Hemmungsloses Piesacken

Diego Simeone sprach nach dem Finaleinzug als erstes mit seinem Sohn via Facetime
© getty

Atletico Madrid greift zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren nach dem Champions-League-Titel. Der Stil der Rojiblancos bietet Angriffsfläche und wird nicht selten kritisiert. Man muss Atletico nicht lieben, doch die Mannschaft hat allen anderen großen Teams in Europa etwas voraus.

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Diego Simeone führt eine Art Doppelleben, wobei die Prioritäten recht ungleich verteilt sind. "Ich lebe fast 24 Stunden am Tag für Atletico", gibt der Trainer der Rojiblancos zu. Genauer gesagt sind es 23 Stunden, 55 Minuten. Der Rest geht für die Familie drauf.

Jeden Tag, meistens in den mitteleuropäischen Abendstunden, kommuniziert Simeone via Skype mit seiner Familie. "Dann bin ich für ein paar Minuten ein normaler Mensch, Ehemann und Familienvater", sagt er. Der Großteil des Simeone-Clans lebt in dessen Heimat Argentinien, der 19-jährige Sohn Giovanni stürmt für River Plate Buenos Aires.

Als er in Madrid als Trainer anfing, brachte Diego Simeone Big Brother gleich mit. Er werde die Spieler keine Sekunde aus den Augen lassen, negative Einflüsse, die den Erfolg der Mannschaft gefährden, würden ihm nicht verborgen bleiben. "Meine Familie ist nicht hier, ich habe also nichts Besseres zu tun", sagte er.

Facetime mit den Kindern

In Gedanken ist seine Familie aber immer bei ihm. Nach großen Siegen zieht er als erstes sein Handy aus der Hosentasche und ruft eins seiner Kinder an.

Das war am Dienstagabend nicht anders. Während sich Spieler und Betreuer der Rojiblancos in den Armen lagen und mit den 2.800 mitgereisten Fans den erneuten Einzug ins Champions-League-Finale feierten, hatte Simeone seine Söhne Giovanni und Gianluca am Ohr. "Er war sehr emotional und wollte den Erfolg mit uns teilen. Das macht er immer so", sagte Gianluca zu Marca.

Dieses Ritual ist für Simeone alltäglich geworden. Seit viereinhalb Jahren trainiert er Atletico und hat in dieser Zeit jede Menge große Spiele erfolgreich bestritten. Gleich in seiner ersten Saison gewannen die Colchoneros die Europa League, gefolgt vom Triumph in der Copa Del Rey 2013 und dem Meistertitel 2014. UEFA- und spanischen Supercup gab es obendrauf.

Nun hat Simeone Atletico zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren ins Finale der Champions League geführt und hat drei Spieltage vor Schluss auch noch gute Chancen, die Phalanx von Real Madrid und den FC Barcelona in der Meisterschaft erneut zu durchbrechen.

Ballbesitz? Braucht Atletico nicht

"Ihr seid unglaublich. Der Glaube hat Atletico nach Mailand gebracht", jubelte Marca am Tag nach dem Drama von München. Atletico musste leiden, laut Kapitän Gabi "von der ersten bis zur letzten Minute." Aber Leiden gehört quasi zum Repertoire der Rojiblancos. Simeones Stil setzt eine hohe Leidensfähigkeit voraus.

Der Ball wird gerne dem Gegner überlassen, egal ob der damit etwas anfangen kann oder nicht. In keinem der vier Spiele gegen den FC Barcelona und den FC Bayern kam Atletico auf mehr als 28 Prozent Ballbesitz, im Schnitt waren es 25,6.

Die Heatmap von Atletico in München: Alles Mann hinten rein

Atleticos Spiel ist auf starke Defensive, enorme Intensität und eine hohe Effizienz im Abschluss ausgelegt. Vier echte Torchancen gab es in zwei Spielen gegen die Bayern, zwei Mal schlug Atletico zu. Das ist eine Qualität, die in großen Spielen sehr häufig über Sieg und Niederlage entscheidet.

Keine Mannschaft hat das in den letzten drei Jahren in der Champions League ansatzweise so gewinnbringend umgesetzt wie Atletico Madrid. Und keine Mannschaft hat die Großen (Bayern, Real, Barca) in den letzten drei Jahren ansatzweise so gepiesackt wie Atletico Madrid. Die Rojiblancos haben ihre Möglichkeiten im Vergleich zur Konkurrenz am besten ausgeschöpft.

Simeone immun gegen Kritik

Simeone muss sich trotz seiner Erfolge immer wieder Kritik an seiner Spielphilosophie anhören. Barca-Legende Xavi sagte vor dem Rückspiel in München, dass große Mannschaften nicht so Fußball spielen dürften wie es Atletico tut. Arturo Vidal klagte am Dienstag, dass der "hässliche Fußball" triumphiert hätte.

Simeone kann mit derartigen Äußerungen nichts anfangen und sie interessieren ihn auch nicht. "Jede Mannschaft, jeder Trainer hat seinen eigenen Stil. Ich habe meine Vorstellungen und bin von meinen Spielern abhängig. Was sie mir anbieten, versuche ich in ein Konzept zu packen, dass uns den meiner Meinung nach bestmöglichen Erfolg bringt", sagte er.

Man muss kein Fan von Atleticos Stil sein. Man muss sie nicht lieben und man muss auch nicht alles, was Simeone macht, gut finden. Seine Tänze an der Seitenlinie und die Versuche, den Schiedsrichter zu beeinflussen, sind grenzwertig. Aber der Erfolg gibt ihm Recht und das gilt es anzuerkennen.

Es steht schwarz auf weiß: Atletico Madrid hat den FC Bayern aus dem Wettbewerb geworfen. Wer erfolgreich sein will, muss Ergebnisse liefern. Dass der FC Bayern im Rückspiel die klar bessere Mannschaft war, steht außer Frage. Antoine Griezmann hatte darauf die passende Antwort: "Der Bessere ist der, der gewinnt."

FC Bayern München - Atletico Madrid: Daten zum Spiel

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