Björndalen: Rösch hat "Bode-Miller-Potenzial"

Christian Bernhard
01. Februar 200917:08
Björndalen kam durch seinen Bruder zum Biathlon. Heute ist er der beste Biathlet aller ZeitenGetty
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Nach seiner Magen-Darm-Infektion zu Beginn der Saison hat Ole Einar Björndalen pünktlich vor der WM mit zwei Einzel-Siegen in Ruhpolding zu alter Form zurückgefunden. Im Interview mit SPOX spricht der 35-jährige Norweger über seinen Kampf zurück an die Spitze, die Zukunftsperspektiven des deutschen Biathlons und den "Bode Miller" des Biathlons.

SPOX: Auf ihrer Homepage gibt es ein Video, in dem Sie über heiße Kohlen gehen. Machen Sie das zum Spaß oder ist es Teil ihrer Vorbereitung?

Ole Einar Björndalen: Das habe ich schon öfters gemacht. Es ist jedes Mal eine Überwindung. Wenn man sich nicht richtig konzentriert, kann man sich verbrennen. Aber das macht es so reizvoll. Das Besondere ist, als erster über die Kohlen zu gehen, da man nicht weiß, wie heiß sie sind. Da muss man sich richtig überwinden. Hinterher zu gehen ist nicht mehr so spannend.

SPOX: Zehren sie davon auch im Wettkampf?

Björndalen: Ich mach das für mich selbst. Wichtig ist, ab und zu ein bisschen Risiko zu nehmen. Im Wettkampf muss man auch Risiko nehmen.

SPOX: Heiße Kohlen, das Reiten auf dem Pferd ihrer Frau, die Jagd...Sie lieben das Risiko, oder?

Björndalen: Ja, und wie. Jetzt verbringe ich meine riskantesten Momente auf dem Rücken von Nathalies Pferd. Es ist für mich unverständlich, wie man diese Tiere steuern kann, die sind fast so groß wie Elefanten (lacht).  Es ist unglaublich, dass Ludger Beerbaum und die anderen Reiter über 1,60-Meter-Hindernisse springen.

SPOX: Sie wurden durch eine Magen-Darm-Infektion im Herbst weit zurückgeworfen. Wie schwierig war es zu Beginn der Saison zu wissen, dass Sie durch den großen Trainingsrückstand noch nicht ganz vorne mitlaufen können?

Björndalen: Das war schon heftig, denn ich war noch nie in meinem Leben so krank. Da fragt man sich logischerweise, wie lange es dauern wird, bis man wieder in Form kommt. Dass es dann schon vor Weihnachten mit einem zweiten Platz in Hochfilzen so gut geklappt hat, damit konnte ich nicht rechnen.

SPOX: Gab es in dieser Phase Momente, in denen Sie gezweifelt haben?

Björndalen: Sicher gab es die. Das Selbstvertrauen war durch die Krankheit sofort weg. Wenn man nach einer Krankheit gegen sich selbst kämpfen muss, ist das nicht so angenehm, aber man verbessert sich eigentlich immer recht schnell. Dann fällt man meistens in ein kleines Loch und in dieser Situation muss man dran bleiben, um wieder zu alter Stärke zurückzufinden.

SPOX: Sie haben alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Haben Sie sich nicht die Frage gestellt, ob Sie sich das alles überhaupt noch antun müssen?

Björndalen: Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil, ich bin noch motivierter als vorher. Ich war im Sommer in wirklich toller Verfassung und bin dann weit zurückgeworfen worden. Mein letztes optimales Training hatte ich im Oktober, seit diesem Zeitpunkt verlief keine Einheit mehr ideal.

SPOX: Sie sind jetzt mittlerweile ein alter Hase im Biathlon-Geschäft. Gehen Sie an die Dinge anders heran als noch zu Beginn ihrer Karriere?

Björndalen: Ich bin erfahrener und weiß jetzt besser, wie ich mich vorbereiten muss. Ich kann besser in meinen Körper hineinhören. Entscheidend ist, nicht in der Vergangenheit zu leben. Die Entwicklung und Veränderung ist so schnell, man muss versuchen die alten Tage hinter sich zu lassen und den Blick nach vorne zu richten. Es gibt so viele gute Athleten: Einige haben ihre Qualitäten in der Loipe, andere haben ihre Stärken am Schießstand und wieder andere sind mental sehr stark. Das alles optimal zu vereinen, das ist das Spannende am Biathlon.

SPOX: Wer würde ein Duell gewinnen: Der Ole Einar von heute oder der von vor 10 Jahren?

Björndalen: Bei den Olympischen Spielen 1998 in Nagano war ich nicht schlecht in Form (Björndalen holte einmal Gold und Silber, Anm. d. Red.). Aber läuferisch bin ich heute besser und ich schieße auch deutlich schneller. Ich glaube, dass ich heute auf zehn Kilometer mindestens eine Minute schneller bin als damals.

SPOX: Wie gehen Sie mit jungen Konkurrenten um?

Björndalen: Konkurrenz ist immer gut. In Norwegen gibt es jetzt einige gute und interessante Athleten, dadurch können wir sehr gut im Team trainieren. Diese Motivation muss man versuchen mitzunehmen. Die heutige Generation ist anders. Die Jungen gehen lockerer an die Sache ran, sind aber trotzdem voller Kampflust.

SPOX: Emil Hegle Svendsen, den sie sehr gefördert haben, fährt Ihnen immer häufiger davon. Haben Sie ihm zu viel beigebracht?

Björndalen: Nein, überhaupt nicht. Ich habe erkannt, dass er wahnsinniges Talent hat. Norwegen braucht solche Talente. Für mich war es wichtig, ihn zu unterstützen und auch Norwegen hat davon profitiert, dass Emil von mir lernen und schnell ein hohes Niveau erreichen konnte. Denn wir wollen bei der WM und Olympia ein starkes Team haben, da reicht einer allein nicht aus. Er ist ein Gewinnertyp. Wenn ich nicht einen Top-Lauftag habe, kann er gewinnen und das ist sehr wichtig.

SPOX: Sie haben Ihre jungen Teamkollegen kürzlich als "hungrige Wölfe" bezeichnet. Der Leitwolf sind aber immer noch Sie?

Björndalen: Halvard Hanevold ist immer noch der große Leitwolf, er ist der älteste. (lacht) Wir sind eigentlich eine Truppe von Einzelgängern und darin besteht unsere große Herausforderung, besonders mit Blick auf die Staffel. Wenn wir gut als Team zusammenarbeiten, sind wir sehr stark.

SPOX: Holen sich die Jungen bei Ihnen Tipps?

Björndalen: Ja, schon, sie kopieren sehr viel. Trotzdem: Die Kopie ist gut, aber das Original ist immer besser.

SPOX: Sie haben in der Vergangenheit öfters mit Ihren Ausflügen in den Langlauf-Weltcup für Furore gesorgt. Haben Sie diese Pläne ad acta gelegt?

Björndalen: Es war geplant, dass ich im Januar wieder im Weltcup starte. Durch die Krankheit wurde daraus leider nichts mehr. Wenn ich beim Langlaufen vorbeischaue, muss ich wirklich in Topform sein.

SPOX: Einer Ihrer härtesten Konkurrenten der letzten Jahre war Michael Greis. Wie schätzen Sie ihn in der laufenden Saison ein?

Björndalen: Auf mich macht er einen sehr entspannten Eindruck. Ich glaube, dass die aktuelle Saison besser wird als seine letzte. Obwohl er läuferisch noch nicht auf seinem Top-Niveau ist, hat er bereits ein Rennen gewonnen.

SPOX: Was sagen Sie zum deutschen Team? Hinter Michael Greis scheint eine große Lücke zu klaffen. Ist die große Zeit der deutschen Biathleten vorbei?

Björndalen: Die große Zeit ist überhaupt nicht vorbei. Ich bin positiv von Christoph Stephan überrascht. Er hat mir mit einer tollen Laufform imponiert. Er hat eine tolle Zukunft vor sich. Die anderen werden aber auch noch kommen.

SPOX: Also glauben Sie nicht an ein Nachwuchsproblem in Deutschland?

Björndalen: Ich hoffe nicht, aber viele neue Gesichter gibt es effektiv nicht. Ich bin davon überzeugt, dass Russland und Norwegen den besseren Nachwuchs haben.

SPOX: Machen sie sich da auch für die ganze Biathlon-Bewegung Sorgen? Deutschland ist schließlich der zentrale Biathlon-Markt.

Björndalen: So lange es in Deutschland Topathleten wie Greis und die starken Mädchen, die nicht nur in Deutschland, sondern auch außerhalb beliebt sind, gibt, ist das kein Problem. Dann ist Biathlon weiter interessant für die Sponsoren. Auch wenn es momentan sicherlich weltweit durch die Finanzsituation schwierig ist, Geldgeber zu finden.

SPOX: Trotzdem lebt der Sport von Typen wie Ihnen oder Bode Miller bei den Alpinen. Gibt es noch solche Typen?

Björndalen: Das ist sehr schwierig zu sagen. Man darf nicht vergessen, dass Bode Miller ein Ausnahmeathlet ist, so wie z.B. Alberto Tomba. Tomba war ein Typ abseits der Piste und weltweit beliebt, war aber auch wahnsinnig erfolgreich auf den Skiern. Er war so wie Miller immer sehr konstant und hat verrückte Sachen gemacht, die für die Medien interessant sind. Einen Sportler, der solche Eigenschaften kombiniert, gibt es sehr selten. Das kann zehn Jahre und länger dauern, bis wieder so einer entsteht.

SPOX: Wer könnte der nächste sein?

Björndalen: Michael Rösch hat die Anlagen dazu, er kommt dafür in Frage. Wenn er konstant Top-Ergebnisse bringt, hat man so einen Typen.

SPOX: Und außerhalb der deutschen Mannschaft?

Björndalen: Die Jungs aus Skandinavien oder Russland sind so seriös und trainingsfleißig. Die können auch verrückte Sachen erzählen, aber die Dichte ist so hoch, dass man es sich kaum leisten kann, Trainingseinheiten sausen zu lassen. Es ist schwierig, so etwas zu kombinieren. Man trainiert 1000 bis 1200 Stunden im Jahr, da wird die Zeit knapp für andere Dinge. Entweder man hat so was als Typ in sich, oder eben nicht. Aber ich sehe eigentlich keinen außer Rösch.

SPOX: Zurück zu Ihnen: Sie sind jetzt 35 Jahre alt. Andere Spitzensportler in ihrem Alter beklagen, dass es immer aufwändiger wird, die Topform zu erreichen und zu halten. Wie ist das bei Ihnen?

Björndalen: Ich glaube nicht, dass es schwieriger wird. Das Entscheidende ist der Kopf. So lange man motiviert ist, gibt es keine Probleme. Hanevold z.B. ist bereits 39, trotzdem erreicht er jedes Jahr bei der WM seine Topform. Frank Luck und Sven Fischer waren auch immer wieder bei den Großereignissen zur Stelle - Fischer zuletzt bei den Olympischen Spielen in Turin. Ich glaube, dass die erhöhte Verletzungsgefahr und die Motivation die größeren Probleme sind. Ist man erst motiviert, ist alles möglich.

SPOX: Haben Sie schon Pläne für die Zeit danach?

Björndalen: Mein Ziel ist Sotchi 2014. Danach werde ich mir mehr Zeit für meine Familie nehmen. Ich war jetzt viele Jahre auf mich und meinen Sport fixiert. So wie ich mich kenne, werde ich aber schon bald etwas Neues beginnen, da ich sehr ungeduldig bin. Was das dann letztlich sein wird, weiß ich noch nicht.

SPOX: Durch ihre Siege in Ruhpolding fehlen Ihnen nur noch zwei Erfolge bis zum Weltrekord von Ingemar Stenmark (86 Weltcupsiege). Wann knacken sie diesen Rekord?

Björndalen: Ich glaube fest daran, dass ich das schaffen kann. Allerdings habe ich keine Ahnung, wann es passieren wird.

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