Der Mann der Buchstaben

Von Florian Regelmann
Bei der Niederlage gegen die Slowakei wurde das DEB-Team für seine naive Spielweise bestraft
© Imago

Video-Coaching ist im Eishockey längst ein fester Bestandteil der Trainerarbeit geworden, so auch in der Nationalmannschaft. Aber wie sieht der Job eigentlich genau aus? SPOX hat Maurizio Mansi, den Speedy Gonzales der Katamkoben, kürzlich beim Deutschland Cup getroffen und zeigt, was in der Kabine des DEB-Teams in den Drittelpausen passiert.

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"Zum Tor. Zum Tor. Zum Tor!" Maurizio Mansi lebt das Spiel der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft gegen die Slowakei richtig mit. Er sagt das, was wohl im Eishockey jeder Trainer seiner Mannschaft pro Tag 3000 Mal vorbetet: Ihr müsst die verdammte Scheibe zum Tor bringen. Denn: Jede Scheibe zum Tor ist eine gute Scheibe.

Es ist der zweite Tag beim Deutschland Cup, die DEB-Auswahl trifft in der Münchener Olympiahalle auf die Slowakei. Mansi, eigentlich als Co-Trainer beim EHC München tätig, sitzt aber nicht in der Olympiahalle.

"Ich kriege da kein Signal", lamentiert er. Tja, Pech. So hat sich Mansi eben in den Katakomben in den Presseraum verzogen und sitzt dort vor seinem Laptop am Schreibtisch. Dort hat man zwar keine Hallen-Atmosphäre, aber dafür ist es wenigstens schön ruhig. Die meisten Journalisten sind - logischerweise - in der Halle. Nur ein paar Schweizer vertreiben sich die Zeit, bis ihre Nati nach dem Deutschland-Spiel an der Reihe ist.

Kölliker entscheidet sich für Mansi

Und sie ziehen sich den einen oder anderen bösen Blick Mansis zu. Denn: Die Signal-Problematik ist auch hier unten nicht völlig außer Acht zu lassen. Eine leichte Berührung an einem der Kabel könnte genügen und schon kann Mansi sein Video-Coaching eventuell vergessen.

Es ist also nur allzu verständlich, dass man in seinen Gedanken lesen kann. "Wehe, du berührst mein Kabel und ich sehe nichts mehr. Dann gibt's einen Bodycheck." Zum Glück geht aber alles gut.

Wie ist Mansi eigentlich zum Job als Video-Coach im Trainerstab des neuen Bundestrainers Jakob Kölliker gekommen? "Es war so, dass der DEB und die DEL enger zusammenarbeiten wollten. Christian Winkler (Manager des EHC München, Anm. d. Red.) hat mich vorgeschlagen und Köbi hat sich dann für mich entschieden. Das hat mich sehr gefreut", erzählt Mansi.

Dass Sportler in der heutigen Zeit sofort während des Spiels mit Taktik-Analysen versorgt werden, ist Standard. Ob das im Eishockey ist. Im Fußball. Oder beispielsweise in der NFL. Man kennt die Bilder, wenn ein Quarterback nach jeder Possession an die Seitenlinie kommt und er sich sofort einen Ordner greift, in dem er brandaktuell die Sequenzen der gegnerischen Defense studieren kann.

"F" für Forecheck...

"In der NHL ist es ohnehin Standard. Und auch in der DEL machen es inzwischen einige Vereine. Es ist im Prinzip nichts Besonderes. Es geht fast immer um Kleinigkeiten, ein Detail beim Forechecking beispielsweise, aber genau so eine Kleinigkeit aufzuzeigen, kann sehr hilfreich sein", erklärt Mansi.

Hinzu kommt, dass der Video-Coach natürlich auch Dinge sieht, die der Head Coach in der Hektik des Spiels nicht oder sogar mal falsch gesehen hat. Er muss Mansi vertrauen.

Der 46-jährige Italo-Kanadier, in Montreal geboren, wurde 1985 einmal von den Canadiens in der 10. Runde gedraftet. In die NHL schaffte es der Verteidiger dann zwar nicht, dafür tummelte er sich in seiner Spielerkarriere häufig in Italien, Deutschland (Kaufbeuren, Düsseldorf) oder auch England.

Nun sitzt er also hier im Presseraum der Münchener Olympiahalle, verfolgt das Spiel mit einem speziellen Analyse-Programm auf seinem Laptop und tippt. Alle paar Sekunden. Ein "F" (Forecheck), ein "D" (Defensive Zone Coverage) - praktisch jeder Buchstabe ist zugeordnet.

Über 300 Clips pro Spiel

So entstehen pro Drittel meist zwischen 80 und 100 kleine Clips, für ein ganzes Spiel kommt Mansi schon mal auf über 300 Mini-Sequenzen, in die er es zerlegt. Sobald die Sirene zur Drittelpause ertönt, beginnt der Stress für Mansi aber erst richtig.

Er muss den Turbo einschalten und wird zu einer Art Speedy Gonzales der Katakomben. Schnell alles ausgesteckt, den Laptop gepackt und dann wird so schnell es geht in die DEB-Kabine gerannt. Dort angekommen, bespricht sich Mansi mit Kölliker, welche Clips der Mannschaft kurz gezeigt werden sollen. Danach rast er wieder zurück an seinen Arbeitsplatz und baut seine Gerätschaften von neuem auf - das nächste Drittel fängt schließlich bald wieder an.

Aber was genau wird dem DEB-Team in der Drittelpause gezeigt? Im Falle des Slowakei-Spiels, das am Ende mit 3:6 verloren geht, ist vor allem die negative Seite des neuen Spielsystems unter Kölliker zu beobachten.

Zwar ist , wie Kölliker richtig betont, jedes System bei Disziplinlosigkeit problematisch, aber es war beim Deutschland Cup dennoch offensichtlich, was der Nachfolger von Uwe Krupp vorhat.

Offensiver und konteranfälliger

Mann gegen Mann statt Zonenverteidigung, ein extrem aggressives Penalty Killing und vor allem ein offensives Forechecking mit zwei Mann. Es sind zwar in vielerlei Hinsicht nur Kleinigkeiten, in der sich das "System Kölliker" vom "System Krupp" unterscheidet, aber die deutlich offensivere und damit auch konteranfälligere Ausrichtung wird gerade gegen die technisch so begabten Slowaken zum Reinfall.

Im positiven Fall kann das DEB-Team durch die offensivere Spielweise, auch das hat man in München gesehen, viele Scheibenverluste kreieren und sich so viele Torchancen erarbeiten, aber es kann bei zu mutigen oder naiven Entscheidungen der Spieler auch schnell dazu führen, dass man von einem guten Gegner böse auseinander genommen wird (siehe Analyse in der Diashow).

Köllikers Plan muss aber auch nicht jetzt aufgehen. Er muss am 4. Mai 2012, wenn Deutschland in Stockholm gegen Italien in die WM 2012 startet, zu ähnlichem Erfolg führen, wie ihn Krupp in den letzten Jahren hatte. Daran wird Kölliker sich messen lassen müssen, keine Frage.

Und dann wird er auch wieder auf Mansi als seinen Video-Coach bauen können. Bleibt für Mansi nur noch zu hoffen, dass es die "Signal-Stärke" im Stockholmer Globen zulässt, dass er die WM-Atmosphäre live erleben kann und nicht in einem tristen Presse-Raum sitzen muss.

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