"Vettel hat es von Anfang an verstanden"

Von Interview: Alexander Mey
Sebastian Vettel wurde erster Weltmeister der neuen Pirelli-Ära in der Formel 1
© Getty

Pirelli hat seine Rookie-Saison nach der Formel-1-Rückkehr mit Bravour bestanden. Sportchef Paul Hembery zieht bei SPOX Bilanz und wagt einen Ausblick auf 2012. Themen dabei: Sebastian Vettels Vorteil, Ferraris Grundproblem, Stolz, Selbstkritik und zukünftige Experimente.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

SPOX: Herr Hembery, haben Sie Sebastian Vettel so früh zum Weltmeister gemacht, weil Sie ihm Reifen beschert haben, mit denen er von Anfang an dominant war?

Paul Hembery: (lacht) Nun ja, sein Red Bull hat ihm dabei sicher auch ein bisschen geholfen. Zudem ist er ein außergewöhnlicher Fahrer. Er war aber in der Tat einer der Piloten, die von Anfang an verstanden haben, worauf es bei der Nutzung unserer Reifen ankommt. Andere Piloten hatten in den ersten Rennen noch Probleme, den Schlüssel zur Nutzung der Reifen zu finden, aber das hatte sich sehr schnell erledigt. Immerhin reden wir hier von den besten Fahrern der Welt.

SPOX: Und was ist mit den Autos? Es gab große Unterschiede im Umgang mit den Reifen.

Hembery: Das stimmt sicher. Aufgrund der unterschiedlichen Fahrzeugkonzepte gab es auch unterschiedlichen Umgang mit den Reifen. Sauber kam zum Beispiel immer mit wenigen Boxenstopps aus. Ferrari hatte Probleme, die harten Reifen auf Temperatur zu bringen. Teamchef Stefano Domenicali hatte mir schon vor der Saison gesagt, dass er genau das befürchtete. Ferrari hat schon seit einigen Jahren die Tendenz, mit härteren Reifen Probleme zu haben. Ich bin sicher, sie arbeiten im Hinblick auf 2012 hart an einer Lösung.

SPOX: Entsprechend gerne wird man es in Maranello hören, dass Pirelli generell plant, die Reifen 2012 weicher zu machen.

Hembery: Das ist ein Ergebnis unserer Beobachtungen in der zweiten Saisonhälfte. Die Autos haben die Reifen immer besser behandelt und wir waren zudem überrascht, wie schonend die neuen Strecken gegen Ende der Saison zu den Reifen waren. Das heißt für uns, dass wir auf solchen Kursen etwas abenteuerlustiger sein können.

SPOX: Bedeuten noch weichere Reifen auch noch mehr Boxenstopps in 2012?

Hembery: Das denke ich nicht. Wir hatten 2011 nur ein Rennen, in dem zwingend vier Stopps gemacht werden mussten, das war in der Türkei. Generell werden wir wegen der wenigen Stopps in den letzten Rennen auf einen Saisonschnitt von zwei bis drei Reifenwechseln kommen. Das halte ich auch im Hinblick auf 2012 für eine gute Anzahl, da das Rennen dadurch abwechslungsreicher wird.

SPOX: Wie kann man sich die neuen Mischungen für 2012 vorstellen?

Hembery: Wenn man sie im Vergleich zu diesem Jahr herunter skalieren möchte, kann man ungefähr sagen, dass die jetzige Medium-Mischung 2012 die harte sein wird, die softe die Medium, die supersofte die softe und so weiter. Es wird auf jeden Fall keine härtere Mischung geben als die aktuelle Medium-Variante. Allerdings wird die neue wesentlich leistungsfähiger sein.

SPOX: Wie zufrieden sind Sie generell mit Ihrer Rookie-Saison?

Hembery: (lacht) Das war das schnellste Jahr meines Lebens. Ich habe gerade vor kurzem mit einem Kollegen gesprochen und wir konnten beide nicht fassen, dass wir vor gerade mal einem Jahr unsere ersten offiziellen Testfahrten hatten. Die Saison war unglaublich intensiv. Erst einmal mussten wir alles zum Laufen kriegen, dann mussten wir die Limits immer weiter verschieben. Denn in der Formel 1 kann man es sich nicht leisten, stehen zu bleiben.

Gewinnspiel: Frage beantworten und die F-1-Simulation F1 2011 gewinnen!

SPOX: Haben Sie jemals in einem einzigen Jahr so viel gelernt?

Hembery: (lacht) Sicher nicht. Wir haben in diesem Jahr mehr über Rundstreckenrennen gelernt als in den zehn Jahren davor zusammen.

SPOX: War jedes Rennen eine neue Wundertüte oder hat sich eine Routine entwickelt?

Hembery: Wir haben keine großen Überraschungen erlebt. Die Kurse, von denen wir erwartet haben, dass sie problematisch sein würden, waren problematisch. Angenehm überrascht waren wir über einige der neuen Kurse, die sehr gut zu unseren Reifen waren. Von einer Routine kann man aber nicht sprechen, denn wir konnten bei keinem Rennen sicher sein, wie es laufen würde. Das wussten wir erst nach der letzten Runde im Rennen.

SPOX: Sind Sie stolz auf das, was Sie erreicht haben?

Hembery: Als Firma müssen wir sehr stolz sein, das Projekt Formel 1 in so einer kurzen Zeit so gut umgesetzt zu haben. Wir hatten keine grundlegenden Probleme, die Rennen waren spektakulär, das Feedback von Experten, Fans und Teams war sehr positiv.

SPOX: Gab es überhaupt keine Enttäuschungen?

Hembery: In einigen Rennen waren wir vielleicht zu konservativ. In Indien hätten wir zum Beispiel die Medium-Mischung statt der harten nehmen sollen. Es ging generell sehr schnell, dass wir dafür kritisiert wurden, zu konservativ zu sein, nachdem uns zu Saisonbeginn immer vorgeworfen wurde, wir seien zu aggressiv. Es hat sich innerhalb nur eines Jahres alles geändert. Wenn wir jetzt zwei Stopps haben, schreien alle: "Nein, wir wollen mehr!" (lacht)

SPOX: Ein Problem, das auch Sie schon angesprochen haben, ist der Zwang vieler Teams, im Qualifying Reifen zu sparen, weshalb sie in Q3 nicht mehr fahren. Wie wollen Sie das ändern?

Hembery: Wir würden die Autos lieber auf der Strecke fahren sehen, aber ich habe auch mit Teams gesprochen, die in dem Punkt anderer Meinung sind. Sie sagen, dass dieser Zwang, sich die Reifen einzuteilen, eine zusätzliche Variable für die Strategie an einem Rennwochenende darstellt und daher eine gute Sache ist. Momentan gibt es keine Pläne, etwas am Qualifying-Modus oder der Zahl der Reifensätze zu ändern. Sollten die Beschwerden von TV-Stationen und Fans aber noch lauter werden und die Teams doch noch etwas tun wollen, sind wir gerne bereit, ihnen zu helfen.

SPOX: Im Rennen haben Ihre Reifen sehr zur Action beigetragen. Die abbauenden Gummis haben für viele Überholmanöver gesorgt. War vor diesem Hintergrund der verstellbare Heckflügel (DRS) überhaupt nötig?

Hembery: Wenn man sich die Daten anschaut, sieht man, dass DRS auf einigen Strecken etwas gebracht hat, auf anderen weniger. Aber die Teams sind mit dem Paket aus unseren Reifen, DRS und KERS glücklich. Ich gehe davon aus, dass sich in diesen Bereichen in naher Zukunft nichts ändern wird.

SPOX: Haben Sie Angst vor dem im Sport so oft verflixten zweiten Jahr?

Hembery: Nein. Als alleiniger Reifenpartner der Formel 1 ist die enorme Aufmerksamkeit für Pirelli garantiert. Unsere Aufgabe ist es, den hohen Standard unseres Produkts zu halten und den Teams vergleichbare Strategien wie in diesem Jahr zu ermöglichen. Für 2013 können wir dann über substanzielle Veränderungen nachdenken.

SPOX: Können Sie schon abschätzen, was die erfolgreiche Rückkehr in die Formel 1 der Marke Pirelli gebracht hat?

Hembery: Wir haben von all unseren großen Märkten weltweit extrem positives Feedback. Unsere Händler bestätigen uns, dass die Präsenz in der Formel 1 unsere Marke nach vorne gebracht hat. Was mir aber noch wichtiger ist, ist die enorm positive Resonanz der Fans. Sie loben uns für das, was wir in diesem Jahr erreicht haben.

Stand in der Fahrer- und Konstrukteurs-WM

Artikel und Videos zum Thema