Robert Lewandowski: Das Experiment

Von Für SPOX in Bad Ragaz: Jochen Tittmar
Echte Liebe? Robert Lewandowski steht mit Dortmund vor einer interessanten Saison
© imago

Trotz eines bis 2014 laufenden Vertrages möchte Robert Lewandowski Borussia Dortmund unbedingt verlassen und am liebsten sofort zum FC Bayern München, ausgerechnet dem schärfsten nationalen Konkurrenten des BVB, wechseln. Doch die Verantwortlichen der Borussia pochen auf die Erfüllung des Arbeitspapiers und lassen den besten Dortmunder Torschützen der vergangenen beiden Jahre erst zur nächsten Saison gehen. Kann diese für Spieler und Verein einmalige Situation gut gehen?

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Am Mittwoch fand sie also doch noch statt, die berüchtigte Schweine-Einheit. Dortmunds Co-Trainer Zeljko Buvac ließ die Spieler über eine Stunde lang Steigerungsläufe mit Ball am Fuß und in ständig auf Kommando wechselnden Tempi und Richtungen absolvieren.

Bayern gegen Milan & Co.: Sichere Dir jetzt Tickets für den Audi Cup 2013 in München!

Aus der Nummer kam nur heraus, wer gegen Ende im physisch-psychischen Grenzbereich angelangt noch in der Lage war, einen Ball aus rund 16 Metern punktgenau an die Latte zu setzen. Nuri Sahin und Marco Reus gelang dies als erstes, sie drehten jubelnd ab wie nach einem Treffer in der Bundesliga.

Es lag in diesem Moment eine diffuse Stimmung, wie bei einem Elfmeterschießen, über dem Sportplatz Ri-Au in Bad Ragaz. Eine Mixtur aus Anspannung und Erlösung. Nur einer, dessen Versuch schon frühzeitig nicht geglückt war, saß ein paar Meter rechts des Tores alleine auf dem Hosenboden.

Saisonvorbereitung beim BVB

Robert Lewandowski wirkte in diesen Minuten irgendwie unbeteiligt und isoliert, während seine Kollegen diesem Shootout reichlich emotional begegneten. Doch all diejenigen, die sich nun perfiderweise schon die Hände reiben und einen schmollenden sowie Schlagzeilen produzierenden Lewandowski vor Augen haben, müssen leider enttäuscht werden.

Nach einem unsäglichen, in dieser Form wohl noch nie dagewesenen und über Monate in der Öffentlichkeit ausgetragenen Hickhack um die Wechselabsichten des Polen, das im Juni 2012 mit einer Meldung der "Sport Bild", wonach der FC Bayern München Verhandlungen mit dem Management Lewandowskis aufgenommen habe, begann, absolviert der Stürmer wie in den Jahren zuvor auch seine Saisonvorbereitung im Dress des BVB.

Die Borussia setzte mit dem Wechselverbot ein Zeichen, das man in dieser Branche als außergewöhnlich bezeichnen muss. Obwohl längst klar ist, dass Lewandowski am liebsten sofort für den deutschen Rekordmeister auflaufen möchte, geht Dortmund mit ihm rechtlich vollkommen legal in sein letztes Vertragsjahr.

Professionelles Auftreten

Lewandowskis Gestik, Mimik und Laune waren daher mit Spannung erwartet worden. Wie reagiert jemand nach der Rückkehr aus dem Urlaub, in dem der Nationalspieler übrigens seine langjährige Freundin Anna Stachurska ehelichte, auf den unumstößlichen Fakt, weiterhin bei einem Klub arbeiten zu müssen, den er am liebsten verlassen möchte?

Äußerlich, das zeigten nicht zuletzt die Tage in der Schweiz, war Lewandowskis Frust nicht wahrzunehmen. "Ich erkenne bei ihm im Training und auf dem Platz keinen Unterschied zur vergangenen Saison", sagt Sportdirektor Michael Zorc, der Lewandowskis Auftreten als "absolut professionell" beschreibt. "Das ist kein anderer Umgang wie im letzten Jahr. Er ist der Robby, der er immer war", hat Sven Bender festgestellt.

Hans-Joachim Watzke im SPOX-Interview

Diesen Eindrücken muss uneingeschränkt zugestimmt werden. Trotz seines von Haus aus emotionslosen Gesichtsausdrucks war während Lewandowskis Arbeit in der Schweiz keinerlei Differenz zur Vergangenheit festzustellen. Der Angreifer haute sich im Training rein und sprühte in den drei Testspielen, in denen ihm zwei Tore gelangen, bisweilen vor Spielfreude. Gegenüber den anwesenden Pressevertretern schwieg er jedoch.

Verwundert über "Umgang mit mir"

Am Mittwoch veröffentlichte dann die "Sport Bild", offensichtlich Lewandowskis beliebtestes Medium, ein Interview mit ihm. Der Pole gab darin einen konkreten Einblick in sein Seelenleben: "Ich habe in der Rückrunde wie immer alles für den BVB gegeben. Ich spielte und traf in dem Wissen, dass ich im Sommer wechseln darf. Ich war mir nach den Gesprächen auch sicher, dass ich eine freie Wechselentscheidung treffen darf. Nun sollte plötzlich alles anders sein. Leider ist es jetzt auf einmal so, dass ich hierbleiben muss. Über den Umgang mit mir bin ich verwundert. Aber wenn der BVB darauf verzichten will, für mich viel Geld zu bekommen, muss ich das respektieren."

Damit dürfte endgültig klar sein: Er spielt die kommende Saison gegen seinen Willen in Dortmund. Vereinsintern ist das natürlich keine bahnbrechende Neuigkeit mehr. Dennoch hofft die Borussia, dass sich Lewandowski nicht nur mit diesem Zustand arrangiert, sondern auch seine herausragenden Leistungen der vergangenen beiden Jahre fortsetzt. Etwas anderes wird ihm auch nicht übrig bleiben. Ein einmaliges Experiment für Spieler und Klub, das es in dieser Größenordnung bislang nur selten gab.

Das Risiko und die Gefahren, die dieser Versuch mit sich bringt, liegen auf der Hand. Lewandowski und der Umgang des Vereins mit ihm werden über die gesamte Spielzeit kritisch beäugt werden - von Fans, Umfeld und Öffentlichkeit. Nur eine winzige Prise Unprofessionalität und das vermeintlich reine Wasser kann unter dem herrschenden Druck plötzlich umkippen.

Weiteres Theater möglich

Hinzu kommt Cezary Kucharski. Lewandowskis polnischer Berater, der mit seinem Klienten zu dessen A-Jugend-Zeit bei Legia Warschau erstmals Kontakt aufnahm, möchte seinen Landsmann als besten polnischen Stürmer in der Historie des Weltfußballs positionieren. Ein letztlich legitimer Ansatz.

Doch aufgrund der ungewohnten und deshalb an vielen Stellen bereits scharf kritisierten Hartnäckigkeit, mit der Kucharski und seine Agentur, die Eurosportsmanagement GmbH, mitunter vorgehen, ist trotz eines aktuell festzustellenden öffentlichen "Rückzugs" nicht auszuschließen, dass das derzeit auf Sparflamme glimmende Theater während der Saison auch von dieser Seite aus neu befeuert werden könnte.

Welche Auswirkungen diese Eventualitäten auf den Spieler hätten, ist freilich schwer abzusehen. Lewandowski wurde von seinem Management und dem Verein durch die längst verfahrene Situation auf eine enorm harte Probe gestellt. Es geht jetzt auch um seinen bislang so guten Ruf, der durch dieses Chaos ins Wanken geraten ist.

Watzke lobt den Charakter

BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke glaubt an das Gute: "Robert hat einen wirklich guten Charakter. Er wird sich damit abfinden und dann wird er eine gute Saison bei Borussia Dortmund spielen, da bin ich ganz sicher. Wenn er sein komplettes Können auspackt und etwas Glück dabei hat, kann er abermals eine sehr gute Saison spielen."

Zwischenfazit für Sokratis, Aubameyang und Mkhitaryan

Einen Lewandowski in Top-Form haben die Schwarzgelben allerdings auch dringend vonnöten, da weder Julian Schieber noch Neuzugang Pierre-Emerick Aubameyang an das Niveau des 24-Jährigen heranreichen und der Pole mit seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten den idealen Stürmertypus für das Dortmunder Spiel verkörpert.

Die Bayern, deren Rolle und Absichten innerhalb des Possenspiels lange Zeit auch undurchsichtig waren, scheinen sich die ganze Geschichte beinahe unbeteiligt aus der Distanz anzusehen. In der Gewissheit, dass der größte nationale Konkurrent viel Zeit mit dem Löschen der zahlreichen Schwelbrände verbrachte und Lewandowski im Juli 2014 sowieso an die Isar wechselt.

In einer guten Welt vermag das einjährige Experiment jedoch auch etwas Positives zu erbringen: Es liegt nun an Lewandowski, dem BVB und auch den Fans, die letzte gemeinsame Zeit mit dem gebührenden Anstand anzugehen und dabei professionell zu denken. Gelingt das, hätten am Ende alle gewonnen - womöglich auch sportlich. Und darum geht es in der Hauptsache.

Robert Lewandowski im Steckbrief