Die Chance auf etwas ganz Großes

Von Stefan Rommel
Als Dritter 2008/2009 muss sich der VfB Stuttgart erst noch für die Champions League qualifizieren
© Getty

Wenige Tage vor dem Start der Bundesliga stellt SPOX alle 18 Klubs in der großen Vorschau-Serie vor - mit allen Transfers, Hintergründen und der Saison-Prognose. Diesmal: der VfB Stuttgart.

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Es war ein echtes Spektakel, das der VfB Stuttgart mehr oder weniger unfreiwillig in der Sommerpause zum Besten gab. Wochenlang zog sich die Suche nach einem Nachfolger für Mario Gomez zäh wie Kaugummi in die Länge - und am Ende triumphierten doch die Sportdirektoren Horst Heldt und Jochen Schneider.

In den Unwirren der turbulenten Stürmersuche durfte Coach Markus Babbel das Tagesgeschäft nicht aus den Augen verlieren, denn schon bald stehen die nächsten richtungweisenden Entscheidungen an - und ein paar unkonventionelle Dinge gilt es auch zu lösen.

Das ist neu

Gomez heißt jetzt Pogrebnjak. Das beherrschende Thema des VfB-Sommers war die leidige Suche nach einem geeigneten Nachfolger für den teuersten Spieler der Bundesliga-Geschichte (vorerst 30 Mio. Euro Ablöse vom FC Bayern).

Dabei spielten die Verantwortlichen mehrere Modelle und Personen durch, die aber aus den verschiedensten Gründen nicht realisierbar waren. Von Helmes (Kreuzbandriss) über Ba (Medizincheck nicht bestanden) bis Huntelaar (wollte nicht zum VfB) und Vagner Love (mit 22 Mio. Euro zu teuer). Dazu kam noch der geplatzte Deal mit Lüttichs Jovanovic - Stuttgart sah lange Zeit wie der große Verlierer der Transferperiode aus.

Dann aber machte Heldt ernst und zog mit Pogrebnjak und vor allem der Rückholaktion von Alex Hleb zwei ganz dicke und vor allen Dingen enorm preisgünstige Spieler an Land. Pogrebnjak ist von seiner Spielanlage Gomez sehr ähnlich, Hleb wird das eh schon gut besetzte Mittelfeld um die Komponenten Spieltempo und internationale Erfahrung deutlich erweitern. (Der Kader des VfB Stuttgart)

Neu ist allerdings auch, dass der Cheftrainer von Montag bis einschließlich Mittwoch nicht bei der Mannschaft weilen kann. Markus Babbel muss jede Woche zum Trainerlehrgang nach Köln fahren. Es könnte ein Stolperstein werden, wie die jüngere Vergangenheit schon gezeigt hat (Wück in Ahlen, Hock in Wehen).

Und neu wird auch das Stadion. Die Mercedes Benz Arena wird in ein reines Fußballstadion umgebaut. Die Kapazität verringert sich deshalb während der anstehenden Saison von 58.000 auf 41.000 Plätze.

Die Taktik

Bereits im November hat Babbel das für den VfB beste System gefunden. Im 4-4-2 mit zwei Sechsern entfaltete sich Stuttgarts Spiel am effektivsten. Die beiden zentralen, defensiven Mittelfeldspieler Thomas Hitzlsperger und Sami Khedira gehören mit zum Besten, was die Liga auf der Position zu bieten hat. Auf den Außen bieten sich Babbel mit Timo Gebhart (rechts) und Hleb (links) zwei extrem schnelle, dribbelstarke Kreativspieler an.

Die Viererkette steht soweit. In der Innenverteidigung sind Serdar Tasci und Mathieu Delpierre gesetzt, links hat Ludovic Magnin die Nase vor Artur Boka vorn. Auf der rechten Seite hat Shootingstar Christian Träsch noch minimalen Vorsprung vor Zugang Stefano Celozzi.

Im Sturm ändert sich viel - und doch sehr wenig. Gomez wird nicht so schnell und schon gar nicht eins zu eins zu ersetzen sein. Aber Pogrebniak bringt im Prinzip alles mit, um den Nationalspieler schneller vergessen zu machen, als viele befürchtet hatten. Dabei wird er wie Gomez durch den rochierenden Cacau als Vorbereiter unterstützt. Der Brasilianer hat immer noch deutlichen Vorsprung von Ciprian Marica.

Die mittlerweile sehr gut besetzte Bank lässt den Schwaben sowohl personell als auch taktisch noch viel Spielraum. Im Zweifelsfall kann Babbel auch wieder - wie unter Armin Vehs Zeiten - mit einer Raute und klassischem Spielmacher spielen lassen. Mit Hleb, Yildiray Bastürk oder Jan Simak stehen genügend Alternativen zur Verfügung.

Sehr interessant wird in dem Zusammenhang auch die Entwicklung der jungen Spieler wie Julian Schieber (Sturm) oder Sebastian Rudy (Mittelfeld) zu sehen sein.

Der Spieler im Fokus

An und für sich hätte diese Kategorie dem Gomez-Nachfolger gebührt. Aber Alexander Hleb sticht in Stuttgart nun mal alles aus. 1000 Fans harrten bei seiner ersten Trainingseinheit trotz strömenden Regens aus, der Weißrusse wird nahezu vergöttert.

Nach einigem Hin und Her fand Hleb zunächst für ein Jahr den Weg zurück in seine Heimat (Hleb-Interview) und hievt den VfB - ohne auch nur ein einziges Spiel absolviert zu haben - auf eine neue Stufe. Der 28-Jährige hat sich in London und Barcelona die Hörner abgestoßen und auch eine beträchtliche Anzahl an Meriten gesammelt.

Seine Tempodribblings, seine Erfahrung und sein spielerisches Genius sollen dem VfB nach einem sehr erfolgreichen Jahr endlich auch eine erfolgreiche Anschluss-Saison bescheren und als Bonus obendrauf die Qualifikation zur Champions League sichern. Mit dem FC Timisoara hat man eine lösbare Aufgabe vor sich.

Die Erwartungshaltung ist enorm, aber Hleb hat neben seinen unbestrittenen Fähigkeiten auch den Faktor Zeit und vor allem die Fans auf seiner Seite. Selbst eine längere Anlaufzeit würde man dem verlorenen Sohn gewähren - in Stuttgart keine Alltäglichkeit.

Das Kurz-Interview

Frage: Es wird Ihr erstes komplettes Jahr als Cheftrainer und größer könnten die Herausforderungen nicht sein: Platz 3 gilt es zu behaupten, Jahr eins nach Gomez, Trainerlizenz als Hemmschuh und eventuell noch die Teilnahme am wichtigsten Vereinswettbewerb der Welt. Haben Sie Angst?

Markus Babbel: Angst ist im Fußball generell fehl am Platz. In der kommenden Saison warten große Aufgaben auf uns, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Wir haben uns in den vergangenen Wochen dementsprechend konzentriert und intensiv vorbereitet und freuen uns jetzt darauf, dass es endlich los geht.

Frage: Was erwarten Sie sich ganz persönlich für Ihre Entwicklung im zweiten Jahr als BL-Trainer?

Babbel: Die kommende Saison stellt wegen der parallel laufenden Trainerausbildung natürlich auch für mich persönlich eine besondere Situation dar. Aber ich habe das Glück, über ein hervorragendes Trainerteam zu verfügen, das mich optimal vertritt, wenn ich nicht bei der Mannschaft sein kann.

Frage: Nach sehr erfolgreichen Jahren hat der VfB fast schon ein traditionelles Problem mit der jeweiligen Saison danach. Gerade dieses Mal könnten sich die Spieler hinter ein paar Alibis verstecken.

Babbel: Beim VfB Stuttgart wird niemand nach Alibis suchen und es gibt auch keinen Grund, pessimistisch zu sein. Im Gegenteil: Unser Kader ist gut besetzt und alle Beteiligten wissen, worauf es ankommt.

Die Prognose

Eine aufregende Saison liegt vor dem VfB Stuttgart. Es ist das Jahr eins nach Gomez, wie sich die Sache mit Coach Babbel und dessen Ausflüge zum Trainerlehrgang entwickelt, ist noch niemandem so recht klar. Dazu kommt der Umbau des Stadions, der sich unter Umständen negativ auf die Heimstärke auswirken könnte - das alles sind potenzielle Gefahrenherde, die die Spieler als Alibis benutzen könnten, wenn es nicht so läuft.

Und gleich zu Beginn natürlich die große Chance zum Aufstieg in den Geld-Himmel. Mitte und Ende August steigen die beiden Spiele um die Qualifikation zur Champions League gegen Timisoara. Für den VfB wäre eine erneute Teilnahme in so kurzer Zeit (zuletzt 2007) ein Meilenstein auf dem Weg, sich in den Top fünf der Bundesliga zu behaupten und sich als Verfolger der Bayern zu etablieren. Angesichts der immer weiter aufrüstenden Konkurrenz vielleicht sogar eine einmalige Chance.

Die Testspiele und das Pokalspiel beim Regionalligisten Sonnenhof-Großaspach haben aber auch gezeigt, dass noch nicht alle Rädchen ineinandergreifen. Vor allem im Defensivverhalten gibt es noch einige Probleme.

Die Vorzeichen aber stehen trotz aller Unwägbarkeiten so günstig wie eigentlich noch nie. Ein Platz unter den Top fünf muss das Mindestziel sein. Angesichts der eingespielten Mannschaft, verstärkt durch Hleb, ist aber auch mehr drin. Kühne Optimisten reden sogar schon von der Meisterschaft.

Der VfB Stuttgart in der Sommerpause