Verdient John Cena den Hass, der ihm aufgrund der PG-Ausrichtung der WWE seit Jahren entgegen schlägt? Oder liegt die Hauptschuld doch bei Linda McMahon und ihren politischen Ambitionen? Im Hot Tag diskutieren wir über die Stellung von Social Media, PR-wirksame Kampagnen sowie die Wellness Policy und ihre jeweiligen Auswirkungen auf das Gesamtprodukt.
Maurice Kneisel: Sven, wir wollten uns schon seit längerem mal über die Dinge unterhalten, die in der WWE abseits des Rings eine gewichtige Rolle spielen und inwiefern diese einen (negativen) Einfluss auf das Produkt haben. Ein erster Punkt wäre sicher Social Media. Was hältst du von der hohen Präsenz von Facebook, Twitter & Co.?
Sven Spingler: Ich muss ehrlich sagen, als ich das erste Mal davon gelesen hatte, dass die WWE sich mehr auf Twitter & Co. konzentrieren will, stieß das bei mir sehr negativ auf. Doch inzwischen hat man sich einigermaßen daran gewöhnt und es ist nicht so omnipräsent geworden, wie man zwischenzeitlich befürchten musste. Vince ist Geschäftsmann durch und durch und wenn er eine Marktlücke findet, geht er darauf ein. Oder hast du dabei immer noch größere Bedenken?
Kneisel: Bedenken nicht wirklich, da man die sozialen Netzwerke hervorragend für sich nutzen kann. Die Frage ist nur, ob dies so weit gehen sollte, dass jeder Angestellte einen eigenen Twitter-Account besitzen MUSS. Keine Frage, die Superstars und Diven sind Profis, mit den Fans zu interagieren gehört zu ihrem Job. Doch teilweise geht mir das zu weit. Während man bei Leuten wie Zack Ryder oder Dolph Ziggler merkt, dass es ihnen Spaß macht, ist ähnlich offensichtlich, dass ein Cody Rhodes beispielsweise sich nicht dafür begeistern kann. Sollte er sich trotzdem täglich hinhocken und irgendwelchen Schmus ins Web zwitschern müssen?
Spingler: Ich finde schon. Es ist nun mal zu einem wichtigen Bestandteil seines Jobs geworden. Dir gefällt sicher auch nicht alles, was dein Boss so von dir will, trotzdem musst du es machen. Das gehört einfach dazu, finde ich. Zudem ist Cody zurzeit leider sowieso auf dem absteigenden Ast, nachdem er durch die Wellness Policy gerauscht ist.
Kneisel: So arg, dass es Konsequenzen nach sich ziehen dürfte, lässt der gute Cody das Ganze auch nicht raushängen, außerdem ist er nicht der Einzige. Bei Brock Lesnar hat man es immerhin gar nicht erst versucht. Generell fällt aber auf, dass der große Hype um Twitter verflogen scheint. Es ist ja in Ordnung, wenn die aktuellen Top-Trends während der Shows kurz eingeblendet werden. Aber teilweise hat Cole die Social-Media-Entwicklungen ausgiebiger kommentiert als das laufende Match. So was geht gar nicht.
Spingler: Das stimmt, auch wenn die Twitter-Gemeinde weiterhin bei Matches oder Stipulationen mitbestimmen darf. Auch die Anzahl der Tout-Videos haben sie zum Glück zurückgeschraubt. Vince hat wohl gemerkt, dass sie die drei Stunden RAW auch ohne nervige Rückblenden und "Expertenmeinungen" vollbekommen. Wobei mich das neue Paket immer noch nicht überzeugen konnte, da vieles mehr gestreckt als sinnvoll geplant wirkt.
Kneisel: RAW Active finde ich eigentlich gar nicht so übel. Die WWE überlegt sich drei Szenarios, die für sie akzeptabel wären, und lässt die Fans ihren Favoriten wählen. Wie einfach sie das steuern können, hat man unlängst beim "Hug it out!"-Segment gesehen. Tout ist auch ein gutes Stichwort. Ich weiß nicht, wie es dir ging, aber nach den ersten Ankündigungen und dem Debüt bei RAW habe ich mit dem Schlimmsten gerechnet. Bei aller Liebe will ich definitiv nicht jede Woche irgendwelche Marks ihre Lieblinge in 15-Sekunden-Clips abfeiern sehen. "You can't see me" - Na Gott sei Dank!
Spingler: Wer will das schon. Cena nervt in den Shows schon genug, da muss man nicht noch seine Fans ertragen müssen. Apropos Cena. Ich finde nichts Verwerfliches daran, auf Brustkrebs aufmerksam zu machen. Krebs ist eine schlimme Krankheit. Nur dann sollte die WWE das neutral halten und jeden WWE Superstar dafür werben lassen, statt Cenas Slogan abzuändern. "Rise Above Cancer". Klar, der Superheld kann alles - nur nicht als Face in der WWE ankommen. Durch solche Aktionen wird das auch nicht besser.
Kneisel: Sicher, die Cena-Hasser werden ihn dafür kein Jota mehr mögen. Ich finde die Aktion aber klasse und auch, dass John dafür als Sprecher fungiert. Er ist nun mal das Aushängeschild der Liga, obgleich ich dir zustimme, dass auch andere Superstars und Diven mehr zu Wort kommen sollten. Es ist halt eine besondere Aktion, die einen Monat lang läuft, da finde ich es nicht weiter wild, den Slogan abzuändern. Das schafft weitere Aufmerksamkeit für die Aktion und letztlich kommt es doch nur darauf an. Dass Cena sich ausgerechnet jetzt verletzt, hätte natürlich kaum unglücklicher sein können. Apropos JohnBoy: Er wird ja immer als Schuldiger für die PG-Ausrichtung angesehen. Auch wenn er sich mehrfach als Befürworter geoutet hat, dürfte das Ganze aber doch eher auf Linda McMahons politische Ambitionen zurückzuführen sein. Was hälst du davon?
Spingler: PG grenzt die Möglichkeiten tatsächlich ein. Wenn man einen Antonio Cesaro so brutal aufbauen könnte, wie seinerseits Brock Lesnar, hätte er jetzt schon ein ganz anderes Standing beim WWE Universe. Cena würde ich in diesem Fall mal keinen Vorwurf machen. Er ist nun mal der Vermittler zwischen Fans und WWE. Dass er kein großer Fan von PG ist, hat man bei seinem Fight gegen Lesnar gesehen. Aber PG hin, PG her, das ist bei weitem kein Grund dafür, dass sich die Schreiberlinge keine spannenden Storylines ausdenken dürfen. Wenn die WWE hier mehr Entertainment bieten würde, auch in der Midcard, würde das "Kindliche" bei weitem nicht so negativ auffallen. Dass Lindas Kandidatur da eine Rolle spielt, kann man sicher nicht abstreiten. Bei ihrem zweiten Anlauf stehen ihre Chancen auf Erfolg gut und somit eher schlecht für TV14.
Kneisel: Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber mir - und sicher auch vielen anderen Fans - geht es bei den ständigen Beschwerden über PG ja weniger um Blut und reine Brutalität. Keine Frage, einen blutüberströmten Steve Austin vergisst man nie wieder, aber ich kann gut ohne Barbed-Wire-Massacre-Matches und ähnliches leben. Vielmehr stören mich diese unlustigen, stupiden "Comedy"-Segmente um Hornswoggle und Co. Damit macht sich die WWE doch nur selbst lächerlich. Zuletzt hat sich das aber merklich gebessert, oder findest du nicht? Allen voran natürlich diese sensationellen Daniel Bryan/Kane-Segmente... Und meine Güte, ausgerechnet John Cena hat Punk bei RAW in Montreal beschimpft. Wie Linda das wohl fand?
Spingler: Ich muss dir Recht geben, Santino war noch nie lustig, Hornswoggle genauso wenig. Doch man muss anmerken, dass die Ratings in den Shows mit hohem Comedy-Anteil meistens stimmten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein HHH über Santino lachen muss, allerdings scheint er den Nerv der Zeit zu treffen und vor allem den der Zielgruppe, auf die die WWE zur Zeit nun mal abzielt. Der WWE fehlt der große Gegenspieler. Solange Ratings in der Region bleiben, in der sie momentan sind, muss man auch gar nichts ändern. TNA, ROH & Co. schön und gut, aber alles keine Gefahr für den Branchenprimus. Und da die WWE an der Börse ist, geht es eben in erster Linie um das liebe Geld.
Kneisel: Ja ja, das liebe Geld. Deswegen bekommt Cena alle drei Monate einen frisch gefärbten Satz Klamotten spendiert, Sin Cara darf weiter durch die Gegend botchen, weil er Masken an die Kiddies bringt und Zack Ryders Standing scheint sich langsam aber sicher auch wieder zu bessern. Alles nachvollziehbar und aus meiner Sicht auch nicht wirklich schlimm. Ob man Cena nun mag oder hasst - es macht in jedem Fall Spaß, auf ihn zu reagieren. Das ist eben mein Problem mit Horny, den findet doch jeder über Zwölf einfach nur ätzend, oder? Santino ist ein Phänomen, schau dir alleine die Pops bei seinem Entrance in der Night of Champions-Pre-Show an. Du hast die Konkurrenz erwähnt und ich denke, das ist eben der springende Punkt: Keinen ernstzunehmenden Gegner zu haben, bedeutet eben auch, dass man sich nicht übermäßig bemühen muss, um vorne zu bleiben. Das war zur Hochzeit der WCW mit den Monday Night Wars komplett anders. Ich habe aber das Gefühl, dass Triple H hinter den Kulissen vieles in die richtige Richtung treibt. Wie gefallen dir seine Neuerungen bislang?
Spingler: Mit HHH könnte durchaus mehr Wind ins stockende WWE-Getriebe kommen. Alles, was er bisher bei NXT gemacht hat, gefällt mir. Ich freue mich jede Woche auf die neue Ausgabe. Dort wird alles richtig gemacht, was bei RAW und SmackDown fehlt. Mehr Promos, weniger Random-Matches. Auch dass jeder neue Superstar mit Hype-Videos angekündigt werden soll, finde ich verständlich. Zudem hat man das Gefühl, dass er weiß, wie man neue Stars kreiert, was Vince, der doch zusehends auf das Hier und Jetzt schaut, immer mehr abgeht. Was wäre, wenn Cena nicht nur ein paar Wochen, sondern plötzlich sechs Monate ausfallen würde? Das wäre momentan der Worst Case für die WWE. Hierbei sind mir aber auch Jim Ross und vor allem JBL bei Night of Champions positiv aufgefallen. JBL weiß, wie er vom Pult aus Performer over bringt, hinzu kommt, dass er Cole als Heel-Character direkt verdrängt hat. Nichts gegen Lawler oder Booker T als Kommentatoren, aber ihnen fehlt doch das gewisse Etwas, wodurch das Big Time Feeling aufkommt. Daher kann man nur hoffen, dass JBL nach seiner Kilimanjaro-Besteigung schnell wieder Vollzeit kommentiert. Das würde dir doch sicher auch gefallen.
Kneisel: Ich bin heilfroh über die positiven Meldungen zu Jerry Lawlers gesundheitlichem Zustand und habe mich auch darüber gefreut, ihn wieder vor der Kamera zu sehen. Allerdings habe ich mich zu seiner Leistung am Mikro ja schon häufiger geäußert - ihm scheint einfach das Feuer abhanden gekommen zu sein, seit er den Face geben muss und Jim Ross nicht mehr an seiner Seite hockt. Ganz anders JBL, da gebe ich dir vollkommen Recht. Teilweise ist er bei RAW zwar etwas übers Ziel geschossen, wenn er Cole grundsätzlich bei JEDEM Satz ins Wort gefallen ist. Aber wie du schon anmerkst: Er weiß, wie man Wrestler als Kommentator over bringt und das ist eine Qualität, die leider vielen seiner Kollegen abgeht. JBL muss der WWE am Pult unbedingt erhalten bleiben, keine Frage. Außerdem ist so eine Bergbesteigung natürlich auch eine schöne Sache für die WWE, der ihre Außendarstellung doch immer so wichtig ist... manchmal etwas zu sehr, oder?
Spingler: Stimmt. Die WWE achtet sehr auf ihre Außendarstellung. Deswegen sind sie auch an unzähligen Kampagnen beteiligt. Gegen Krebs, Be A Star und vieles mehr. Vor zehn Jahren hätte man fast meinen können, es wäre der WWE egal gewesen, was andere von ihnen dachten. Doch heute haben sie sensible Sponsoren und eben eine McMahon, die Senatorin werden will. Auch auf dem Gebiet der Schmerzmittel will die WWE Vorreiter sein. Die Wellness Policy hat strikte Regeln und es geht (fast) keinem gut, der dagegen verstoßen hat. Obwohl Randy Orton schon dreimal positiv getestet wurde, bekam er nach dem Ablauf seiner Suspendierung einen Push. Sicherlich eine Ausnahme aufgrund seines Standings und der Wichtigkeit für die WWE, aber doch unfair gegenüber Leuten wie Dolph Ziggler, die auch ohne Hilfsmittel hart an sich arbeiten und das brutale Programm durchstehen. Trotzdem ist das der richtige Schritt in die richtige Richtung. Einem Kurt Angle oder Edge nicht mehr das medizinische grüne Licht zu geben, war auf der einen Seite sicher ein herber Verlust, auf der anderen Seite muss man seine Athleten aber einfach schützen und besser kontrollieren. Hier hat die WWE aus ihrer Vergangenheit gelernt.
Kneisel: Die Wellness Policy der WWE wird immer wieder hinterfragt, aber im Vergleich zu früher ist sie doch eine deutliche Verbesserung. Natürlich muss man das Ganze skeptisch sehen, wenn ein Rey Mysterio erst Monate später suspendiert wird oder man Leute wie Ezekiel Jackson und David Otunga sieht. Hier kann man aber tatsächlich sogar etwas Positives in Lindas Ambitionen finden: nämlich dass man mittlerweile eben bemüht ist, Negativschlagzeilen um jeden Preis zu verhindern. Und die Popularität der "schmächtigen" Wrestler wie Daniel Bryan, CM Punk oder dem von dir angesprochenen Dolph Ziggler werden in Zukunft hoffentlich noch weiter zum Umdenken führen. Es ist sicher nicht alles Gold, was glänzt, aber hierin kann man definitiv eine Chance für ein besseres Produkt in der Zukunft erkennen.
Meistgelesene Artikel
Das könnte Dich auch interessieren



