Seit 23 Jahren ist Michael Preetz für Hertha BSC aktiv. Zunächst als Torjäger, dann nach dem Karriereende 2003 im Management. Für sein großes Ziel müsste der Sportchef noch mindestens sechs weitere Jahre im Amt bleiben: Denn zur Saison 2025/26 soll die neue Hertha-Arena auf dem Olympiagelände eröffnet werden.
"Von da, wo Sie jetzt sitzen, könnten Sie genau auf das Stadion schauen", sagt Preetz beim Gespräch mit SPOX und Goal in der Geschäftsstelle des Bundesligisten.
Im Interview spricht der 50-Jährige über seine Visionen und Ziele mit der Hertha, einen möglichen Investoreneinstieg, den herausragenden Berliner Nachwuchs, die Probleme im deutschen Fußball und seine klare Haltung gegen Rassismus.
Sie sind im Sommer zehn Jahre als Sportchef bei Hertha BSC. Wo würden Sie den Klub gerne in zehn Jahren sehen?
Michael Preetz: Natürlich weiterentwickelt. Wir wollen aufschließen zur nationalen Spitze und bestenfalls jedes Jahr um die internationalen Plätze mitkämpfen. Das muss auch unser Anspruch als größte Stadt in Deutschland sein. Die Realität ist aktuell allerdings, dass die wirtschaftlichen Unterschiede sehr groß sind. Also wird es unsere Aufgabe sein, die Abstände zu den Topklubs sportlich und finanziell dramatisch zu verkürzen.
In den ersten Jahren nach der Bundesliga-Rückkehr war häufig vom schlafenden Riesen und der Meisterschaftsfeier am Brandenburger Tor zu hören. In den letzten Jahren war das nach den zwei Abstiegen kein Thema mehr. Ist es auch gut gewesen, dass dieser sehr hohe Anspruch heruntergefahren wurde?
Preetz: Wir haben diese Konsolidierungsphase einfach gebraucht, auch um als Klub nicht ganz von der Landkarte zu verschwinden. Heute können wir sagen, dass der Verein viel gesünder dasteht als vor zehn Jahren. Jetzt haben wir ein gutes Fundament, um ehrgeizigere Ziele anzugehen. Doch die Top sechs in Deutschland zu erreichen, ist für uns ein ambitioniertes Ziel, denn die Bundesliga ist ein Haifischbecken.
Hilft es bei diesem Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit, wenn man wie Sie auch schon einige negative Erlebnisse gesammelt hat?
Preetz: Ich bin ja schon seit 1986 in diesem Profizirkus. Da gibt es niemanden, bei dem es immer nur bergauf ging. Die große Kunst hier in Berlin ist, angesichts der Erwartungshaltung realistisch zu bleiben. Das gelingt uns in den letzten Jahren besser. Die Leute haben verstanden, dass es sich erstmal lohnt, dass wir Jahr für Jahr in der Bundesliga mitspielen und versuchen, sportlich wie finanziell kontinuierlich zu wachsen.
Ist es richtig, dass der geplante Bau eines neuen Stadions ein wesentlicher Faktor für einen weiteren Aufschwung wäre?
Preetz: Für die Zukunft des Vereins ist das Stadionprojekt ganz wichtig, weil sich erhebliche wirtschaftliche Möglichkeiten daraus ergeben würden. Daher hoffe ich auf eine schnelle Entscheidung noch in diesem Jahr. Allerdings müssen wir weiterhin Überzeugungsarbeit leisten.
Es gab auch Überlegungen, in einen anderen Stadtteil oder sogar ins Umland zu ziehen. Warum wollen Sie trotz der Widerstände auf dem Olympia-Gelände bleiben?
Preetz: Es war von Anfang an unser Anspruch und unser Wunsch, auf dem Olympiagelände ein neues Stadion zu bauen. Wir haben eine umfangreiche Standortanalyse in Auftrag gegeben, wo man überhaupt in Berlin ein solches Projekt realisieren kann. Und die mit Abstand beste Lösung ist auf dem Gelände des Olympiaparks.
Sie sprachen über die wirtschaftlichen Chancen durch den Stadionbau. Muss der Weg für einen Hauptstadtklub wie Hertha nicht analog zu einem Verein wie Paris St.-Germain die Suche nach einem internationalen Investor sein, der richtig viel Geld mitbringt?
Preetz: Ein Investment wie bei PSG würde man im Moment aufgrund der 50+1-Regel gar nicht realisiert bekommen. Und dann gäbe es zudem auch keine Entscheidung ohne unsere Mitglieder. Aber dass wir nach dem Rückkauf von KKR wieder im Besitz aller Anteile sind und uns auf dem Markt nach einem neuen Investor umschauen, ist kein Geheimnis. Es muss aber passen. Und es gibt natürlich noch andere Optionen, um den Abstand zu den Topteams in der Liga zu verkürzen.
Eine solche Option ist sicherlich, mit Herthas extrem erfolgreichem Nachwuchs die Qualität der Profi-Mannschaft zu steigern.
Preetz: Absolut. Wir setzen auf die herausragend gute Nachwuchsarbeit unserer Akademie und stehen für höchst mögliche Durchlässigkeit in den Profi-Kader. Gerade beim Werben um Top-Talente, auch aus dem Ausland, können wir damit punkten. Alle Jungs, die wir in den letzten Jahren zu uns geholt haben, konnten wir zu Bundesliga- und teilweise zu Nationalspielern entwickeln. Das ist ein sehr gutes Fundament, auf dem wir stehen.
Welche Spieler haben Sie da besonders im Blick?
Preetz: Arne Maier, Jordan Torunarigha und Maxi Mittelstädt sind wunderbare Beispiele, welche Talente aus dem eigenen Nachwuchs den Weg zu den Profis und in die U21-Nationalmannschaft gefunden haben. Ähnlich sieht es bei der U20- und U19-Nationalelf aus. Und mit dieser Geschichte sind wir auch für ausländische Talente interessant.
An wen denken Sie?
Preetz: Zum Beispiel an Javairo Dilrosun und Marko Grujic. Beide konnten wir davon überzeugen, dass Hertha der nächste richtige Karriereschritt ist. Javairo kam aus der U23 von ManCity und hat in den ersten Monaten seine großartigen Anlagen und hohe individuellen Qualitäten unter Beweis gestellt, bis er sich ausgerechnet bei seinem Debüt für die niederländische A-Nationalmannschaft im November gegen Deutschland längerfristig verletzt hat. Wir hoffen, dass er uns zum Saisonendspurt wieder zur Verfügung steht.
Und Grujic?
Preetz: Marko ist ein Beispiel dafür, dass wir einen Spieler mit der Qualität, die wir uns normalerweise nicht leisten können, für ein oder vielleicht zwei Spielzeiten durch ein Leihgeschäft zu uns holen können. Er wird sicher in Zukunft eine echte Verstärkung für den FC Liverpool sein. Daher ist die Frage, wann ihn Jürgen Klopp dauerhaft auf diesem hohen Level seines Teams sieht. Uns hilft er mit seinen Fähigkeiten schon jetzt, daher würden wir ihn gerne bei uns halten. Das wird sich aber erst nach der Saison entscheiden.
Den größten Sprung hat aber offenbar Niklas Stark gemacht.
Preetz: Wenn man die jüngsten Entwicklungen nimmt, dann steht Niklas sicherlich exemplarisch für den Weg der Talente von außerhalb. Er ist mit 19 zu uns gekommen und stand jetzt erstmals im Kader der Nationalmannschaft.
Bei ihm gab es aber unmittelbar nach seiner Nominierung durch Jogi Löw Meldungen über ein angebliches Interesse von Bayern München und Borussia Dortmund. Haben Sie Angst, dass Ihnen diese Hoffnungsträger wieder weggekauft werden?
Preetz: Ich habe keine Sorge, dass diese Mannschaft auseinanderfällt. Wir haben in den letzten Jahren immer einen Spieler abgegeben und diese Einnahmen daraus in Neuverpflichtungen gesteckt, die die Mannschaft insgesamt verbessert haben. Wenn ein Spieler von uns die Chance hat, sich deutlich zu verbessern, etwa in der Champions League zu spielen, dann wird man das kaum verhindern können. Selbst Dortmund verliert fast jedes Jahr seine besten Spieler an noch größere Klubs. In Deutschland gibt es mit Bayern München nur einen Verein, der dieses Problem nicht hat.
Gibt es bei Stark denn bereits Anfragen?
Preetz: Nein, da gibt es nichts.
Über den Nachwuchs hinaus: Wie kann sich Hertha BSC aus der breiten Masse der Bundesligisten abheben?
Preetz: Heutzutage musst du dich im stetig wachsenden Wettbewerb klar positionieren, um dich abzuheben. Wir sind ein unvollendeter Klub. Die letzten beiden Meisterschaften 1930 und 1931 liegen so lange zurück, dass sich so gut wie keiner mehr daran erinnern kann. Aber wir sind der Klub einer der großartigsten Städte der Welt. Wir wollen bei uns im Verein die DNA dieser Stadt verkörpern. Vielfalt und Fortschritt, dahinter versammeln wir uns alle im Klub und für diese Werte steht Berlin und stehen wir. Es gibt keine Stadt in Deutschland, die so international ist und in der so viele Kulturen zusammenkommen - auch bei uns im Stadion und in der Kabine.
Was sagen Sie in diesem Kontext zu den rassistischen Ausfällen beim Länderspiel gegen Serbien, die ein Journalist öffentlich gemacht hat?
Preetz: Immerhin gab es mit ihm zumindest jemanden, der sich zur Wehr gesetzt und das Thema öffentlich gemacht hat. Es ist auch die Aufgabe der Vereine und des DFB, sich hier klar zu positionieren. Das ist geschehen, insbesondere Leon Goretzka hat sich bemerkenswert deutlich geäußert. Rassismus darf keinen Platz haben in unserer Gesellschaft und im Fußball. Gerade wir in Berlin müssen da aufstehen und deutlich machen, dass das nicht geht.
Sie haben sich in dieser Frage schon in den letzten Monaten klar positioniert. Ist der Eindruck richtig, dass Sie sich mehr eigene Meinung zutrauen als früher?
Preetz: Weiß ich nicht. Es mag sein, dass ich meine Meinung hier und da etwas deutlicher sage. Ich bin zwar weiterhin nicht der Typ, der sich zu allem und jedem äußern muss. Aber ich finde, dass es sich lohnt, für seine Überzeugungen zu kämpfen.
Sportlich gesehen haben Sie schon zu Jahresbeginn gefordert, dass die Bundesliga im internationalen Vergleich zulegen muss. Fühlen Sie sich nach dem Aus in der Champions League bestätigt?
Preetz: Ich wäre lieber widerlegt worden, doch die Realität ist im internationalen Vergleich auf allerhöchstem Level leider momentan so, dass die Premier League stärker ist. Der deutsche Fußball muss sich nicht verstecken, aber in einigen Bereichen aus meiner Sicht gravierend besser werden. Das ist zum Beispiel die Nachwuchsarbeit, wo wir ganz sicher nachjustieren müssen. Die Trainerausbildung ist ein anderes Feld. Und natürlich müssen wir alle daran arbeiten, uns neue Einnahmequellen zu erschließen. Immerhin zeigt aber Eintracht Frankfurt in der Europa League, dass die Bundesliga noch konkurrenzfähig ist.
National kämpfen in Lucien Favre und Niko Kovac zwei Ex-Herthaner um den Titel, die Sie bestens kennen. Wer ist Ihr Favorit?
Preetz: Ich finde es erstmal positiv für den deutschen Fußball, dass wir endlich wieder einen Zweikampf an der Spitze haben. Das tut der Liga einfach gut. Borussia Dortmund hat alle Möglichkeiten auf die Meisterschaft, aber für mich bleibt der FC Bayern der Favorit, zumal nach der Aufholjagd das Momentum sicherlich für sie spricht.
Einer von beiden holt wohl sicher die Meisterschaft. Ist Berlin und Hertha dann auch ein bisschen Meister?
Preetz: Nein. Aber wenn Bayern am Ende oben steht, hat in Niko zumindest ein gebürtiger Berliner den Titel geholt.
Wagen Sie eine Prognose, wann Hertha den ersten Meistertitel seit 1931 holt?
Preetz: Nein, da halte ich mich lieber zurück.
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