Glücksgefühle in Istanbul

Von Max Marbeiter
Jan Vesely steht mit Fenerbahce Ülker im Final Four der Turkish Airlines Euroleague
© getty

Einst war Jan Vesely die große Überraschung beim NBA-Draft, verließ die NBA nach nur drei Jahren aber enttäuscht. Nun hat der Tscheche sein Glück in Istanbul gefunden. Endlich spielt er effektiv. Endlich stimmt das Umfeld. Beim Final Four in Madrid haben Vesely und Fenerbahce Ülker nun sogar ernsthafte Chance auf den Titel in der Turkish Airlines Euroleague (Fr., 21 Uhr im LIVE-TICKER).

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Jan Vesely war glücklich. Immerhin hatte David Stern soeben verkündet, dass der Tscheche ab sofort dazugehört. Dazugehört zur absoluten Elite, zu all jenen, die ihr Geld in der besten Basketballliga des Planeten verdienen. Natürlich musste die Freude raus. Und mit wem ließe sie sich besser teilen als mit der Liebsten? Also schnappte sich Vesely Freundin Eva Kodouskova, drückte ihr zwei ganz dicke Schmatzer auf den Mund - und war mit einem Mal Association-weit bekannt.

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Einerseits, weil der gemeine Rookie eher seine Eltern herzt als der Freundin einen innigen Kuss aufdrückt, andererseits, weil sich nicht wenige fragten, weshalb die Washington Wizards soeben einen 21-jährigen Tschechen ausgewählt hatten. Und das an sechster Stelle, obwohl auch die Herren Kawhi Leonard, Nikola Vucevic oder Jimmy Butler noch verfügbar gewesen wären.

Sicherlich ahnten damals die wenigsten, dass dieses Trio einmal einen Defensive Player of the Year, einen Most Improved Player und eine durchaus fähige Double-Double-Maschine stellen würde. Nur wusste eben auch niemand, was eigentlich von Jan Vesely zu halten. Gut, der Tscheche war mit Partizan Belgrad 2010 bereits im Final Four der Turkish Airlines Euroleague gestanden. Athletisch war er auch. Andererseits ist das mit athletischen Europäern in der NBA meist so eine Sache. Gereichten ihre körperlichen Voraussetzungen in der alten Heimat noch zum Vorteil, so malt die NBA athletisch ein ganz anderes Bild.

Probleme in der NBA

Zudem kam Veselys Spiel anno 2011 noch recht roh daher. Dass die Saison aufgrund des Lockout erst am 25. Dezember begann, half da nicht wirklich weiter. Also erhielt Washingtons Nummer-1-Pick zunächst nur wenig Spielzeit. Flip Saunders schien Vesely nicht wirklich zu vertrauen. Doch Flip Saunders blieb ja nicht ewig in der Hauptstadt. Nach einem 2:12-Start übernahm Randy Wittman - und ließ seinen Rookie häufiger ran.

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Es ließ sich nicht schlecht an. Im Februar gegen Detroit punktete Vesely erstmals zweitstellig, das erste Double-Double folgte im April. Am Saisonende war der Rookie in 57 Spielen durchschnittlich knapp 19 Minuten auf dem Court gestanden, durfte 20 Mal sogar starten, kam dabei aber auf lediglich 4,7 Punkten sowie 4,4 Rebounds.

Ein wenig enttäuscht war man in Washington. Die Erwartungen an einem Nummer-6-Pick sind schließlich ein wenig höher. Dass Veselys Zahlen im zweiten Jahr weiter absanken (2,5 Punkte, 2,4 Rebounds, 11,8 Minuten), dass er beim Freiwurf gern den einen oder anderen Airball fabrizierte, über keinen verlässlichen Jumper verfügte, die nötige Aggressivität vermissen ließ und häufig mit Verletzungen zu kämpfen hatte, tat sein übriges. Im Februar 2014 wurde der Tscheche schließlich nach Denver getradet.

"Als Coach Wittman die Wizards übernahm, lief es nicht so", zeigt Vesely im Gespräch mit SPOX Verständnis. "Das Team steckte im Rebuild und er musste einfach Spiele gewinnen." Wittman selbst hatte Vesely zuvor geraten, er müsse "mehr Basketballer und weniger eindimensionaler Spieler werden." Gelungen ist es dem Tschechen auch in Denver nicht.

"Ich bin glücklich"

Entsprechend früh war das Kapitel NBA beendet. Früher als erwartet. Deutlich früher. Nach nur drei Jahren Association unterschrieb Vesely im August bei Fenerbahce Ülker Istanbul und ist damit einer von bislang erst sieben Nummer-6-Picks, die es auf maximal drei Jahre in der NBA gebracht haben.

Interessant sind derlei Zahlenspiele allerdings ohnehin eher für Statistiker. Vesely selbst wirkt mittlerweile hoch zufrieden. "Das war die richtige Entscheidung", sagt er gegenüber SPOX. "Ich musste mich entscheiden, ob ich es noch ein Jahr bei einem Team in der NBA versuchen oder nach Istanbul gehen möchte, um dort zu spielen. Ich bin glücklich."

Vesely hat auch allen Grund dazu. Denn es läuft in Istanbul. Individuell, aber auch im Kollektiv. So ist Fenerbahce auch dank Vesely erstmals in seiner Geschichte ins Final Four der Turkish Airlines Euroleague eingezogen und darf sich in Madrid ernsthafte Hoffnungen auf den Titel machen. Schließlich haben die Türken 13 ihrer letzten 14 Spiele in Europas bestem Basketballwettbewerb für sich entschieden.

Plötzlich entscheidender Faktor

Zwar erklärt Vesely gegenüber Euroleague.net, dass das Team selbst nicht an derlei Quoten denke, an Selbstbewusstsein dürfte es Fener allerdings nicht mangeln. Zumal Champion Maccabi in den Playoffs mit einem Sweep aller Hoffnungen auf die Titelverteidigung beraubt wurde. Dass der Grundstein für derlei Machtdemonstrationen tendenziell im ersten Spiel gelegt wird, dürfte kaum überraschen.

Dass Jan Vesely dabei zu den entscheidenden Faktoren zählte, mittlerweile ebenso wenig. Schließlich wusste der Tscheche in seiner ersten Saison in der Türkei durchaus zu überzeugen. Mit seiner Athletik bereitete er diversen Gegnern Probleme, das Zusammenspiel mit Frontcourt-Partner Nemanja Bjelica funktionierte hervorragend. Zudem scheint Vesely seine Sicherheit, die ihm in der NBA abhandengekommen zu sein schien, wiedergefunden zu haben.

Career High in den Playoffs

Besonders erfolgreich war die Suche in jenem ersten Playoff-Spiel gegen Maccabi. Dort legte Vesely nicht nur ein Career High auf (25 Punkte), er traf 11 seiner 14 Würfe und schnappte sich 7 Rebounds. Über die gesamte Serie kam der Big Man auf 13,7 Punkte, verwandelte 63,3 Prozent seiner Versuche aus dem Feld, griff 7,7 Rebounds und steigerte sich im Vergleich zur restlichen Saison damit in allen Belangen. Das Player Index Rating stieg sogar von 13,4 auf 19 an.

Vesely scheint also durchaus bereit zu sein für das Final Four. Zeljko Obradovic sicherlich ebenfalls. Immerhin weiß wohl kaum einer der Beteiligten in Madrid besser als der Serbe, wie Europas größter Basketballtitel zu gewinnen ist. Insgesamt acht Mal sicherte sich Obradovic mit seinen Teams bislang den Titel. Scheinbar hat der Coach ein magisches Händchen - auch im Falle von Vesely.

"Er hat mir unglaublich geholfen", sagt der Tscheche gegenüber SPOX. Obradovic sei zwar emotional, tough und ein absoluter Perfektionist, "aber ich mag das." Tatsächlich kann der Coach durchaus mal laut werden, sollte ein Spiel nicht nach seinem Gusto verlaufen. Nicht auszuschließen, dass Obradovic' Kopf auch im Halbfinale gegen Gastgeber Real Madrid das eine oder andere Mal rot anläuft.

Real? "Müssen fast gewinnen"

Immerhin gelten die Königlichen seit Jahren als einer der absoluten Favoriten auf den Titel und haben noch dazu den Heimvorteil. Wobei: "Nach den Niederlagen in den vergangenen beiden Finals setzt es sie schon zusätzlich unter Druck, dass sie zuhause spielen", sagt Vesely. "Sie müssen fast gewinnen. Und das wollen wir zu unserem Vorteil nutzen."

Klappt es, fehlt nur noch ein Sieg zum ganz großen Triumph. Fenerbahces erstem. Jan Veselys erstem. Und wer weiß, vielleicht schnappt sich der Tscheche diesmal seine neue Freundin und drückt ihr einen ganz dicken Schmatzer auf den Mund, sollte sich Fener in Madrid tatsächlich zum Champion küren.

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