Nach dem Playoff-Aus der Denver Broncos im vergangenen Januar sprach Quarterback Peyton Manning offen von einem möglichen Karriereende. Nun ist die lebende Legende doch noch einmal zurückgekehrt und macht Jagd auf einen weiteren Ring. Damit es dieses Jahr besser klappt, hat nicht nur die Nummer 18 einiges umgestellt. Eine entscheidende Rolle dürften auch General Manager John Elway und sein neuer Coach spielen.
Als Peyton Manning, Touchdown-Rekordhalter und einziger fünffacher MVP der NFL-Geschichte, in den Playoffs gegen die Indianapolis Colts einen langen Pass nach dem anderen auf den Turf und nicht in die Arme seiner Receiver setzte, schien sich eine lange und glorreiche Karriere überraschend schnell dem Ende zuzuneigen. Die Broncos verloren sang- und klanglos mit 13:24 und Manning, der die erste Hälfte der Saison in MVP-Form hinter sich gebracht hatte, wirkte alt und ausgelaugt.
Nicht wenige rechneten mit einem Rücktritt des damals fast 39-Jährigen, und er selbst schloss diese Möglichkeit lange nicht aus. Zwei Monate später stand dann aber fest: der "Sheriff" probiert es noch einmal - mindestens.
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Das sorgte für Spott. Warum tut er sich das an? Die gerade beendete Spielzeit hat doch gezeigt, dass er auf dem absteigenden Ast ist und die harte, fordernde Saison nicht mehr ohne drastischen Leistungsabfall hinter sich bringen kann. Im besten Fall handelt er sich eine weitere Playoff-Niederlage ein. Warum also das Theater?
Einmal abgesehen davon, dass es reichlich vermessen ist, einem Leistungssportler den Rücktritt nahezulegen, nur weil er seinen Zenit überschritten hat - vielleicht macht es ja immer noch Spaß? - bringt die NFL-Offseason eine wichtige Komponente mit, vielleicht sogar noch stärker als in anderen Sportarten: Hoffnung.
Der Geist ist willig...
Die Analyse der vergangenen Saison (ver-)führt dazu, dem neuen Jahr in den meisten Fällen mit jeder Menge Optimismus entgegenzublicken. Schließlich sind die verletzten Leistungsträger jetzt wieder fit! Neuverpflichtungen machen das Team stärker, die Rookies sind ein Jahr reifer geworden, inkompetente Coaches und Coordinator sind ersetzt worden.
Fehler in Bezug auf offensive und defensive Taktiken werden ausgemerzt, es geht wieder bei null los. Bei Manning, der in den Augen vieler Experten als der vielleicht genialste QB aller Zeiten gilt, der die Liga mit seinen No-Huddles, Audibles und Pre-Snap-Anpassungen revolutioniert hat, stand das Fragezeichen nie hinter seinen mentalen Fähigkeiten.
Vielmehr lautete das Urteil nach den Divisional Playoffs: Der Geist willig, aber das Fleisch ist schwach. Nach vier Operationen am Nacken ist nicht der heranstürzende Pass Rusher oder der aufmerksame Cornerback der größte Feind der Nummer 18, sondern der eigene Körper.
"Daran musste ich mich einfach gewöhnen"
Und dieser Körper macht ihm weiterhin das Leben schwer. Anfang September bestätigte Manning im Gespräch mit dem Monday Morning Quarterback, dass das Gefühl in den Fingerspitzen seiner rechten Hand immer noch nicht zurückgekehrt ist.
"Daran musste ich mich einfach gewöhnen - deswegen habe ich unter gewissen Bedingungen auch oft den Handschuh getragen. Das musste ich Indianapolis nie. Ich habe einfach nicht mehr so viel Grip. Ich bin jetzt ein anderer Spieler als vor meiner Verletzung, aber daran habe ich mein Spiel angepasst."
Vom Feeling her kein gutes Gefühl
Sofern man sich daran eben anpassen kann. "Zwei Jahre war es hart für mich, weil ein Arzt mir sagte, dass ich eines Morgens aufwachen könne und es sei wieder da. Also wacht man jeden Tag auf und denkt: 'Heute ist es soweit!' Und dann ist es eben nicht soweit." Es sei eben auch möglich, dass das Gefühl in seiner Wurfhand nie zurückkehrt.
Umso unglaublicher, dass er mit diesen gefühlslosen Fingern und dem deswegen nötigen Handschuh vor nicht einmal zwei Jahren mit 55 Touchdowns und 5.447 Passing Yards neue Rekorde aufgestellt hatte. Ebenso verständlich, dass er, den Kampf gegen den eigenen Körper gewohnt, nach dem Colts-Spiel nicht einfach die weiße Fahne hissen will. Schließlich hat er die Ursache für seine schwache zweite Saisonhälfte ausgemacht.
Anfang Dezember habe er sich etwas eingefangen und sich vor dem Spiel gegen die Chargers "die ganze Nacht übergeben", erzählte er Peter King. Im Spiel habe er sich dann am Oberschenkel verletzt und die Probleme über den Rest der Saison mit sich herumgeschleppt. "Ich habe es in dieser Offseason genau beobachtet, ob es sich in die neue Saison ziehen könnte, oder ob es eine einmalige Sache war. [...] Ich glaube nicht, dass mein Alter daran schuld ist." Wahrscheinlich sei er dehydriert gewesen.
Wie einst Brett Favre?
Um seinem nun bald 40-jährigen Körper die bestmögliche Leistung abzuringen, stieg er in der Vorbereitung noch früher ins Training ein und stellte seine Ernährung um. Den jährlichen Check-Up am Nacken bestand er ohne Probleme, und die Teamkollegen berichteten begeistert von "mehr Schwung" in seinen Pässen. Theoretisch steht einer Comeback-Saison, wenn man sie denn so nennen will, also nichts im Wege.
Praktisch gestaltet sich die Sache natürlich schwieriger. Was ihm in der letzten Saison passierte, ist auch in diesem Jahr nicht auszuschließen. Ein einziger Hit könnte reichen, um ihn aus dem Spiel zu nehmen. Wann auch immer der Moment kommen wird, ab dem Manning keinen Leistungssport mehr auf höchstem Niveau wird betreiben können: Er ist nah.
Die Colts-Legende wird an Brett Favre denken, der bei den Vikings anno 2009 33 TDs bei nur 7 Picks auflegte und das Team ins NFC Title Game führte. Mit 40. Den Favre, den er mit weiteren 2.148 Yards übrigens vom Thron der All-Time-Passing-Leaders stoßen würde.
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Elway mit Frühjahrsputz
Beobachtet wird er derweil von einer Broncos-Legende. John Elway, Super-Bowl-Champion 1997 und 1998, hält mittlerweile die Zügel im Front Office der Orangenen in der Hand. Um Peyton den gleichen Abgang zu ermöglichen, wie er ihn vor fast 20 Jahren feiern konnte, hat er die Franchise noch einmal umgekrempelt.
Nach drei Jahren unter Head Coach John Fox, in denen Denver, angeführt von Mannings brillanter Offense und einer spätestens in der letzten Saison mit Stars gespickten Defensive, in der Regular Season oft dominierte, aber in den Playoffs dann teilweise unerklärliche Leistungsabfälle zeigte, zog Elway die Reißleine. Nicht nur Fox musste gehen, auch die Coordinator-Posten wurden neu vergeben. Offensive Coordinator Adam Gase zog mit John Fox nach Chicago und darf sich nun an Jay Cutler versuchen. DC Jack Del Rio steht mittlerweile bei den Raiders am Ruder.
Die Defense der Broncos in der Analyse - Phillips und seine Pferdchen
An seiner Statt liegt es nun an Wade Philipps, aus der guten bis sehr guten Defense eine herausragende Einheit zu formen. Der 68-Jährige ist der Inbegriff eines Altmeisters, der für aggressives Play-Calling steht. Er soll Von Miller, DeMarcus Ware und Co. entfesseln.
Wie einst anno 1998
Viel wichtiger ist jedoch der neue Head Coach, der mit Rick Dennison auch gleich seinen favorisierten OC mitbringen durfte. Gary Kubiak heißt er - und ihn verbindet viel mit John Elway. 1983 waren beide gleichzeitig nach Colorado gekommen. Kubiak verbrachte acht Jahre als Backup-Quarterback in Elways Schatten. Und: Er war der Offensive Coordinator, der später seine Version der West Coast Offense mit seinen Zone-Blocking-Taktiken kombinierte, mit deren Hilfe Elway zum späten Titelträger wurde.
Kubiak weiß also um die Herausforderungen, die ein alternder Field General mit sich bringt - und Elway weiß, dass es Kubiak schon einmal gelungen ist, aus dieser Situation das Beste zu machen. Dafür müssen Coach und Quarterback aber erst einmal zueinander finden.
Es wird für Manning eine Herausforderung, sich im Spätherbst seiner Karriere einer komplett neuen Offense zu verschreiben. Wo er unter Fox vor allem aus der Shotgun, also zu Beginn des Spielzugs mehrere Meter hinter seinem Center, agierte, wird er den Snap nun häufig direkt übernehmen. Für einen Pass ist nun erst einmal ein Dropback von mehreren schnellen Schritten nötig. Das summiert sich im Laufe der Monate.
Unterwegs mit Peyton
Auch nach dem Snap verlangt Kubiaks System neue Elemente von Manning. Nicht mehr nur in der Pocket stehen, sondern Roll-Outs, Scrambles, Bootlegs, neue Formen der Play-Action. Wer mit diesen Begriffen wenig anfangen kann, dem sei gesagt: Peyton wird laufen, Peyton wird sogar rennen. Und erst dann werfen. Das bedeutet völlig neue Abläufe, nicht nur für den QB, sondern für die gesamte Offense. Und Manning war selbst in jungen Jahren kein Springinsfeld.
"Natürlich wird es Anpassungen brauchen", gibt Elway zu. "Aber das sind zwei clevere Football-Strategen, die unbedingt gewinnen wollen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass es funktionieren wird."
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Kubiak betonte in der Vorbereitung, es sei "dumm", wenn er seine Offense nicht um die Stärken Mannings herum aufbauen würde. Sein neuer Quarterback erklärte seinerseits: "Für jemanden, der nicht wirklich gut rennen kann, werfe ich dabei eigentlich ganz gut - vielleicht sogar besser als andere Running Quarterbacks."
Die Chemie muss stimmen
Die zweite vermeintliche Änderung betrifft die neue, größere Rolle des Running Games - ein Mantra, welches von etwa 90 Prozent aller Teams vor dem Saisonstart gebetsmühlenartig betont wird. Mehr Laufspiel, effektiveres Laufspiel. Dabei ist die NFL längst eine Passing League.
Die Broncos könnten das Team sein, bei dem sich das Running Game aber tatsächlich eine größere Scheibe vom Kuchen abschneiden kann als bisher. Seit Jahren will Elway seinen Mann under Center entlasten - mit mittelmäßigem Erfolg. Um Manning zu schonen und Kubiaks neues System zum Erfolg zu verhelfen, müssen C.J. Anderson und Ronnie Hillman ihre Chancen nutzen.
So extrem wie in den letzten Wochen von 2014 soll die Umstellung aber nicht ausfallen. "Da sind wir auf der anderen Seite vom Pferd gefallen", gab Elway im Nachhinein zu. "Es war eine schwere Umstellung für Peyton."
Auf der Suche nach der eigenen Identität
Nun also das Beste aus beiden Welten: Mehr und besseres Running Game, neues Passing Game. Es wird Zeit brauchen, bis sich QB und System eingespielt haben. Das wissen beide. Wenn es überhaupt funktioniert - und ein Spielzug, in dem Manning aus der Pocket sprintet, birgt eben auch die Gefahr, dass es zu einer höchst unangenehmen Kollision mit einem heranstürmenden Linebacker kommt. Dazu kommt die neu zusammengewürfelte Offensive Line, die an Talent und Erfahrung verloren hat und sich erst einmal finden muss.
"Wären wir schon vor Week 1 gerne eine gut geölte Maschine? Klar", gab Manning Ende August zu. Am 13. September sind die Baltimore Ravens zu Gast in Denver. "Wir sind immer noch dabei herauszufinden, wer wir sind und was wir sein werden. Aber ich glaube, dass wir Spiele gewinnen können, während wir diese Identität entwickeln." Der Champion aus New England ist dafür das beste Beispiel.
Also gilt es bei den Wildpferden aus den Rocky Mountains, darauf hinzuarbeiten, dass diese Identität möglichst schnell gefunden wird. Wer dafür letzten Endes mehr Zugeständnisse machen muss - Coach oder Quarterback - wird sich auf dem Gridiron zeigen.
Nur noch ein Teil der Maschinerie
Elway will derweil dafür sorgen, dass sein wichtigster Mann fit und ausgeruht bleibt. Schon im Training Camp wurden Manning deshalb regelmäßige Pausen verordnet. "Je älter man wird, desto mehr wird von der Maschine zu einem Teil der Maschinerie. Auch wenn dir dein Kopf etwas ganz anderes sagt. Daran muss man sich gewöhnen."
Geht die neue Marschroute fehl, könnte es gegen ein aufsteigendes Chiefs-Team eng werden mit dem Division-Titel. Hat das Trio Kubiak-Elway-Manning aber Erfolg, dürfte in Week 12 ein Spitzenspiel im Mile High Stadium steigen, für welches Peyton eine Extra-Portion Motivation mitbringt. "Zwei Jahre" hatte Tom Brady seinem ewigen Konkurrenten in einer veröffentlichten Mail schließlich noch gegeben und das "letzte Kapitel" eingeläutet.
Um es mit seinen Worten zu sagen: Game on!
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