Kratzer im gepflegten Image

Von Stefan Rommel
Joachim Löw und sein Trainerteam nach dem EM-Aus gegen Italien
© Getty

Vor dem Argentinien-Spiel geht Joachim Löw in die Offensive. Die Mannschaft und er stehen unter besonderer Beobachtung - weil sich die Ausgangslage verändert hat.

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Vor der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine war das so: 62 Prozent der Deutschen haben sich gemäß einer Umfrage als Fan der deutschen Nationalmannschaft ausgewiesen. Während des Turniers dürften es dank Fanmeilen und der Laufkundschaft der Jubelperser an die 90 Prozent gewesen sein.

Die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw hat sich in den letzten Jahren zu einer Marke entwickelt. Die Sympathiewerte waren während des Turniers hoch wie nie, die Fans jubelten, Sponsoren rieben sich die Hände.

Makel des Verlierers

Dann kam dieses eine Spiel. Die Niederlage gegen Italien im Halbfinale von Warschau war mehr als nur das Ausscheiden bei einem großen Turnier. Der Mannschaft, die sich seither nicht mehr präsentieren durfte, haftet seitdem der Makel des ewigen Verlierers an.

Das wird auch noch mindestens zwei Jahre so bleiben. Die Weltmeisterschaft in Brasilien ist noch weit entfernt, auch wenn mit dem Testspiel gegen Argentinien (Mi., ab 20.30 Uhr im LIVE-TICKER) der erste Schritt auf dem langen Weg dorthin getan wird.

Löw geht in die Offensive

Das positive Image, das die Mannschaft umgibt, hat einige Kratzer erfahren an jenem Donnerstagabend. Das mag unfair sein gegenüber einem Team, das davor 15 Spiele in Folge siegreich und nur dieses eine Mal nicht auf der Höhe war. Es ist aber unübersehbar, dass die Stimmung beträchtlich gekippt ist.

Die Zahlen, mit denen davor kokettiert wurde, verdrehen sich seit Wochen ins Gegenteil. Vier Halbfinalteilnahmen in Folge hat keine andere Mannschaft der Welt bei großen Turnieren geschafft. Aber: Es wurde kein Titel geholt. 15 Spiele wurden in Folge gewonnen, Weltrekord - im entscheidenden Moment war die Mannschaft aber mal wieder nicht da.

Die Gründe dafür sind vielschichtig, es war eine Mixtur aus unglücklichen und selbst verschuldeten Faktoren. Unterm Strich bleibt aber, dass das Vertrauen in den besten Kader seit Jahrzehnten erschüttert ist. Und das in den Bundestrainer auch.

Joachim Löw hatte sich nach den Titelkämpfen zurückgezogen, bis auf die Standup-Pressekonferenz nach dem Rückflug am Terminal im Flughafen Frankfurt keine Statements abgegeben. Erst jetzt, 46 Tage danach, nahm Löw Stellung. Und ging in die Offensive.

"Sportliche Kritik nehme ich an"

"Nach dem Spiel gegen Italien gab es vielerlei Kritik, in verschiedenster Form. Die sportliche Kritik nehme ich an. Aber Teile dieser Kritik halte ich nicht für zielführend. Teile dieser Kritik ermüden mich."

Und weiter: "Was mich gestört hat und was ich leid bin: Wenn man das, was vorher alles gut war, als Beleg nimmt, warum es nicht klappt. Das trifft mich. Sportliche Kritik keineswegs. Die habe ich mit Demut anzunehmen."

Löw hat für den Test gegen Argentinien bis den bestmöglichen Kader nominiert. Abzüglich der Verletzten (Mario Gomez, Bastian Schweinsteiger) oder Verhinderten (Philipp Lahm) sind nach Gesprächen mit Arsenal-Coach Arsene Wenger noch Per Mertesacker und Lukas Podolski freigestellt, weil am Wochenende in England die Saison schon beginnt.

Dazu kommt noch Manuel Neuer, der sich beim Supercup-Spiel der Bayern gegen Borussia Dortmund verletzt hat.

Ausgangslage angespannt

Es dürfte für Löw Segen und Fluch zugleich sein, dass gegen Argentinien geht. Für Experimente bleibt angesichts des starken Gegners kein Spielraum. Löw wird deshalb die beste Elf aufbieten, die er aus seinem 18er-Kader basteln kann.

Er weiß, dass vielleicht das Ergebnis, ganz bestimmt aber die Art und Weise des Auftritts von großer Bedeutung sein werden. Löw hat die öffentliche Befindlichkeit mitgenommen in seinen Urlaub, eine schwache Vorstellung gegen Argentinien wird die Kritik schnell wieder befeuern.

Das war in den ersten Testspielen nach einem großen Turnier zuletzt immer anders. 2006 feierte Löw sein Debüt als Bundestrainer, es gab ein beschwingtes 3:0 gegen Schweden. Zwei Jahre später wurde gegen Belgien mit dem Rückenwind der Vize-Europameisterschaft heftig rotiert, am Ende aber trotzdem souverän gewonnen (2:0). Vor zwei Jahren reiste ein Restkontingent aus ehemaligen Nationalspielern nach Kopenhagen und holte dort ein 2:2.

Immer hatte es der Bundestrainer ziemlich leicht, weil die Euphorie des vorangegangenen Turniers noch da war und die Gegner zum damaligen Zeitpunkt nicht gerade furchteinflößend. Diesmal ist die Ausgangslage doch etwas angespannter.

Einige Diskussionen beendet

Dafür wurden zu viele Punkte zu lange unter Verschluss gehalten. Löw gab sich auf der Pressekonferenz nicht aggressiv, aber doch sehr bestimmt in seinem Ton und kündigte an, gewisse Kritikpunkte in Zukunft nicht mehr diskutieren zu wollen. Unter anderem die über die angeblich zu flache Hierarchie in seiner Mannschaft.

"Heute haben wir einen anderen Typus von Fußballer, von Führungsspieler. Deswegen halte ich diese Diskussion nicht für in Ordnung. Und ich werde sie in Zukunft nicht mehr führen", sagte Löw und fügte, ein wenig schief im Vergleich, mit an: "Sie glauben doch nicht, dass Millionen von Leute vor dem Fernseher sitzen oder beim Public Viewing sind, wenn da keine Siegertypen auf dem Platz sind!"

Die Euphorie ist leicht gedämpft, die Mannschaft und ihr Trainer agieren gewissermaßen unter Beobachtung. Dabei sind kaum Neuerungen zu erwarten. Es bleiben vorerst die üblichen Probleme.

Wirkung in der Öffentlichkeit

Es hat sich verblüffenderweise in den letzten Wochen kein neuer Wunderstürmer aufgedrängt, sieht man mal vom ehrgeizigen Vorhaben des Neu-Hoffenheimers Josule ab, der sich einen Einsatz für den DFB durchaus vorstellen könnte, irgendwann einmal.

So hat Löw nur einen Angreifer, der gleichzeitig auch der älteste Spieler im Kader ist: Miroslav Klose. Auch die Problemstelle rechts in der Viererkette wird wieder nur notdürftig verarztet. Das sind aber die Baustellen, die es in den nächsten Monaten und vielleicht Jahren anzugehen gilt.

Mit den Spezialdisziplinen wird sich Löw später befassen. Am Grundgerüst und der Perspektive der jungen Mannschaft, bei der EM die jüngste aller Teilnehmer, wird sich zunächst nichts Grundlegendes ändern. Jetzt geht es auch um seine Wirkung in der Öffentlichkeit.

Löw relativiert Vorgehen bei Wiese

Dass er dem soft aussortierten Tim Wiese nicht persönlich, sondern via seiner Mittelsmänner Hansi Flick und Andreas Köpke Bescheid geben ließ, stieß nicht nur Wiese neuem Trainer Markus Babbel auf. Schnell wurden die Parallelen zu Michael Ballack gezogen, wenngleich diese auch unzulässig sind.

"Zum einen ist Andi Köpke in allen sportlichen Fragen für die Torhüter der erste Ansprechpartner. Bei Tim Wiese hat niemand gesagt, dass es ein Ausschluss ist für alle Zeiten. Das ist es nicht!", stellte Löw klar.

"Wir wissen, dass wir immer, wenn es notwendig ist, auf ihn zurückgreifen können. Wann und wo wir das machen, ist unsere Entscheidung. Niemand anders kann das bestimmen! Ich empfinde es als eine Respektlosigkeit von Markus Babbel, wenn er solche Dinge von sich gibt."

Eine schwere Mission

Eine Retourkutsche, die in den Kontext von Löws Rede passt. Trotzdem steht er bei Teilen der Fans weiter als derjenige da, der sich um unangenehme Entscheidungen drückt.

Zusammen mit dem Gefühl, dass er hauptverantwortlich war für das Aus gegen Italien, ist das eine durchaus gefährliche Gemengelage für den Bundestrainer.

Ab Donnerstag wird er mit einem neuen Pressesprecher an seiner Seite agieren. Sein getreuer Weggefährte Harald Stenger wird dann durch eine neue Kraft ersetzt aus den Reihen des "alten" DFB.

Für Beobachter ein klares Zeichen dafür, dass die Abkoppelung der Nationalmannschaft vom DFB, wie sie von Löw und Teammanager Oliver Bierhoff vorangetrieben wurde, damit auch ein wenig eingebremst wird.

Der Zyklus beginnt am Mittwoch von neuem, wie alle zwei Jahre. Diesmal aber unter etwas anderen Vorzeichen. Es wird eine schwierige Mission für Joachim Löw, seine bisher schwerste als Bundestrainer.

Löw: "Die Form der Kritik ermüdet mich"

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