Ist Mercedes wirklich schlagbar?

Nico Rosberg hat die Pole Position im Qualifying zum Singapur-GP nur haarscharf verpasst
© getty

Die Überraschung war dem gesamten Mercedes-Team anzumerken. Dass die abtriebsstarkte Konkurrenz von Red Bull und Ferrari beim Singapur-GP herankommt, war zu erwarten. Doch dass Daniel Ricciardo im Qualifying nur 0,173 Sekunden hinter Polesetter Lewis Hamilton lag und selbst der Sechste nur 0,319 Sekunden Rückstand hatte, brachte einige kleine Sorgenfalten auf die Gesichter.

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"Die ganzen zwei Tage lief es schon nicht rund. Wir haben nie wirklich konstante Runden hinbekommen. Das Auto war nie so, wie es sich die Fahrer gewünscht haben. Und wenn man auf einem Stadtkurs ein Auto hat, das entweder über- oder untersteuert, dann hat man auch kein Vertrauen", gab Motorsportchef Toto Wolff bei "Sky" nach der Zeitenjagd zu Protokoll: "Der Abstand im Qualifying war knapper, als ich es mir gedacht habe und als wir es uns gewünscht haben. Aber das ist großes Kino, oder?"

7 Tausendstel! Hamilton schnappt Rosberg die Pole weg

Die Konkurrenz war zwiegespalten, wie sie die Lage beurteilen sollte. "Die Pole war in Reichweite", erklärte Weltmeister Sebastian Vettel der "BBC" und haderte, dass er die entscheidende Runde nicht perfekt erwischt hatte. "Mir war klar, dass die Pole schwierig werden würde, aber man kann nie wissen", ergänzte Felipe Massa bei "Sky Sports F1". Er lag nach dem ersten Run in Q3 noch ganz vorne.

"Für das Racing ist das großartig", erklärte selbst Hamilton, der über die Fortschritte von Red Bull, Ferrari und Williams "sehr, sehr überrascht" war: "Das war das spannendste Qualifying, das ich seit langem hatte." Die schier erdrückende Dominanz der Silberpfeile, die jedes andere Auto nach Belieben abhängen, scheint zumindest auf dem asiatischen Stadtkurs beendet. Oder?

Sämtliche Mercedes-Mitarbeiter präsentierten sich nach dem glücklichen Ausgang der Zeitenjagd mehr als nur zufrieden. Sie wirkten tiefentspannt. "Ich werde zu ihnen hingehen und mich bedanken", sagte Lauda als er auf seine Fahrer angesprochen wurde: "Weil wir nur wegen den zwei Typen und deren Teams dahinter, es heute wieder fertig gebracht haben, dass wir wieder vorne stehen."

Hamilton im Longrun überlegen

Es war das wichtigste Ziel. Hamilton spulte bei den Longruns am Freitag seine Runden mit einem unerreichten Tempo ab. Fast eine halbe Sekunde trennte ihn von Ferrari und Red Bull. Wobei gerade die Scuderia dafür bekannt ist, dass sie mit deutlich weniger Benzin im Tank fürs Rennen proben.

Die Anforderungen für das Rennen sind aus Sicht der Silberpfeile daher klar. "Hier gibt es kein Problem mit dem Spritverbrauch. Aber wer immer vorne ist, muss einmal davonziehen. Auf einem Stadtkurs brauchst du Platz für das Pit Stop Window", so Lauda.

Drei Mal wird jeder Fahrer wohl am Sonntag zum Reifenwechsel an die Box müssen. Das zumindest ist die errechnete schnellste Strategie. Allein der nicht unwahrscheinliche Einsatz des Pacears könnte die Pläne durcheinanderbringen. "Es gab hier seit dem ersten Rennen jedes Jahr eine Safety-Car-Phase. Es hängt davon ab, wann das passiert", macht Red-Bull-Teamchef Christian Horner Hoffnung auf noch mehr Spannung.

Vettel, der hinter seinem Teamkollegen Ricciardo als Vierter startet, wirkte am Freitag besonders auf den härteren Reifen stark. Nach drei Singapur-Siegen in Folge scheint auch der vierte möglich. "Schauen wir mal, was wir ausrichten können", sagte der Weltmeister zurückhaltend: "Ich denke, wir haben ein gutes Tempo. Das Feld scheint hier aber eng beisammen zu liegen. Das Rennen wiederum ist lang. Warten wir also ab, was die Reifen machen."

Ricciardo will den nächsten Sieg

Etwas forscher formulierte Ricciardo die Ansprüche: "Wenn der Start funktioniert, geht es nur darum, klug zu agieren und etwas mit der Strategie zu probieren. Und wenn wir ihnen nahe genug kommen, dann werden wir auch einen Überholversuch starten", sagte der dreimalige GP-Sieger: "Eine Gelegenheit habe ich mir in diesem Jahr schließlich noch nicht entgehen lassen."

Selbst Alonso äußert von Platz fünf startend ähnliche Ziele: Er will im Kampf um die Spitze eingreifen. "Das sind wir gar nicht mehr gewohnt", sagt der Ferrari-Pilot und schließt sich Ricciardo an: "Wir brauchen einen guten Start, müssen zwei oder drei Autos überholen und sind dann auf eine starke Strategie angewiesen."

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Doch genau da hat Mercedes einen Vorteil: Hamilton und Rosberg sparten während des Qualifyings Reifen, fuhren nur so schnell wie nötig. Das Team warnte sogar, als die Slicks aufgezogen wurden, die auch im Rennen eingesetzt werden sollen. "Es wird ein hartes Rennen in Bezug auf die Reifen", sagt Rosberg: "Sie nutzen stark ab."

Regen mischt die Karten neu

Der hohe Verschleiß liegt zum einen an der hohen Anzahl von 23 Kurven und den darauf folgenden Beschleunigungsmanövern, zum anderen daran, dass es in Singapur kaum Rahmenrennen gibt. Besonders der Grip durch das Pirelli-Gummi der Nachwuchsklassen GP2 und GP3 fehlt. Zudem wusch ein großer Schauer am Samstagabend nahezu sämtlichen Gummi weg.

"Wir wissen nicht, wie die Strecke sein wird. Das könnte morgen ein größeres Problem werden", gab Rosberg zu. Der Reifenverbrauch ist ein Kryptonit. Wie strategisch Mercedes mittlerweile vorgeht, zeigt ein anderes Detail: Die zweite Schwachstelle, die stark beanspruchten Bremsscheiben, tauschte das Team einfach vor dem Qualifying aus.

Wolff: "Einer schön hinter dem anderen"

Risiko vermeiden will die Teamführung auch im Rennen selbst. "Es geht darum, dass man gut vom Start wegkommt - einer schön hinter dem anderen - und dann das Rennen sauber fährt", machte Wolff vorsorglich Gedanken an einen andauernden Fight zwischen Hamilton und Rosberg zunichte, die sich offenbar schon im Qualifying einen Psychokrieg lieferten.

"Wir hatten das Gefühl, dass sich gegenseitig nicht die Daten zeigen wollten", sagte Red-Bull-Teamchef Christian Horner: "Sie haben sich bis zum letzten Versuch zurückgehalten. Dann haben wir gesehen, was sie wirklich für ein Potenzial haben. Wir sind aber auf zwei Zehntel dran mit unserem Auto. Das verspricht Spannung für morgen." Und vielleicht kommen sich Rosberg und Hamilton ja doch noch in die Quere.

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