NBA - Utah Jazz als Spielverderber der Contender: Warum denn eigentlich nicht?

Robert Arndt
02. Februar 202112:15
Rudy Gobert ist einer der Stars der Utah Jazz.getty
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Die Utah Jazz gehören zu den Teams der Stunde in der NBA, auch wenn ihre Siegesserie von elf Spielen durch eine absolute Gala-Vorstellung der Denver Nuggets gestoppt wurde. Was macht das Team so stark - und kann Utah nach einigen enttäuschenden Playoff-Leistungen in den vergangenen Jahren den Hebel umlegen?

Noch nie war wurde eine Saison mit so viel Ungewissheit begleitet wie die aktuelle. Corona, die meist leeren Hallen, ein eng getakteter Spielplan - diese Spielzeit scheint wie gemacht für Überraschungen, kuriose Ergebnisse oder einfach gesagt: Chaos.

Ein Team, welches davon bisher weitestgehend verschont geblieben ist, sind die Utah Jazz. Eine Partie in Washington musste wegen Coronafällen beim Gegner abgesagt werden, nach einem Viertel der Saison verbrachte nur Bankspieler Juwan Morgan einige Zeit im Corona-Protokoll. Gemessen an den meisten anderen Teams ist Utah damit eine Oase der Konstanz.

Trotz einer enttäuschenden Vorsaison mit dem bitteren Aus in Runde eins gegen die Nuggets ist der Kader zusammengeblieben, nur Derrick Favors, ein alter Bekannter, stieß zur bestehenden Rotation hinzu. Die Streitigkeiten zwischen den beiden Stars, Donovan Mitchell und Rudy Gobert, scheinen beseitigt. Beide erhielten dicke Verträge in der Offseason, beide Egos wurden somit besänftigt und der Fokus konnte auf das Wesentliche gerichtet werden: Der Angriff auf die Krone im Westen.

Utah Jazz: Dominant wie zuletzt die Durant-Warriors

Für den Moment sieht das sehr gut aus, von 20 Spielen haben die Jazz 15 gewonnen. Niederlagen setzte es nur daheim gegen Minnesota und Phoenix sowie beim Back-to-Back-Doubleheader in Brooklyn und bei den Knicks, und eben gegen die Nuggets, die die beste Shooting-Halbzeit der NBA-Geschichte mit 15/17 Dreiern gegen sie hinlegten.

Ansonsten wurden die Gegner mit knapp 15 Zählern im Schnitt aus der Halle geschossen. Filtert man die Garbage Time heraus, erzielen die Jazz laut Cleaning the Glass satte 10,8 Punkte mehr als der Gegner, wenn man es auf 100 Ballbesitze normiert. Über eine ganze Saison waren zuletzt die Golden State Warriors nach der Ankunft von Kevin Durant so dominant (2016/17) wie die derzeitigen Jazz.

Nicht nur die Zahlen sagen das, sondern auch Warriors-Coach Steve Kerr, der vorvergangenen Sonntag mit seinem Team eine 108:127-Abreibung erhielt: "Sie wollen Meister werden und ich glaube, dass dies im Bereich des Möglichen liegt", sagte Kerr. "Sie sind dort, wo wir vor drei, vier Jahren waren."

Doch woran liegt das? Zunächst einmal müssen "softe" Faktoren berücksichtigt werden. Wie schon erwähnt, ist kein Team eingespielter als Utah, dazu ist Bojan Bogdanovic nach seiner Handgelenksverletzung, die ihn die Bubble kostete, wieder zurück und Favors ist als Backup von Gobert ein gewaltiges Upgrade im Vergleich zu Tony Bradley oder Ed Davis, die diesen Job im Vorjahr eher schlecht als recht erledigten.

Utah Jazz: Entlastung für Rudy Gobert

Favors spielt nun fast exklusiv die Backup-Minuten des Franzosen, Coach Quin Snyder lässt beide kaum noch zusammen auf den Court. Auch bei den Rotationen hat sich etwas getan. Über Jahre spielte Gobert fast immer den Großteil des ersten und dritten Viertels und geriet dabei nicht selten in Foulprobleme.

Nun geht der Franzose aber schon früher raus und startet zusammen mit Mike Conley und drei Reservisten (meist Jordan Clarkson, Joe Ingles und Georges Niang) das zweite bzw. vierte Viertel - und dieses Lineup zerstört seine Gegner. Das Defensiv-Rating für diese Fünf beträgt laut nba.com gerade einmal 100,5 und zeigt, dass Gobert Second Units mit seiner defensiven Präsenz komplett kalt stellen kann.

Das sollte von einem zweimaligen Verteidiger des Jahres auch erwartet werden, doch alles kann auch der Stifle Tower nicht ausbügeln. Nachdem die Jazz über Jahre zu den besten drei Verteidigungen der Liga zählten, waren sie im Vorjahr nicht mal mehr in der Top 10. Unter anderem brach dies Utah gegen die Nuggets das Genick, selbst wenn die Offense um den brillanten Mitchell auf Hochtouren brummte.

Rudy Gobert wurde bereits zweimal zum Defensive Player of the Year ausgezeichnet.getty

Utah Jazz: Morey-Ball vom feinsten

Nun stellen die Jazz wieder die drittbeste Defense, während es offensiv weiter wie am Schnürchen läuft. Das gelingt mit einem System, wie es sich Sixers-Präsident Daryl Morey zu Rockets-Zeiten erträumt hätte. Utah nimmt prozentuell gesehen die meisten Dreier, die wenigsten langen Zweier und nur Phoenix erspielt sich mehr Würfe aus der Ecke, dem kürzesten Distanzwurf.

Utahs Spiel fußte schon immer auf viel Penetration, Kick-Outs und schnellen Pässen zu den freien Schützen, nun steht auch das Personal bereit, um dies bestmöglich umzusetzen. Die Abhängigkeit von Mitchell ist nicht mehr so frappierend wie noch in den Vorjahren (bester Beweis: die beiden Siege vs. Dallas ohne den All-Star), stattdessen kann Snyder auf ein Reservoir von Schützen zurückgreifen, auf das ein Großteil der Liga neidisch sein dürfte.

Mit Conley, Ingles, Royce O'Neale, Mitchell, Bogdanovic und Clarkson haben die Jazz gleich sechs verlässliche Schützen, davon dürften drei fast immer zusammen auf dem Feld stehen. Sie alle treffen bislang über 38 Prozent, außer O'Neale nehmen sie alle mindestens fünf Versuche pro Spiel. Sind sie laut nba.com "völlig frei" (mindestends 1,80 Meter ohne Gegenspieler) treffen sie sogar alle weit über 40 Prozent.

Es gibt also keinen Guard oder Flügelspieler, vom dem sich ein Verteidiger zum Helfen lösen könnte, ohne dass die Jazz dies nicht bestrafen können. So kommen Fabelstatistiken zu Stande, wie zum Beispiel der Umstand, dass Utah in den vergangenen zehn Spielen immer mindestens 15 Dreier versenkte (Liga-Rekord). Achtmal waren es in dieser Saison bereits mindestens 20 Triples, unter anderem 25 beim 131:118-Sieg in Milwaukee.

Utah Jazz: Die Dreierquoten der einzelnen Spieler

SpielerPunkteDreierquote
Mike Conley16,640,7
Donovan Mitchell22,839,4
Jordan Clarkson17,738,4
Joe Ingles10,845,2
Bojan Bogdanovic14,739,7
Royce O'Neale846,8

Utah Jazz: Mike Conley ist endgültig angekommen

Daran beteiligt ist auch Conley, der im Vorjahr viel Kritik einstecken musste, nun aber an seine Glanzzeiten im Grizzlies-Jersey anknüpfen kann. Vermutlich brauchte der Guard tatsächlich das Jahr, um sich zu akklimatisieren, schließlich spielte er zuvor über Jahre Two-Man-Game mit Marc Gasol, der komplett andere Stärken als Gobert besitzt. Inzwischen stimmt die Chemie mit dem Franzosen, laut Cleaning the Glass erzielt dieses Duo knapp 20 Punkte pro 100 Ballbesitze mehr als der Gegner.

"Er hat versucht, sich uns anzupassen", sagte auch Gobert über das erste Jahr mit Conley. Der 33-Jährige bestätigte dies: "Ich war im Janaur lange verletzt. Ich wollte nicht, dass andere wegen mir zurückstecken müssen." Im Gegensatz zu seiner Memphis-Zeit hält Conley den Ball auch in Jahr zwei weiter weniger in der Hand, dafür ist seine Effizienz wieder da, wo sie in seiner Hochzeit vor vier, fünf Jahren war.

Effizient ist übrigens auch Clarkson, der zu diesem Zeitpunkt der Favorit auf den besten Bankspieler des Jahres sein dürfte. Über Jahre war der 28-Jährige der klassische Combo Guard, der viel aus der Mitteldistanz wirft und den Ruf eines schwarzen Lochs hatte. Inzwischen hat aber auch er lange Zweier durch Distanzwürfe ersetzt und seine Rolle gefunden.

Seine starke Bubble war keine Eintagsfliege, was auch für Mitchell gilt. Der All-Star erhielt zuletzt durch Shaqs unglücklich getimte Kritik jede Menge Aufmerksamkeit, hat sich aber auch in dieser Saison wieder gesteigert. Seine Entwicklung ist mit Sicherheit noch nicht abgeschlossen, vor allem im Playmaking macht der 24-Jährige Jahr für Jahr kleine Fortschritte.

Utah Jazz: Läuft die Maschine auch in den Playoffs?

Doch lässt sich dies auch in Playoff-Erfolg ummünzen? Das ist die große Frage, auf welche wir erst im Sommer eine Antwort bekommen werden. Fakt ist, dass die Jazz so homogen wie vielleicht kein anderes Team sind. Synder hat neun Spieler, auf die er sich voll verlassen kann, das ist eine vollständige Playoff-Rotation, die mit Ausnahme von Niang kaum Fragezeichen aufwirft.

Dennoch gibt es Anlass zu Zweifeln. Utahs Defense bleibt enorm abhängig von Gobert, gegen Teams mit werfenden Bigs tat sich der Franzose in der Postseason schwer, sowohl die Clippers als auch die Lakers haben solche Spielertypen (Ibaka, Davis, Gasol) in ihren Reihen. Mit Mitchell auf der Zwei werden die Jazz zudem immer ein sehr kleines Team bleiben.

Erschwerend kommt hinzu, dass Utah keinen Top-10-Spieler besitzt, bei allem Respekt für Mitchell und Gobert. Es gab schon viele Teams, die ausgeglichen besetzt waren, aber keinen echten Superstar in ihren Reihen hatten, echten Playoff-Erfolg hatten diese Truppen meist nicht (zum Beispiel die 60-Siege-Hawks 2014/15). Die Detroit Pistons von 2004 sind die ultimative Ausnahme dieser Regel, die sich normalerweise immer wieder bestätigt.

Vielleicht holt das auch die Jazz ein. Andererseits: Was ist schon normal in dieser Saison? Wenn es mal wieder einen Überraschungs-Champion geben kann, dann wohl in dieser Spielzeit. Warum dann eigentlich nicht mal die Jazz?