"Ich hatte nicht mehr viel zu verlieren"

Horst Heldt arbeitet seit Juli 2010 als Manager beim FC Schalke 04
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SPOX: Bewundern Sie jemanden wie Jürgen Klopp, der in jeder Lage wie selbstverständlich Authentizität ausstrahlt?

Heldt: Bewundern ist vielleicht der falsche Ausdruck, dennoch besitze ich eine sehr hohe Meinung von ihm. Er ist der erfolgreichste deutsche Trainer der vergangenen Jahre und ich ziehe vor seinen Erfolgen den Hut. Eine seiner Stärken ist sicherlich seine Authentizität und Nahbarkeit. Er verstellt sich nicht und präsentiert sich immer so, wie er auch ist.

SPOX: Auf Schalke sollen die ureigenen Werte und Traditionen nicht vergessen werden. Haben Sie Benedikt Höwedes und Julian Draxler mehr mit dem Argument "Volksnähe" überzeugt als mit dem Argument "Geld"?

Heldt: Man muss zwischen beiden etwas differenzieren. Bei Benedikt war Authentizität sicher ein sehr wichtiges Thema. Wie bei Julian haben die Erfolge Begehrlichkeiten geweckt, anders als bei Julian nähert sich Benedikt der Blüte seiner Karriere. Da ist es nachvollziehbar, dass ein Spieler seiner Klasse sich auch mal mit dem Gedanken beschäftigt: Möchte ich in meiner aktiven Laufbahn im Ausland spielen? In intensiven Gesprächen konnte ich ihn überzeugen, dass es zu der Überlegung, im Ausland Erfahrung sammeln zu wollen, eine nachhaltige Alternative gibt. Wer hat eine Karriere bei einem Verein begonnen und beendet? Und das in der heutigen Zeit mit permanenten Transfers? Ich bin überzeugt: Für das Leben nach dem Fußball ist es ein Riesenvorteil, schon als Profi Werte wie Kontinuität und Loyalität zu verkörpern. Besonders bei jemandem wie Benedikt, der sich als Weltmeister nach der Karriere ganz sicher in der Fußball-Gesellschaft sehr stark positionieren wird. Das bedeutet nicht automatisch, dass er für immer auf Schalke spielt. Durch solche Entscheidungen wie in diesem Sommer zeigt er jedoch, für welche Werte er stehen will.

SPOX: Für Draxler gilt das nicht?

Heldt: Julian ist ein herausragender Spieler mit herausragenden Möglichkeiten. Er steht wie Benedikt für den Schalker Geist, wobei für ihn vor allem sportliche Aspekte entscheidend sind. Es macht Sinn, dass er nach der nicht so guten Vorsaison mit den Verletzungen wieder richtig zu alter Form zurückfindet und seine riesigen Qualitäten bei uns nachweist. Wenn er die Leistungen wieder konstant abruft, wird er automatisch das Interesse auf sich ziehen. Das ist ganz normal bei einem jungen Spieler mit seinen Qualitäten.

SPOX: Um Ihren besten Spielern zudem finanziell Perspektiven aufzeigen zu können, könnte eine Ausgliederung der Fußball-Abteilung aus dem Gesamtverein hilfreich sein. Ist ein solcher Schritt auf Schalke weiter undenkbar?

Heldt: Solange Clemens Tönnies den Aufsichtsrat leitet, wird es keine Ausgliederung geben. Wir vom Vorstand teilen diese Position. Was mir in der öffentlichen Bewertung häufig untergeht: Bayern, Dortmund, Wolfsburg, Leverkusen und Mönchengladbach sind keine eingetragenen Vereine mehr, wir hingegen sind es. Trotzdem bleiben wir konkurrenzfähig und spielen wie die anderen genannten Klubs seit Jahren oben mit. Das ist ein sehr wertvolles Alleinstellungsmerkmal.

SPOX: So wichtig Volksnähe für einen Fußball-Verein ist: Wie gehen Sie mit dem Vorwurf um, dass Schalke zu populistisch auf die Wünsche der Fans eingeht? Etwa bei der Einführung des Beirats: Viele Beobachter runzeln die Stirn ob der delikaten Situation. Mit Mike Büskens und Huub Stevens wurden zwei aktive Trainer in dieses Beratungsorgan berufen, die im Falle des Misserfolgs automatisch als Nachfolger für den amtierenden Chefcoach Andre Breitenreiter genannt werden würden.

Heldt: Ich habe Verständnis für eine gewisse Skepsis, weil Außenstehende den Prozess der Entscheidung für einen solchen Beirat und dessen Aufgaben und Funktion nicht kannten. Allerdings gibt es verbindliche Absprachen mit dem Beirat. Ich kann ihnen versichern: Die beiden aktiven Trainer sind nicht auf Ämter aus. Die Arbeit mit dem Beirat ist hingegen sehr konstruktiv und macht mir große Freude. Es ist die richtige Entscheidung, Leute an den Verein zu binden, die ihn geprägt haben. Das macht Schalke aus.

SPOX: Sie sortierten Kevin-Prince Boateng aus und verpflichteten unter anderem mit Sascha Riether jemanden, der den Prototyp eines Anti-Stars darstellt. Ist die Sichtweise zulässig, dass Boateng das alte Schalke und Riether das neue Schalke verkörpert?

Heldt: Wir möchten einen guten Mix aus gesundem Selbstbewusstsein und einer gewissen Demut, das ist ganz wichtig. Bei Sascha ist zu spüren, dass er unbedingt für uns spielen will, in jedem Training Vollgas gibt und sich ins Team eingliedert. Kevin-Prince hatten wir mit einem komplett anderen Anforderungsprofil verpflichtet. Er sollte eine Führungsrolle in der Mannschaft übernehmen. In seinem ersten Jahr setzte er sehr viel von dem um, was wir von ihm erwartet haben und hatte großen Anteil an der Champions-League-Qualifikation. Das darf man nie vergessen, auch wenn es am Ende nicht mehr funktioniert hat und wir beiderseitig nicht mehr zusammenarbeiten wollen.

SPOX: In der Vorsaison gab es nicht nur Probleme mit Boateng, sondern auch mit den selbst ausgebildeten Talenten: Draxler und Max Meyer stagnierten, Joel Matip und Kaan Ayhan tragen sich mit Abwanderungsgedanken, Donis Avdijaj wurde an Graz verliehen. Welche Lehren ziehen Sie daraus?

Heldt: Wir dürfen uns nichts vormachen: Das System, eigene Talente auszubilden und im Profiteam zu etablieren, hat auch seine Tücken. Wenn wie bei uns regelmäßig viele junge Spieler hochkommen, kann es auch Verlierer geben: andere junge Spieler, die zuvor ins Profiteam befördert wurden. Oder junge Spieler, die den Durchbruch nicht ganz schaffen. Je besser wir Jugendarbeit betreiben - und die ist bei uns exzellent -, desto stärker steigen natürlich die Ansprüche der extrem gut ausgebildeten Talente, umso mehr Reibungspunkte können entstehen. Unsere Aufgabe ist es, die Balance zu wahren und zwischen den unterschiedlichen Interessen zu vermitteln. Das war eine Herausforderung in den vergangenen Jahren. Die persönlichen Interessen rückten zuletzt bisweilen zu sehr in den Vordergrund. Daher haben wir die Kehrtwende eingeläutet: Wir sind erst in den Anfängen, aber jeder ordnet sich wieder ein und der Trainer lenkt die mannschaftliche Dynamik so, dass sich alle Spieler trotz des enormen Konkurrenzkampfs im Team widerfinden. Es wird spannend.

SPOX: Auch für Ihre persönliche Zukunft, denn Ihr Vertrag läuft im nächsten Sommer aus. Wann ist die Zeit gekommen, um die Neuzugänge wie Franco Di Santo und Johannes Geis zu bewerten?

Heldt: Den Zeitpunkt, mit mir über meine persönliche Zukunft auf Schalke zu sprechen, legt ganz klar der Aufsichtsrat fest. Daher kann ich wenig zu dem Thema sagen.

SPOX: Ungeachtet des öffentlich gewordenen Werbens um Max Eberl: Sie hätten Interesse, auf Schalke zu verlängern?

Heldt: Max ist ja nur 1,67 Meter groß, da würde sich ja nichts ändern (lacht). Nein, im Ernst: Es gibt immer Phasen, in denen es nicht ideal läuft. Dennoch kann ich es mir selbstverständlich sehr gut vorstellen, auf Schalke zu bleiben. Meine Motivation ist weiterhin sehr hoch.

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