das will doch niemand hören. Viele widmen sich kaum mehr inhaltlichen Themen. An der Gazzetta dello Sport in Italien hat mir immer gefallen, wie es dort ans Eingemachte geht und die Taktik des Trainers analysiert wird. Das liest man in Deutschland viel zu wenig. Hier ist wichtig: Verlängert er seinen Vertrag, wer kann mit wem, wo ist etwas schiefgelaufen? Aber das, was auf dem Platz passiert, interessiert fast niemanden mehr. Selbstverständlich muss das Produkt Fußball verkauft werden. Es lebt nicht von einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem Spiel. Dass sie aber beinahe gänzlich unter den Tisch fällt und abgetan wird, ist mehr als schade.

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