Übergang zur Normalität

Von Für SPOX bei der Nationalmannschaft: Stefan Rommel
Fünf Mal musste Marc-Andre ter Stegen (vorne) bei seinem Debüt hinter sich greifen
© Getty

Die Pleite der deutschen Mannschaft in Basel erinnerte an die der Bayern im Pokalfinale. Das Ergebnis besitzt wenig Aussagekraft, einzelne Problemzonen wurden trotzdem kritisch durchleuchtet.

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Acht Bayern-Spieler fehlten am Samstag in Basel, für sie wäre es ein Deja-vu gewesen. Wahrscheinlich wäre es mit den Münchenern erst gar nicht so weit gekommen, aber wer vermag das zu beantworten?

Jedenfalls entsprach das 3:5 der deutschen Nationalmannschaft gegen die Schweiz ziemlich exakt dem Duktus des DFB-Pokalfinales zwei Wochen davor in Berlin. Mit zwei Mannschaften, die an und für sich auf Augenhöhe agierten. Wobei sich die eine aber eine (größere) Vielzahl an Fehlern leistete und das Spiel am Ende verblüffend hoch verlor.

Die Gründe für die erste Niederlage gegen die Schweiz nach 56 Jahren und der höchsten einer deutschen Nationalmannschaft nach dem 1:5 gegen Rumänien vom Frühjahr 2004 waren dabei mannigfach. Ein Bündel an taktischen und individuellen Fehlleistungen führte zu fünf Gegentreffern - aber nicht zu kollektiver Hysterie, wie man sie eigentlich auch hätte erwarten können.

Trotzdem, oder gerade deshalb, war die Partie im Baseler St.-Jakob-Park auch so wichtig. Sie führt nicht dazu, dass zu Hause in Deutschland die Spieler Westermann, Träsch oder Aogo überstürzt ihre Koffer packen, wie manch zynischer Beobachter gemutmaßt hatte.

Löw braucht Zeit zur Aufarbeitung

Vielmehr machten sich die Protagonisten noch in der Nacht mit einem vernünftigen Maß zwischen realistischer Einschätzung und warnender Vorsicht an die Aufbereitung der Niederlage. "In diesem Spiel ist so viel passiert, das muss ich jetzt erst mal aufarbeiten", sagte Joachim Löw.

Und fing alsgleich damit an. Am Gate vor dem Rückflug nach Nizza nahm er sich den jungen Marc-Andre ter Stegen zur Seite. Den hatten die fünf Gegentore sichtlich mitgenommen.

Der sonst so selbstbewusste Torhüter war bereits nach dem Spiel angefasst, stellte sich selbst kein gutes Zeugnis aus. "Das war nicht mein bester Tag, ich habe auch meine Fehler und kein gutes Spiel gemacht. Fünf Gegentore tun schon weh. Ich bin sehr enttäuscht, auch von mir." Seit anderthalb Jahren ging ter Stegens Aufstieg fast schon beängstigend schnell, einen echten Rückschlag erlebt der Keeper noch nicht. In 40 Spielen in der Bundesliga waren zwei Gegentreffer die Obergrenze. Jetzt schlug es gleich fünfmal ein.

Löw kümmerte sich um seinen Spieler, danach redete Noch-Teamkollege Marco Reus auf ter Stegen ein. An dessen Gemütslage wollte sich in der Nacht nach dem Spiel aber nichts mehr ändern. Der Gladbacher war mit seiner ersten Bewährungschance im DFB-Dress bedacht worden, ein Protokollfehler machte ihn vor der Partie sogar ein paar Minuten zum fast sicheren EM-Fahrer.

Zieler: Der Gewinner des Spiels?

Der Schweizer Verband hatte auf dem Spielberichtsbogen nur 18 der 19 deutschen Spieler aufgeführt. Es fehlte Ron-Robert Zieler, gemäß allgemeiner Einschätzung der Rivale ter Stegens im Kampf um die dritte Torhüterposition. Das Dementi des DFB folgte ein paar Minuten später, Zieler sei sehr wohl im Kader und werde auf der Bank Platz nehmen. Der mündlichen Ankündigung folgte dann kurz später auch der schriftliche Beweis in Form einer aktualisierten Spielerliste.

Auf den ersten Blick erscheint 90 Minuten später Bankdrücker Zieler als der heimliche Gewinner. Der hatte in seinem ersten und bislang einzigen Spiel ein ähnliches Debakel erlebt, beim 3:3 in der Ukraine aber wenigstens eine Spur gemäßigter.

Auch ter Stegens Rückennummer 27, in den letzten Jahren vor großen Turnieren ein leiser Hinweis für den Rauswurf in letzter Minute, spricht nicht unbedingt für den 20-Jährigen. Trotzdem hält Löw weiter an ter Stegen fest. "Er muss den Kopf nicht hängen lassen. Er hat eine Riesensaison gespielt und hat unglaubliche Anlagen. Marc-Andre ter Stegen jetzt zu kritisieren, wäre völlig falsch. Er ist ein guter Torwart."

Wichtiger als die Entscheidung, wer denn nun als dritter Torhüter mit nach Danzig reisen darf, waren andere Erkenntnisse, die Löw aus Basel mit nach Südfrankreich nehmen konnte. "Konzentrationsfehler, schlechtes Spiel ohne Ball, schlechte Defensivarbeit, Abstimmungsprobleme - all das wurde aufgedeckt", sagte der Bundestrainer.

Er selbst hatte wie schon im einzigen Test des Jahres zuvor gegen Frankreich mit einer extrem offensiv ausgerichteten Aufstellung auch großen Anteil am ungewöhnlichen Spielverlauf. Im Februar in Bremen war gegen die Grande Nation auffällig, wie groß die Räume zwischen dem defensiven Mittelfeld und der Viererkette waren.

In Basel schickte Löw eine Elf aufs Feld, die zwischen einem 4-2-3-1 und einem 4-1-4-1 flüssige Übergänge finden sollte. Neben Angreifer Miroslav Klose orientierten sich die offensive Mittelfeldreihe (Schürrle, Özil, Podolski) und Mario Götze stark nach vorne. Der Dortmunder sollte sich zwischen den Reihen bewegen.

Götze und Khedira ohne Abstimmung

Mit dem immer wieder nach vorne stoßenden Sami Khedira fehlte es aber fast komplett an der Abstimmung. Dagegen saßen in den beiden Benders und Ilkay Gündogan drei gelernte defensive Mittelfeldspieler lange nur auf der Bank.

So verteidigte die Mannschaft im vorderen Drittel zwar energisch, aber wenig zielgerichtet gegen den Ball, hatte dahinter aber fast keine Absicherung mehr. "Wir haben es nicht geschafft, die Schweizer unter Druck zu setzen. Und dann ist das auch für die Abwehr schwer", erklärte es Klose.

Die Ausrichtung war zu offensiv, der Testzweck wurde aber erfüllt. Immerhin bleibt die Erkenntnis, dass Özil und Götze in dieser Konstellation kaum gemeinsam auf den Platz zu bringen sind.

Dem Dortmunder war die lange Wettkampfpause anzumerken. Er kam seinen Defensivaufgaben nicht ordentlich nach, hatte ein schlechtes Stellungsspiel und Zweikampfverhalten. Dazu Probleme in der Ballverarbeitung. Am Ball und in Eins-gegen-eins-Situationen fehlt noch die Spritzigkeit.

Löw rechnete mit Problemen

"Nach den sehr intensiven Einheiten wusste ich schon, dass die Frische fehlt. Wir haben jetzt zwei Wochen Zeit, um daran zu arbeiten. Die Abstimmung wird besser, da bin ich sicher", so Löw. Die fehlte auch in der Viererkette. "Man hat gesehen, dass noch nicht alles funktioniert", sagte Per Mertesacker, "das ist noch die beste Erkenntnis des Abends."

Die beiden Außenverteidiger Benedikt Höwedes und Marcel Schmelzer konnten ihre Chancen nur bedingt (Höwedes) oder kaum (Schmelzer) nutzen. Ähnlich wie bei Mats Hummels fehlte auch Schmelzer eine wichtige Zutat, die das Spiel bei seinem Heimatklub Borussia Dortmund hat: Im Mittelfeld wird da enormer Druck auf den Gegner gemacht, der den Spielern der Viererkette die Balleroberung einfacher macht.

Gegen die Schweiz aber schoben sich die Zuspiele der Gastgeber nur so durch die deutsche Abwehrreihe, dass die vier da hinten - unterstützt durch genügend eigene Unzulänglichkeiten - allesamt keine gute Figur abgaben.

Wie dezent aussagekräftig aber so ein Testspielergebnis inmitten einer kraftzehrenden Vorbereitung sein kann, zeigten die Resultate aus anderen Stadien.

Gruppengegner enttäuschen ebenfalls

Wie zum Beweis, dass Vorbereitungsspiele mitunter lustige Ergebnisse fabrizieren und im Spielausgang nicht ihren tieferen Sinn haben, spielten die deutschen Gruppengegner am Samstag: 0:0 (Portugal gegen Mazedonien), 1:3 (Dänemark gegen Brasilien) und 1:2 (die Niederlande gegen Bulgarien).

Die deutsche Niederlage in Basel werde die Sinne noch mehr schärfen für die Fehler, die begangen wurden, sagte Hummels. Und außerdem warteten bei der Ankunft spät nachts in Tourrettes ja bereits die davor absenten Bayern.

Wenn Löw die Phase kurz vor dem Schweiz-Spiel als heiß bezeichnet hatte, geht es ab Montag in das zwar sehr kurze, aber dafür umso hitzigere letzte Drittel der Vorbereitung. Dann endlich mit dem kompletten Stamm.

"Einige Spieler haben gefehlt, die unser Spiel prägen", sagte Löw. "Mit den Bayern-Spielern gehen wir zur Normalität über."

Schweiz - Deutschland: Daten und Fakten zum Spiel

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