Das Rensing-Opfer

Von Fatih Demireli
Thomas Kraft spielt seit 2004 beim FC Bayern München
© Getty

Das Spiel gegen den FC Basel war für einige Bayern-Profis eine lästige Pflichtaufgabe. Für Thomas Kraft war es eine seltene Gelegenheit, zu beweisen, dass er der Bayern-Torwart der Zukunft sein könnte. Trainer Louis van Gaal steht auf den 22-jährigen Youngster, doch ein Vorgänger macht Kraft das Leben schwer. Und da ist ja auch noch Manuel Neuer.

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Dass Interviewpartner nicht immer pünktlich zu ihren Terminen kommen, sind Journalisten gewohnt. Oft bleibt den Reportern nichts anderes übrig, als die Zeit totzuschlagen, um sich dann umso mehr auf Fragen und Antworten zu stürzen. Aber ganz ehrlich: Fast eine Stunde auf den Ersatztorwart des FC Bayern München zu warten, war dem einen oder anderen dann doch zu viel.

Angekündigt war Thomas Kraft, nach 50-minütiger Wartezeit kam aber Oliver Kahn. Das Gefühl hatte man zumindest. Viele öffentliche Auftritte hatte Bayerns junger Torhüter Kraft bisher noch nicht. Dafür gab es einfach keinen Anlass. Doch im Champions-League-Spiel gegen den FC Basel , das für die Bayern von der Gruppentabelle bedeutungslos war, bekam er eine erneute Chance in der Startelf und machte ein starkes Spiel. Davor durfte er reden. Über sich. 

Der Vergleich mit Rensing

Seinem Gegenüber reichten zwei Minuten, um das Gefühl zu bekommen, Oliver Kahn sei als Thomas Kraft wiedergeboren worden und sitze jetzt im Presseraum: gestenreiche Gesprächsführung, besonders die langen Arme in ständiger Aktion, Augen, die selten den Gesprächspartner treffen und die große Lust, jede Frage mit einer Gegenfrage a la "Was heißt jetzt..." zu beantworten.

Doch eigentlich mag Kraft keine Vergleiche: weder mit Kahn, noch mit Jörg Butt und schon gar nicht mit Michael Rensing. Dabei liegt besonders letzterer Vergleich verlockend nahe. Junger, aufstrebender Bayern-Keeper mit der Perspektive, den alternden Stammtorwart mittelfristig zu beerben. Die Krux dabei: genau dies ist bei Rensing nicht aufgegangen.

Lob von Kroos

Wagen die Bayern-Bosse nun einen neuen Versuch? "Die Sache mit Rensing ist bestimmt noch in manchen Köpfen drin", sagt Kraft mit ruhiger Stimme. Kahn eben. "Viele denken sich, bestimmt auch viele Fans, dass es gefährlich sein könnte."

Ein großes Talent hat Kraft zweifellos, aber auch das Vertrauen der Vorgesetzten, die ein erneutes Rensing-Dilemma verhindern wollen? So gesehen ist Kraft ein Rensing-Opfer, aber Kraft macht sich Hoffnung.

"Ich bin voll akzeptiert in der Mannschaft", sagt Kraft. Toni Kroos, genauso wie der Torhüter aus der Bayern-Jugend zu den Profis aufgestiegen, bestätigt bei SPOX: "Er ist ein großes Talent, das lange hier dabei ist. Er hat viel gesehen, viel miterlebt, er hat mit Oliver Kahn trainiert. Ich sehe ihn absolut als Top-Torhüter und würde ihm das zutrauen."

Kraft-Fans: Van Gaal und Hoek

Auch Bayerns Chefcoach Louis van Gaal und Torwarttrainer Frans Hoek halten viel von Kraft. Vor allem dessen fußballerische Fähigkeiten, fast das wichtigste Kriterium der niederländischen Trainercrew, schätzt das Duo. Kraft, aber auch Butt, merkt man das Training unter Hoek an. Im Sommer ließ van Gaal Kraft sogar in dem einen oder anderen Testspiel auf dem Feld spielen, als WM-Urlaub und Verletzungen Engpässe im Kader verursachten.

Kraft verkörpert eigentlich das Ideal eines Louis van Gaal. Nach Thomas Müller, Holger Badstuber und Diego Contento wäre Kraft der nächste Bayern-Junior, den van Gaal zum Profi "macht", wie es der Bayern-Trainer gerne ausdrückt: für van Gaal ist das "Machen" eines Spielers mindestens so wertvoll wie Titel. Ob er aber Kraft eine Chance geben kann bzw. darf, ist Zukunftsmusik.

"Dann sind meine Perspektiven eingeschränkt"

Zumal ganz offensichtlich die Chefetage eine externe Lösung bevorzugt, die Manuel Neuer heißt. Alles deutet daraufhin, dass die Bayern spätestens im Frühjahr eine Offensive Richtung Gelsenkirchen starten werden. Sollte sich die tabellarische Situation des FC Schalke 04 bis dahin nicht erheblich verbessern, steigen die Chancen der Bayern. Selbst ehemalige Bayern-Leitwölfe wie Oliver Kahn oder Stefan Effenberg raten öffentlich, den Nationaltorhüter zu holen.

Sollte Neuer zum FC Bayern wechseln, wäre er die sichere Nummer eins und Jörg Butt würde dann, so sieht es der Plan vor, mit sofortiger Wirkung zum neuen Nachwuchskoordinator ernannt werden. Kraft dagegen würde wieder der Platz auf der Bank bleiben: "Wenn sie eine klare Nummer eins holen, sehe ich meine Perspektiven eher eingeschränkt", sieht Kraft das Treiben realistisch.

Vertrag läuft aus

Die Zukunft des Youngsters ist ohnehin ungewiss, zumal der Vertrag zum Saisonende ausläuft. Gespräche habe es noch nicht gegeben: "Ich habe mir noch keine großen Gedanken gemacht", erzählt Kraft."Irgendwann werden wir darüber sprechen, was nächstes Jahr passiert. Ich habe die Position, selbst zu entscheiden." Sollte Neuer kommen, nehmen die Bayern Kraft die Entscheidung womöglich ab. Ein Versuch, bei einem anderen Verein die Stammposition anzugreifen, wäre dann die wahrscheinlichste Lösung für Kraft.

Vorher will Kraft aber noch für den FC Bayern ein paar Spiele machen: "Ich will so häufig wie möglich spielen. Irgendwann will ich auch in der Bundesliga jedes Wochenende spielen. Irgendwann kann irgendwann sein, vielleicht auch ganz schnell." Klingt wie eine kleine Kampfsansage an Butt, auch wenn Kraft weiß, dass "Jörg diese Saison spielt".

Gegen Basel durfte Kraft also ran - auch um Argumente für seine Position zu sammeln - mehr aber auch nicht. "Ich muss keinem etwas zeigen, ich will für mich gut spielen." Klingt ganz wie der junge Kahn...

Manuel Neuer: Zwischen allen Fronten

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