Deutschland hat gegen Frankreich dramatisch verloren und beendet damit die Handball-WM 2019 auf dem vierten Platz. Das Turnier war mit dem Erreichen des Halbfinales ein großer Erfolg für den DHB.
Dennoch stellen sich einige Fragen. Wie geht es nun weiter? Was ist mit Bundestrainer Christian Prokop? Welchen Spielern gehört die Zukunft im DHB-Team? SPOX gibt Antworten.
1. Wie geht es terminlich für das DHB-Team weiter?
Pause im Handball? Vergiss es! Während sich Fußballer nach Groß-Turnieren erstmal in Richtung Strand verabschieden, steht für die deutschen Nationalspieler am 1. Februar in Stuttgart schon wieder das All-Star-Game und zwischen dem 7. und dem 10. Februar der nächste Bundesliga-Spieltag auf dem Programm.
Richtig wichtig wird es für die Nationalmannschaft nach einem Testspiel gegen die Schweiz (9. März in Düsseldorf) erst wieder rund um das zweite April-Wochenende. Dann bekommt es die Truppe von Bundestrainer Christian Prokop in der EM-Qualifikation zwei Mal mit Polen zu tun.
Sammelt das Team dabei mindestens 3:1-Punkte ein, sieht es nach den Auftaktsiegen gegen Israel und den Kosovo mit dem EM-Ticket ausgezeichnet aus. Logischerweise ist eine Teilnahme am Turnier in Österreich, Schweden und Norwegen, das vom 9. bis zum 26. Januar 2020 ausgetragen wird, fest eingeplant.
Schließlich hat der DHB, der 2024 mit der EM erneut ein Turnier ausrichten wird, bereits vor vier Jahren das Projekt 2020 mit dem Ziel Gold bei den Olympischen Spielen in Tokio ausgegeben. Durch das Erreichen des WM-Halbfinales hat sich die deutsche Auswahl zumindest schon einmal eine Teilnahme an einem der drei Qualifikationsturniere im April 2020 gesichert.
"Ich denke, dass wir gute Chancen haben, so ein Turnier in Deutschland auszurichten", sagte Bob Hanning: "Oder aber wir müssen gar kein Turnier mehr spielen." Was der DHB-Vizepräsident damit meinte: Der Europameister von 2020 gehört automatisch zu den insgesamt 12 Nationen, die beim Olympischen Handball-Turnier antreten dürfen.
2. Wie geht es mit Christian Prokop weiter?
Nach der desolaten EM 2018 in Kroatien mit dem Aus in der Hauptrunde und Differenzen zwischen Mannschaft und Bundestrainer hat Christian Prokop jetzt erst einmal etwas Ruhe. Das Erreichen des ersten WM-Halbfinales seit 2007 inklusive der Art und Weise, wie das Team aufgetreten ist, sind selbstverständlich als Erfolg zu werten.
Der 40-Jährige hat eine beeindruckende Wandlung vom Schulmeister zum Coach vollzogen, der die Spieler in seine Entscheidungen intensiv miteinbezieht. Er besuchte nach der EM jeden Nationalspieler bei seinem Verein, hörte sich Verbesserungsvorschläge an und - alles entscheidend - nahm sich diese auch zu Herzen. Obendrein ließ er sich im Umgang mit den Medien schulen und holte sich in diesem Zusammenhang sogar während des Turniers Feedback von den entsprechenden Leuten.
Gleichzeitig traf Prokop auf eigene Faust mutige und gute Entscheidungen, wie beispielsweise der Einsatz des siebten Feldspielers in der Hauptrunden-Partie gegen Kroatien beweist. Ohne diese Maßnahme, die noch im letzten Vorrundenspiel gegen Serbien überhaupt nicht funktioniert und deshalb beim Publikum für Unmut und Pfiffe gesorgt hatte, hätte es wahrscheinlich nicht zum Sieg gereicht.
"Er hat bei dieser WM eine überragende Leistung abgeliefert", lobte DHB-Präsident Andreas Michelmann den Bundestrainer: "Nachdem wir im Vorjahr die Entscheidung getroffen haben, an ihm festzuhalten, hat er sehr erfolgreich daran gearbeitet, dass das Gefüge so ist wie es jetzt ist."
Prokop, der nach der WM 2017 die Nachfolge von Dagur Sigurdsson angetreten hatte und einen Vertrag bis 2022 besitzt, bekommt nun die Zeit, sich weiterzuentwickeln. Allerdings ist sich auch der frühere Leipzig-Coach über eine Tatsache im Klaren: Stimmen die Ergebnisse bei der EM 2020 nicht oder wird gar die Teilnahme an den Olympischen Spielen verpasst, gehen die Diskussionen sofort wieder los.
3. Welchen Spielern gehört die Zukunft im DHB-Team?
Bei der Heim-WM hat sich gezeigt, dass die Abwehr Weltklasse-Format besitzt. Patrick Wiencek (29), Hendrik Pekeler (27) und Finn Lemke (26) kommen gerade erst ins beste Handballer-Alter und haben entsprechend noch einige gute Jahre vor sich.
Auch im Tor muss man sich keine Sorgen machen. Andreas Wolff ist erst 27 Jahre alt und wird seine Duftmarke bei den kommenden Turnieren wahrscheinlich wieder deutlich stärker setzen, als das bei der zurückliegenden WM der Fall war. Silvio Heinevetter ist 34, was im Handball für einen Torhüter aber noch lange nicht das Ende bedeuten muss.
Auf den Außenpositionen dürfte sich mittelfristig ebenfalls nicht viel ändern. Uwe Gensheimer (32) und Matthias Musche (26) bilden auf Linksaußen ein hervorragendes Gespann, auf Rechtsaußen sind Patrick Groetzki (29) und Tobias Reichmann (30) ebenfalls noch nicht reif für den Ruhestand. Und am Kreis hat Jannik Kohlbacher (23) eine glänzende Perspektive.
Bleibt der Rückraum. Hier hat sich gezeigt, dass das DHB-Team gegen die absoluten Topnationen im Spiel 6 gegen 6 Probleme bekommt. Es fehlt eine Achse, auf die man sich in den alles entscheidenden Momenten komplett verlassen kann.
Doch es gibt Grund zum Optimismus: Der bärenstarke Fabian Wiede (24), Paul Drux (23), Tim Suton (22) und Franz Semper (21) sind noch jung. Gleiches gilt für den 25-jährigen Rückraum-Shooter Julius Kühn und den 24-jährigen Spielmacher Simon Ernst, die beide die WM verletzungsbedingt verpasst haben.
Und dann wären da noch der talentierte Sebastian Heymann (20, Frisch Auf Göppingen, Rückraum links), der es bereits in den 28er Kader geschafft hatte, Marian Michalczik (21) und der extrem spannende Juri Knorr. Der 18-Jährige steht seit dem vergangenen Sommer beim FC Barcelona unter Vertrag.
4. Welche Auswirkungen hat die WM auf den deutschen Handball?
Nach der Heim-WM stellt sich mal wieder die Frage: Wie nachhaltig ist der Boom, den die deutsche Nationalmannschaft durch ihre Leistungen ausgelöst hat? Nach dem Wintermärchen 2007 hielt der Hype jedenfalls nicht lange an.
"Wir müssen bessere Ergebnisse erzielen als 2007", sagte Frank Bohmann. Der Geschäftsführer der Handball-Bundesliga ist optimistisch. Während man sich vor 12 Jahren nicht auf die Situation eingestellt habe, sei der DHB nun viel systematischer unterwegs, erklärte er.
Das bestätigte Mark Schober im Interview mit SPOX und verriet, in welchen Bereichen der DHB aktiv geworden ist. "Wir beschäftigen uns mit Themen wie Betreuung von Sponsoren, haben deutlich mehr Personal in der Kommunikationsabteilung und sind in der Mitgliederentwicklung besser aufgestellt", sagte der Vorstandsvorsitzende des DHB.
Und Schober weiter: "Wir beschäftigen uns außerdem intensiv mit dem Thema Trainerausbildung. Je mehr Trainer ich ausbilde, desto mehr kann ich einen Boom nutzen. Präsident Andreas Michelmann hat sich zudem politisch hier in Berlin mit dem Thema Infrastruktur beschäftigt. Wir wollen Themen wie die Tatsache, dass wir in Deutschland zu wenige Sporthallen haben, in der Politik platzieren."
Inwieweit der deutsche Handball tatsächlich von der WM profitiert hat, lässt sich freilich erst in einigen Monaten einigermaßen beurteilen.
5. Was müsste sich bei einer WM in Zukunft ändern?
Der Präsident des Weltverbandes IHF, Hassan Moustafa, verkündete unmittelbar vor WM-Start die neue Linie, auf die man die Schiedsrichter eingeschworen hat. Man wolle das Spiel schneller und fairer machen sowie Spieler vor Verletzungen schützen. Grundsätzlich ist das erst einmal ein verständlicher Ansatz.
Allerdings ist Handball ein Sport, der einen nicht unerheblichen Anteil seiner Faszination aus der Härte zieht. Bärenstarke Typen will das Publikum sehen, die sich 60 Minuten lang keinen Millimeter Raum gönnen.
So kam es bei dieser WM, dass es Zeitstrafen nur so hagelte - vor allem viel zu früh in fast jedem Spiel. Die IHF sollte ihre vorgegebene Gangart bis zum nächsten großen Turnier dringend noch einmal überdenken und anpassen. "Die Schiedsrichter haben komisch gepfiffen, wie schon im gesamten Turnier. Härte gehört für mich zum Handball dazu", hatte beispielsweise Patrick Wiencek nach dem Halbfinal-Aus des DHB-Teams gegen Norwegen gesagt.
Wenn der IHF wirklich etwas an den Spielern liegt, sollte sie sich lieber Gedanken über den Spielplan machen. Zehn Spiele in 16 Tagen - im Falle des DHB-Teams zehn Spiele in 17 Tagen - sind nicht zumutbar. Durch die Rückkehr zum alten Modus mit Vorrunde und Hauptrunde bestreiten die Halbfinalisten im Vergleich zu den Weltmeisterschaften 2013 und 2015 sogar ein Spiel mehr.
Und dann erlaubt der Handball-Kalender insgesamt nicht einmal eine Pause nach einem Turnier. Die Folge: Die Spieler kehren völlig platt oder sogar verletzt zu ihren Vereinen zurück. Selbst bei der WM an sich sind konstante Topleistungen bei so einer Schlagzahl einfach nicht möglich.
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