Hack-a-Shaq setzt den diesjährigen Playoffs seinen Stempel auf wie selten zuvor - in Spiel 4 der Serie zwischen den Houston Rockets und den L.A. Clippers kulminierte das Phänomen mit astronomischen 93 Freiwürfen. Wo kommt die Taktik her, wer sind die Opfer, was sind die Folgen und wie wird man die absichtlichen Fouls wieder los? SPOX klärt auf.
Der Ursprung
Häufig wird der legendäre Don Nelson als Urheber der Hack-a-Strategie genannt, nachdem er im Jahr 1997 Dennis Rodman von den Chicago Bulls foulen ließ. Tatsächlich war der Wurm (Karriere: 58,4 Prozent) aber nicht der erste Big Man, der mit dieser Art der "Defense" bedacht wurde. Schon Wilt Chamberlain wurde in den 60er und 70er Jahren immer wieder gefoult, gleich neunmal führte der Big Dipper die Liga bei den versuchten Freiwürfen an.
Damals war es eine logische Entscheidung, ihn zu foulen, da Chamberlain mit normaler Defense schlichtweg kaum gestoppt werden konnte, wenn man nicht gerade Bill Russell in den eigenen Reihen wusste. Während Wilt die Liga siebenmal bei der Feldwurfquote anführte (Karriere: 54 Prozent FG), tat er sich ähnlich wie sein späterer "Nachfolger" Shaquille O'Neal unheimlich schwer von der Linie (51,1 Prozent). In den Playoffs sank seine Quote von der Linie sogar auf 46,5 Prozent.
Advanced Stats wie die offensive Reboundrate liegen in seinem Fall nicht vor, weshalb der zahlenmäßige Effekt schwer in Zahlen ausgedrückt werden kann. Allerdings war Wilt Zeit seiner Karriere berüchtigt dafür, in der Schlussphase enger Spiele wenig Einfluss zu nehmen, weil er an der Freiwurflinie keine Schwäche zeigen wollte.
Von daher kann man bei ihm vom ersten Beispiel sprechen, bei dem die "Hack-a"-Strategie teilweise funktioniert hat - auch wenn der zweifache Champion Chamberlain selbstverständlich trotzdem eine sehr erfolgreiche Karriere hinlegte.
Ihren "offiziellen" Namen bekam die Strategie freilich erst deutlich später mit dem erwähnten O'Neal - auch wenn der die Bezeichnung "Hack-a-Shaq" ebenso wenig leiden konnte wie die Strategie an sich. Bis heute betont O'Neal regelmäßig, dass die Taktik gegen ihn nie wirklich funktioniert hat, wenngleich er über seine Karriere nur 52,7 Prozent von der Linie versenken konnte.
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Shaqs Quote in den Playoffs schwankte dabei wesentlich mehr als die des "konstant" schwachen Big Dippers: Im Meisterjahr 2001/02 bei den Lakers traf er 64,9 Prozent von der Linie und machte damit jeden Hack-a-Versuch obsolet, vier Jahre später traf er dagegen bloß 37,4 Prozent, als er gemeinsam mit Dwyane Wade die erste Meisterschaft nach Miami holte.
Die Opfer
Das derzeit prominenteste Beispiel ist zweifellos DeAndre Jordan, und das nicht erst seit den unfassbaren 34 Freiwürfen in der Nacht von Sonntag auf Montag gegen die Rockets. DJ wurde laut ESPN Stats & Info in der abgelaufenen Saison sage und schreibe 109mal absichtlich gefoult.
Zum Vergleich: Die zweitmeisten Trips verzeichnete Josh Smith mit 29! Fairerweise sei dazu gesagt, dass Dwight Howard, der die Liga in der Kategorie über die letzten Jahre meist anführte, große Teile der Saison verpasste und so "nur" 15mal absichtlich gefoult wurde.
Jordan ist dabei ein völlig anderer Spielertyp als die offensiv dominanten Shaqs und Wilts. Er ist ein starker Rebounder und Defender, vorne beschränkt er sich fast vollkommen auf Putbacks und Dunks. Er ist allerdings Teil der effizientesten Offense der Liga. Die Clippers legen pro Ballbesitz in dieser Saison im Schnitt 1,13 Punkte auf - da gilt das Foulen Jordan mit seiner horrenden Freiwurfquote von 41,7 Prozent über die Karriere häufig als einzige Methode, diese Maschinerie zu stoppen.
Weitere Opfer sind Andre Drummond (2014/15: 13 absichtliche Fouls), Andrew Bogut (3) und Ömer Asik (3). Bemerkenswert: Die vermeintlich so statistikbesessenen Houston Rockets haben mit Howard (15), Smith (24) und Joey Dorsey (12) gleich drei der vier der "meistgehackten" Spieler in ihren Reihen.
Seite 2: Täter, Effekt und Nebenwirkungen
Die Täter
"Zum Anschauen ist es fürchterlich. Es könnte nicht schlimmer sein. Ich bin mir sicher dass die Liga darüber sprechen wird, und das sollte sie auch."
Diese Worte sind kaum eine Woche alt und stammen von Gregg Popovich. Einerseits kann man ihnen aus "Konsumenten"-Sicht kaum widersprechen. Andererseits ist es paradox, dass sie ausgerechnet von Coach Pop kommen - denn der fünfmalige Meistertrainer der Spurs ist seit Jahren das Gesicht der Strategie. Seit der Jahrtausendwende lässt kein Trainer häufiger absichtlich foulen als Popovich.
In der (für San Antonio) abgelaufenen Saison trieb Popovich dieses Spiel auf die Spitze. 67mal ließ er absichtlich foulen, unfassbare 30 dieser Fouls kamen in der Playoffserie gegen die Clippers und damit Jordan. Kevin McHale ist mit seinen Rockets drauf und dran, diese Marke direkt zu übertreffen: Allein in Spiel 4 ließ er Jordan 14mal absichtlich foulen (per nba.com/stats).
In der regulären Saison ließ McHale insgesamt neunmal absichtlich foulen und teilte sich dadurch den vierten "Rang" mit Scott Brooks. Pop teilte sich das Podium derweil mit Rick Carlisle (32) und Celtics-Coach Brad Stevens (14). Interessant bei den Mavs: Wenn sie absichtlich foulten, wurden sie auf 100 Ballbesitze hochgerechnet mit 25,8 Punkten abgeschlachtet...
Der Effekt
ESPN-Insider Kevin Pelton hat kürzlich eine umfassende Analyse durchgeführt, um die Auswirkungen der Strategie auf das "hackende" und auf das "gehackte" Team in Zahlen zu erfassen. Dabei fand er heraus, dass die Resultate keineswegs eindeutig sind - es kommt stattdessen stark darauf an, wer sich der absichtlichen Fouls bedient.
Das hängt zum einen mit der Reboundrate zusammen. Die wie erwähnt erschreckende Bilanz der Mavs liegt darin begründet, dass ihre Gegner 28,6 Prozent der verfehlten Freiwürfe selbst einsacken und in 2nd-Chance-Points umwandeln konnten - so kommt das unglaubliche Offensiv-Rating von 138,7 bei Teams zustande, die von Dallas gehackt wurden. Wer das eigene Brett nicht kontrollieren kann, sollte sich lieber zweimal überlegen, wie sinnvoll das Hacken ist.
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Ein ganz anderes Beispiel sind die Spurs. Der noch amtierende Meister verzeichnete bei den verfehlten Freiwürfen eine Defensiv-Rebound-Rate von beinahe 90 und limitierte gegnerische 2nd-Chance-Points damit auf ein Minimum; von den Spurs gehackte Teams kamen nur auf ein Offensiv-Rating von 95,5, während San Antonio seinerseits eins von 109,1 verzeichnete. Die Differenz von +13,6 spricht ganz klar dafür, dass die Strategie den Spurs half, auch wenn es gegen die Clippers nicht reichte.
Den Rockets hilft es derweil überhaupt nicht, Jordan zu foulen, wie Spiel 4 erbarmungslos zeigte. Obwohl er nur 14 seiner 34 Freiwürfe traf, war DJ der beste Mann auf dem Court und dominierte mit 26 Punkten und 17 Rebounds. Über die Serie gesehen steht sein Plus/Minus-Wert bei beeindruckenden +84, und das ist kein Zufall. Sowohl vorne als auch hinten ist er derzeit unverzichtbar - "Hack-a-DJ" hin oder her.
Die Nebenwirkungen
Abgesehen davon, dass Hack-a-wen-auch-immer den Spielfluss zerstört und dem geneigten Zuschauer langsam aber sicher den Lebenswillen nimmt, gibt es vorne wie hinten noch weitere Effekte, die nicht zwingend im Boxscore auftauchen, für den Spielverlauf aber dennoch wichtig sein können.
Dadurch, dass mit den Fouls ständig das Spiel gestoppt wird, muss sich das hackende Team in der Regel gegen eine formierte Verteidigung durchsetzen, einfache Punkte in Transition gibt es quasi nicht. Für starke Halfcourt-Teams wie die Spurs mag das in der Regel funktionieren, bei unkreativen Offensiv-Teams wie den Bulls kann dies jedoch ein echtes Problem darstellen - interessanterweise ließ Tom Thibodeau in der ersten Runde gegen Milwaukee dennoch 16mal absichtlich foulen, mit gemischten Resultaten.
Ein anderer Nebeneffekt wurde den Spurs in der epischen Runde gegen die Clippers wiederum zum Verhängnis. Die Tiefe hatte eigentlich ihr großer Vorteil sein sollen, durch die ständigen Unterbrechungen gewährten sie den Clippers-Startern aber automatisch mehr Pausen, die vor allem dem angeschlagenen Chris Paul und Usage-Monster Blake Griffin zugutekamen. Dazu sei natürlich erwähnt, dass sich auch die älteren Spurs-Herren in dieser Zeit erholen konnten.
Es wird gelegentlich darauf hingewiesen, dass es einen starken psychologischen Effekt auf die Mitspieler haben kann, wenn ein Spieler ständig an einer Aufgabe scheitert, die ihnen locker von der Hand geht. Dieser Effekt ist aber freilich kaum zu erfassen und lässt sich auch problemlos kontern - wenn DJ wie in Spiel 2 seine ersten vier Freiwürfe nach absichtlichen Fouls am Stück trifft, kann dies schließlich umso mehr für Euphorie in seinem Team sorgen.
Im Großen und Ganzen wiegen sich die Effekte einigermaßen auf - die Analyse von Pelton ergab im Mittel keine signifikanten Abweichungen von Spielen, in denen nicht gehackt wurde. Wenn sich die Clippers, wonach es derzeit klar aussieht, gegen Houston durchsetzen und die Western Conference Finals erreichen, wird es interessant: Weder Golden State noch Memphis bemühten in der vergangenen Saison häufig absichtliche Fouls, die Warriors sogar kein einziges Mal.
Sowohl Steve Kerr als auch Dave Joerger vertrauten ihren überragenden Verteidigungen bisher genug, um nicht auf diese Strategie zurückzugreifen. Es ist nicht auszuschließen, dass sich dies in einer Serie gegen die Clippers ändern könnte, in der Frequenz wie in Spiel 4 wird man Hack-a-DJ aber gegen keines dieser Teams zu sehen bekommen - zum Glück. Stoppen kann man die Clippers-Offense auf diese Weise ohnehin nicht, so viel ist mittlerweile klar.
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Die Lösung
"Ganz einfach: Würfe üben!" Man ist immer wieder versucht, diese simpelste aller Antworten mit dem Elan eines Kneipenphilosophen von sich zu geben, wenn diese Frage aufkommt. Im Endeffekt geht es schließlich nur um eine Handvoll Spieler, die vom Hacken betroffen sind - und dafür soll man gleich eine Regel ändern?
"Sollen die halt wenigstens 60 Prozent treffen, das schaffe ich auf dem Freiplatz ja auch!", möchte man meinen. Der Gedanke ist auch nicht falsch, allerdings zu simpel für dieses komplexe Thema. Vor Jahren machte beispielsweise ein Bericht die Runde, dass Howard im Training 80 bis 90 Prozent seiner Freiwürfe treffe, dies aber nicht auf dem Court umsetzen könne.
Dabei handelt es sich eben um ganz andere Bedingungen als im Training, vor allem, wenn man Zeit seiner Karriere auf größtmöglicher Bühne mit dieser einen großen Schwachstelle konfrontiert wurde - der psychologische Effekt davon ist nicht zu verachten, die Airballs und Backsteine sind schließlich demütigend.
Den Coaches kann man dabei keinen Vorwurf machen. Popovich hat das Recht dazu, diese Taktik anzuwenden, auch wenn er sie selbst verachtet. Sie ist regelkonform und für ihn ein Mittel der Defense, ob nun erfolgreich oder nicht. Es liegt vielmehr bei der Liga, eine Lösung zu finden, da Spieler, Trainer und allen voran die Fans mittlerweile genug gesehen haben.
Commissioner Adam Silver hat bereits angekündigt, im Sommer Diskussionen abzuhalten, wie man der Lage Herr werden kann. Ein Vorschlag, der in der Blogosphäre seit längerem die Runde macht, lautet wie folgt: Bei einem absichtlichen Foul kann das Team entscheiden, ob es die Freiwürfe nimmt oder stattdessen von der Seite einwirft. Es wurde auch die Idee formuliert, wie bei einem Technical einfach den Schützen auszuwählen.
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Wie auch immer die Lösung ausfällt, man darf davon ausgehen, dass Hack-a-Shaq relativ bald Geschichte sein wird. Die NBA legt so großen Wert darauf, zuschauerfreundlich zu sein, dass sich dieser Trend eigentlich nicht fortsetzen kann - ganz egal was beispielsweise Mark Cuban oder Larry Bird sagen.
Für alle Traditionalisten: Regeländerungen für die Zuschauerfreundlichkeit müssen nichts Schlechtes sein, die 24-Sekunden-Uhr war als Idee schließlich auch nicht verkehrt. In jedem Fall wird man ab der nächsten Saison wohl keine Spiele mehr sehen, in der beide Teams zusammen 93 Freiwürfe schießen. Und das ist gut so.
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