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Joe Zinnbauer im Interview: "HSV? Rein fußballerisch ist das nicht zu erklären"

Kerry HauOTHER
16. Mai 201920:18
Joe Zinnbauer ist seit Mai 2017 vereinslos.imago
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Seit seiner Entlassung beim FC St. Gallen im Mai 2017 ist es ruhig um Joe Zinnbauer geworden. Mal zerschlug sich eine Rückkehr des 49-Jährigen auf die Trainerbank kurzfristig, mal lehnte er selbst ein Angebot ab.

Im Interview mit SPOX und Goal spricht der Ex-Coach des Hamburger SV und Karlsruher SC über seine Zukunft und die einmal mehr chaotischen Verhältnisse bei seinem ehemaligen Arbeitgeber, der den Wiederaufstieg in die Bundesliga nach einer katastrophalen Rückrunde so gut wie verpasst hat. Dabei erklärt Zinnbauer auch, warum er Mentalität über Taktik stellt.

Herr Zinnbauer, wann sehen wir Sie wieder auf der Trainerbank?

Joe Zinnbauer: Hoffentlich bald. Ich vermisse den Wettkampf und die tägliche Arbeit auf dem Trainingsplatz.

Sie sind mittlerweile seit zwei Jahren ohne Verein. Woran liegt's?

Zinnbauer: Ich habe mich nach meiner Zeit bei St. Gallen bewusst nicht sofort in ein neues Abenteuer gestürzt. Ich bin nicht der Typ Mensch, der das erstbeste Angebot annimmt. Arbeit um der Arbeit willen führt nicht zum Erfolg. Man sollte nichts im Leben machen, was einen nicht zu hundert Prozent überzeugt und anspornt. Wenn ich zu einem Verein will, dann mit dem Ziel, ihn unabhängig von der Ligahöhe weiterzuentwickeln. Vor mir haben schon fertige Verträge gelegen, ich habe mich mit Vereinsvertretern getroffen - oft hat dann aber die letzte Überzeugung auf einer der beiden Seiten oder auf beiden Seiten gefehlt.

Joe Zinnbauer bedauert geplatzten Deal mit Greuther Fürth

Sie standen unter anderem kurz vor einem Engagement bei Greuther Fürth. Die Fans der Fürther hatten aufgrund Ihrer jugendlichen Verbundenheit zum 1. FC Nürnberg aber etwas dagegen.

Zinnbauer: Ich hätte wirklich gerne in Fürth gearbeitet, mit dem Verein war ja auch schon alles klar. Dass die Fans aufgrund meiner Vergangenheit gegen mich waren, konnte ich auf der einen Seite verstehen. Auf der anderen Seite hätte ich mich über eine Chance von ihnen gefreut. Jeder Trainer oder Spieler gibt doch alles für den Verein, zu dem er kommt. Das sieht man ja auch an Stefan Leitl, der trotz seiner Nürnberger Vergangenheit einen ordentlichen Job in Fürth macht.

Gab es ähnliche bedauernswerte Erfahrungen für Sie wie in Fürth?

Zinnbauer: Ich hatte kurz nach meiner Entlassung in St. Gallen ein reizvolles Angebot aus Australien. Ich hielt den Zeitpunkt aber für falsch und dachte mir, ich würde lieber wieder in Deutschland und Umgebung arbeiten anstatt den großen Schritt weg aus Europa zu wagen. Das würde ich heute anders machen.

Warum hat sich Ihre Denkweise geändert?

Zinnbauer: Es wäre ein Traum für mich, eines Tages wieder in der Bundesliga oder 2. Liga zu arbeiten. Ich weiß aber auch, dass das aktuell nicht einfach ist. Der Trainermarkt in Deutschland ist übersättigt, es kommen viele Kollegen nach. Gerade viele jüngere Trainer, die einmal bei einem Bundesligisten entlassen worden sind, haben Schwierigkeiten, wieder reinzukommen. Man muss sich in Geduld üben.

Joe Zinnbauer erwägt Wechsel ins Ausland

Ist Ihre Geduld am Ende?

Zinnbauer: Das würde ich so nicht sagen. Ich bin aber bereit und weiß, dass es im auch im Ausland schön sein kann. Ich hatte eine wunderbare Zeit in der Schweiz. Die Arbeitsbedingungen bei St. Gallen waren hervorragend, ich habe aufgrund der Nähe zu Italien und Frankreich viele verschiedene Kulturen und Mentalitäten kennen gelernt. Wichtig ist mir: Der Schritt, der jetzt kommt, muss passen. Denn dann werden einige hinschauen und sich fragen, ob ich nach zwei Jahren noch gut genug für den Job bin.

Wirtschaftlich gesehen müssen Sie sich keine Sorgen machen. Sie haben bereits als junger Erwachsener ein Finanzberatungsunternehmen gegründet und damit seitdem viele Millionen verdient.

Zinnbauer: Die Firma habe ich schon vor langer Zeit verkauft. Ich will Spaß an dem haben, was ich mache. Und deshalb bin ich derzeit durchgängig mit Fußball beschäftigt. Ich bilde mich weiter und sehe mir viele Spiele an.

Auch die des Hamburger SV?

Zinnbauer: Selbstverständlich.

Wie erklären Sie sich den verpassten Wiederaufstieg?

Zinnbauer: Erster in der Hinrunde, 16. in der Rückrunde - rein fußballerisch ist das nicht zu erklären. Für mich ist das nur Kopfsache. Die Angst vor dem Nicht-Aufstieg in die Bundesliga dürfte ähnlich groß gewesen sein wie die Angst in den vergangenen Jahren vor dem Abstieg aus der Bundesliga. Ich bin mir sicher, dass jeder HSV-Spieler Profi genug ist und den Willen hat, in einem Spiel wie gegen Paderborn alles zu geben. Aber wenn im Kopf alles blockiert ist, geht mit dem Ball am Fuß nichts mehr. Dann verspringen die einfachsten Bälle.

Trainer Hannes Wolf soll vor dem Aus stehen. Wie groß ist sein Anteil am Absturz?

Zinnbauer: Ich bin nach wie vor überzeugt, dass Hannes Wolf ein guter Trainer ist. Aber mit dieser zum Großteil von außen hereingetragenen Hektik, die in diesem Verein herrscht, zurecht zu kommen, ist unglaublich schwierig. In diesem Jahrzehnt war noch kein einziger Trainer wirklich erfolgreich beim HSV - da nehme ich mich nicht aus. Keiner hat es geschafft, den HSV aus dieser scheinbar unendlichen Abwärtsspirale herauszubekommen. Aber immer wieder nur dem Trainer die Schuld zu geben, das ist zu einfach. Viel zu einfach.

1860 München 2.0? Joe Zinnbauer warnt den HSV

Der Aufstieg war von den Verantwortlichen fest eingeplant. Wie groß ist der finanzielle Schaden, noch mindestens ein weiteres Jahr in der 2. Liga bleiben zu müssen?

Zinnbauer: Von nur einem kleinen Betriebsunfall kann man jetzt zumindest nicht mehr sprechen. Nächstes Jahr wird es auf dem Papier wahrscheinlich noch schwieriger werden, aufzusteigen. Was das finanziell genau bedeutet, wird man in den nächsten Wochen sehen. Ich wünsche dem HSV von ganzem Herzen, dass es ihm mittelfristig nicht ergeht wie anderen großen Traditionsvereinen wie Kaiserslautern oder 1860 München, bei denen die Verantwortlichen auch erst dachten, der Abstieg in die 2. Liga war nur ein Ausrutscher und dann von Jahr zu Jahr immer größere finanzielle Schwierigkeiten bekamen.

Man hat beim HSV das Gefühl, dass die meisten Spieler schlechter werden anstatt sich weiterzuentwickeln. Beispiel Filip Kostic. Beispiel Michael Gregoritsch.

Zinnbauer: Da gibt es viele weitere Beispiele. Luca Waldschmidt oder Matti Steinmann sind noch so Riesentalente, die den Durchbruch beim HSV nicht geschafft haben und mittlerweile woanders spielen. Waldschmidt gefällt mir sehr gut. Man sieht, dass er das vollste Vertrauen in Freiburg spürt. Junge Spieler wie er können sich beim HSV kaum entwickeln, weil es ständig um Abstieg oder Aufstieg geht, weil der Klub einen Existenzkampf führt. Als Trainer sind dir die Hände gebunden. Du musst in solchen Ausnahmesituationen zwangsläufig auf erfahrene Spieler setzen und kannst gar nicht auf die mentale Verfassung der Jungs eingehen, die sich noch am Anfang Ihrer Entwicklung befinden.

Joe Zinnbauer rät Jann-Fiete Arp zu einer Leihe

Mit dem 19 Jahre alten Jann-Fiete Arp kehrt im Sommer ein weiteres Talent dem HSV den Rücken und wechselt zum FC Bayern.

Zinnbauer: Ich denke, das Beste für ihn wäre, sich noch ein oder zwei Jahre ausleihen zu lassen. In München würde er kaum von Anfang an spielen. Ein junger Spieler wie er braucht so viele Einsatzminuten unter Wettbewerbsbedingungen wie möglich.

Sie gelten als Motivationskünstler. Wie wichtig ist Mentalität im Fußball und wie viel Wert legen Sie auf Taktik?

Zinnbauer: Eines ist klar: In einem Existenzkampf, wie ihn der HSV seit mehreren Jahren führt, brauchst du als Trainer nicht mit Taktik anzufangen. Klar, taktische Flexibilität ist die Voraussetzung für Erfolg, deine Mannschaft muss Ballbesitz genauso können wie Konter-Umschaltspiel. Aber wenn du zu viel mit Taktik erklären willst, hast du den Fußball nicht richtig verstanden. Du musst mental schwächere Spieler unter deine Fittiche nehmen, regelmäßig und individuell mit ihnen sprechen. Wenn du sie alle dazu bringst, dass sie für dich spielen und marschieren, kannst du an taktischen Abläufen feilen. Das Schöne am Fußball ist, dass da auch nur Menschen mit Gefühlen auf dem Rasen stehen und keine Roboter. Deshalb gibt es auch kaum ein starres taktisches System, das erfolgreich ist. Jede Mannschaft ist unterschiedlich, weil jeder Spieler unterschiedlich ist.

Die Stationen von Joe Zinnbauer als Profitrainer

VereinAmtsantrittAmtsaustrittPosition
VfB Oldenburg1. Juli 200530. Juni 2010Trainer
Karlsruher SC1. Januar 201126. März 2012Co-Trainer/Scout
Karlsruher SC II27. März 201230. Juni 2014Trainer
Hamburger SV II1. Juli 201415. September 2014Trainer
Hamburger SV16. September 201422. März 2015Trainer
Hamburger SV II1. Juli 201516. September 2015Trainer
FC St. Gallen17. September 20154. Mai 2017Trainer
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