Eine neue Dynamik

Von Stefan Rommel
Stuttgarts sportliche Leitung: Manager Fredi Bobic (r.) und Trainer Bruno Labbadia
© Imago

Der VfB Stuttgart stellt nach dem knapp geschafften Klassenerhalt die Weichen für eine rosigere Zukunft, Manager Fredi Bobic krempelt den Verein auf der sportlichen Ebene dabei fast komplett um. Darunter leidet bisher aber die Transferpolitik des Vereins.

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In den letzten Jahren war es immer so, dass der VfB Stuttgart eine famose Rückrunde hingelegt und das Saisonziel doch noch erreicht hat - um sich dann in Wohlgefallen und einer gewissen Gemütlichkeit auf die neue Saison vorzubereiten.

Dieses Jahr ist es so, dass der VfB Stuttgart eine famose Rückrunde hingelegt und das Saisonziel doch noch erreicht hat - um sich endlich einigen tiefer liegenden strukturellen Änderungen zu widmen.

Letzte Saison rief der Klub vor Saisonbeginn ein Jahr des Umbruchs aus. Leistungsträger wie Jens Lehmann, Sami Khedira oder Alex Hleb und hoffnungsvolle Nachwuchsspieler wie Julian Schieber und Sebastian Rudy hatten den Verein verlassen.

Abstiegskampf behindert Umbruch

Mit dem richtigen Umbruch wurde es aber nichts. Es blieb einfach keine Zeit, sich in Ruhe um eine nachhaltige Politik zu bemühen, weil die Mannschaft vom ersten Spieltag an dick im Abstiegskampf steckte und es quasi bis zum Schluss um die Existenz des Vereins ging.

Die schrecklichen Wochen des Zitterns haben dieses eine Mal tiefe Spuren hinterlassen. Beim VfB werden seit einigen Wochen grundsätzliche Fragen gestellt, alte Strukturen überdacht und sehr oft auch aufgebrochen.

Hinter den zuletzt guten Ergebnissen versteckte sich viel Ungemach - als solches hat es zumindest Fredi Bobic ausgemacht. Bobic geht in seine erste "echte" Sommerpause als Manager, für die Macher hinter den Kulissen die heikelste und zugleich auch intensivste Phase der Saison.

Heldt flüchtet zu Schalke

Vor einem Jahr wurde er relativ kurzfristig für Horst Heldt installiert, der beinahe über Nacht nach Gelsenkirchen flüchtete. Eine ordentliche Übergabe bekam Bobic nicht, dafür aber viele schwelende Brandherde, an die sich Heldt offenbar nicht herantraute - oder im Wissen um seinen baldigen Abschied gar nicht herantrauen wollte.

Also geht es jetzt Bobic an. Und wie. Unter seiner Regie wurden bereits zwei Trainer entlassen, was größtenteils allerdings der jeweils prekären Situation und Verfassung der Mannschaft geschuldet war.

Im letzten Herbst trennte sich der Klub zudem von Teambetreuer Jochen Rücker, der quasi zum Inventar beim VfB gehörte. Dazu musste auch Konditionstrainer Christian Kolodziej gehen. Ralph Herkommer, wie Rücker auch Teambetreuer, wurde herabgestuft.

Torwarttrainer degradiert

Es waren die ersten Ausläufer eines radikalen Bruchs, den Bobic seit dem geschafften Klassenerhalt durchpeitscht und dabei auch keine Rücksicht auf Sentimentalitäten nimmt. Ebbo Traunter musste vor einigen Wochen seinen Job als Torwarttrainer abgeben.

Eine durchaus überraschende Maßnahme, war Trautner nicht nur schon ewig im Verein, sondern auch Ausbilder und Mentor von Keepern wie Timo Hildebrand, Sven Ulreich oder Nachwuchshoffnung Bernd Leno. Fachlich war Trautner kaum ein Vorwurf zu machen. Immerhin soll ihm ein Job im Nachwuchsbereich bleiben.

Ab sofort besetzt Andreas Menger den Posten des Torwarttrainers. Menger kommt von Eintracht Frankfurt und hat im Prinzip keine engere Beziehung zum VfB. "Das war eine sehr schwierige Entscheidung. Aber ich brauchte im Profibereich eine starke Persönlichkeit, die aus den Torhütern auch Typen macht", sagte Bobic.

Für einen Klub wie den VfB aber noch revolutionärer ist die Installation von Marc Kienle als sportlicher Leiter. Stuttgart war und ist bis zu einem gewissen Maß auch immer noch ein Vorreiter in Sachen Jugendausbildung.

VfB-Schwerpunkt Jugendausbildung

Verantwortlich dafür waren seit über einem Jahrzehnt in erster Linie zwei Personen: Thomas Albeck und Frieder Schrof. Beiden ist Kienle jetzt übergeordnet, er ist ihr neuer Chef. Als eine Art Supervisor ist Kienle ab sofort für alle Mannschaften von der U 15 bis zur U 23 verantwortlich. Bisher war er "lediglich" Trainer der U 17, mit der er vor zwei Jahren die deutsche Meisterschaft gewinnen konnte.

Der VfB besetzt damit die knifflige Schnittstelle zwischen Jugend- und Profibereich mit einem Hauptverantwortlichen und geht damit einen neuen Weg. Bobic hat erkannt, dass der Klub in den letzten Jahren nach außen hin zwar noch von seinem guten Ruf leben konnte, in Wirklichkeit aber keine eigenen Spieler mehr langfristig in der ersten Mannschaft etablieren konnte.

Talente können sich nicht etablieren

Einigen Talenten wie Patrick Funk oder Sven Schipplock fehlte die Konstanz, weshalb sie den Klub jetzt verlassen dürfen (Funk, evtl. Nürnberg) oder bereits verlassen haben (Schipplock, 1899 Hoffenheim).

Ein Härtefall war sicherlich Sebastian Rudy, der es über fast drei Jahre aus verschiedenen Gründen nicht zum Stammspieler geschafft hat und letzte Saison an Hoffenheim veräußert wurde.

Außer Rudy hat es seit fünf Jahren kein anderer ehemaliger VfB-Feldspieler mehr aus der Jugend langfristig in der Bundesliga gepackt. Und schon gar nicht beim VfB selbst. Deshalb jetzt das Umdenken. "Wir hatten zuletzt an den Schnittstellen etwas Probleme, unsere Talente durchzubringen", sagt Bobic.

A-Jugend-Spieler im Profikader

Die Idee dahinter ist beinahe so alt wie der Verein selbst: Der VfB ist der einzige Bundesligist, der seine zweite Mannschaft noch in der 3. Liga platziert hat. Dort ist das Ausbildungsniveau immer noch sehr hoch. Die Spieler aus der A-Jugend sollen hier wieder behutsam an den Profikader herangeführt werden

Deshalb wurden mit den größten Talenten zeitgleich die ersten Profiverträge unterzeichnet. Bernd Leno (bis 2014), Raphael Holzhauser (bis 2015), Patrick Bauer (bis 2015) und Kevin Stöger (bis 2015) steigen in der kommenden Saison aus der A-Jugend auf, wobei Leno und Holzhauser schon in der letzten Saison fester Bestandteil der U 23 waren.

Dazu kommt noch Christoph Hemlein von 1899 Hoffenheim. Der 20-Jährige hat einen Vertrag bis 2014 unterschrieben. Torjäger Pascal Breier soll bald der nächste sein. Die U 17 wird für die Weltmeisterschaft in einigen Wochen mit fünf Spielern das größte Kontingent an den DFB abstellen.

Bobic: "Wollen Dynamik reinbringen"

Das Potenzial ist weiter vorhanden, der Klub muss es jetzt nur wieder konsequenter ausschöpfen. Bobic' letzte Entscheidungen waren die Besetzung der Trainerposten bei der U 17 (Ex-Profi Thomas Schneider) und der U 19 (Ex-Profi Tayfun Korkut).

"Es soll nicht so rüberkommen, dass wir jetzt alles anders machen wollen, aber wir wollen Dynamik reinbringen. Wir müssen neue Reize setzen, Bewegung tut immer gut", sagt Bobic. Ganz schnell könnten sich die neuen Reize aber auch als handfester Aktionismus herausstellen.

Auf insgesamt fünf neuralgischen Positionen hat er jetzt umgebaut. Fünf Positionen, die die Profimannschaft allenfalls marginal betreffen. Hier hat Bobic bisher kaum ansetzen können, mit Ibrahima Traore steht erst ein echter Zugang fest. Tamas Hajnal wurde endgültig beim BVB ausgelöst, Julian Schieber kehrt vom Club zurück.

"Neues Gesicht" durch Transfers

Intern scheint alles getan, um sich für die Zukunft gut auszurichten. Jetzt muss Bobic aber auch auf dem Transfermarkt ein gutes Händchen beweisen. Der Mannschaft soll keine Radikalkur zugeführt werden, aber sie soll "ein neues Gesicht" bekommen.

Das Gerangel um William Kvist vom FC Kopenhagen weckt unweigerlich schon wieder Erinnerungen an die letzte Transferperiode, als Bobic sich einige Absagen einhandelte und den Substanzverlust im Kader nicht adäquat auffangen konnte.

Das Hauen und Stechen kann Fredi Bobic aber nicht so leicht beeinflussen wie die Entscheidungen im roten Haus selbst. Aber auch an den Erfolgen auf dem Transfermarkt wird er sich messen lassen müssen.

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