"Wir hatten zu viele Trainerwechsel"

Jochen Tittmar
10. Dezember 201512:06
Benedikt Höwedes ist schon seit 2001 beim FC Schalke 04getty
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Benedikt Höwedes ist mit seinen 27 Jahren bereits ein Schalker Urgestein. Im Sommer stand ein Wechsel ins Ausland im Raum, doch der Weltmeister schwor Königsblau die Treue. Im Interview spricht Höwedes über seine Identifikation mit dem Klub, Planspiele für die Zukunft, Andre Breitenreiters Qualitäten und die Tragödie um seine Heimatstadt Haltern.

SPOX: Herr Höwedes, wissen Sie eigentlich, dass Gelsenkirchen die Stadt ist, die die meisten deutschen WM-Teilnehmer hervorgebracht hat?

Benedikt Höwedes: Echt? Das hatte ich noch nie gehört.

SPOX: Es sind 14 an der Zahl. Was sagt das in Ihren Augen über den Fußball-Standort Gelsenkirchen aus?

Höwedes: Ich denke, dass es kaum eine andere Stadt in Deutschland gibt, die den Fußball so lebt. Hier werden sozusagen Fußball-Vollblüter geboren. Deshalb ist es besonders erfreulich, dass von denen auch immer wieder einige den Sprung nach ganz oben in die Nationalmannschaft schaffen und dort mit zum Erfolg beitragen.

SPOX: Dazu kommen auch Spieler wie Julian Draxler und Sie, die zwar nicht in der Stadt geboren sind, aber auf Schalke ausgebildet wurden.

Höwedes: Es hat sich hauptsächlich in den zehn letzten Jahren sehr viel in unserer Ausbildung getan. Unser U19-Trainer Norbert Elgert gehört mit Abstand zu den besten Nachwuchscoaches Europas. Schalke bietet herausragende Möglichkeiten für junge Spieler, sich zu entwickeln und es in den bezahlten Fußball zu schaffen. Man sieht es ja an unserer Profimannschaft, die gespickt ist mit Spielern aus den eigenen Reihen. Darum wird Schalke beneidet, das gibt es in der Bundesliga nur selten.

SPOX-Redakteur Jochen Tittmar im Gespräch mit Benedikt Höwedesspox

SPOX: Derzeit heißen die herausragenden Talente Max Meyer und vor allem Leroy Sane. Was macht Sie zuversichtlich, dass beide langfristig auf Schalke bleiben?

Höwedes: Ich bin der Meinung, dass die meisten Talente hier sehr bodenständig sind und wissen, woher sie kommen. Das liegt auch zu einem Großteil an der nüchtern-sachlichen Arbeit von Norbert Elgert, der auf solche Eigenschaften viel Wert legt. Wenn aber solche Spieler irgendwann einmal überirdisch Fußball spielen und für andere Vereine unheimlich interessant werden, kann man nicht davon ausgehen, sie für alle Zeiten an Schalke zu binden. Das wäre eine unrealistische Erwartung.

SPOX: Was wäre realistisch?

Höwedes: Schalke 04 gehört zu den größten und attraktivsten Vereinen in Deutschland, auch wenn wir nicht jedes Jahr Titel gewinnen. Unsere Fans sind einzigartig und die Strukturen innerhalb des Klubs stimmen. Mit Blick auf die Ambitionen des Vereins ist es absolut lohnenswert, sich hier weiter zu entwickeln und die Dinge mit aufzubauen. Daher bin ich zuversichtlich, dass Schalke den Großteil seiner vielen Talente in den eigenen Reihen behalten wird.

SPOX: Was fehlt dem Klub, um es auf das allerhöchste Top-Niveau zu schaffen?

Höwedes: Nicht viel, wenn man bedenkt, dass wir in den letzten Jahren kontinuierlich in der Champions League vertreten waren und dort teilweise bis ins Halbfinale vorgestoßen sind. Wir hatten zuletzt zu viele Trainerwechsel, was in der Summe sicherlich nicht förderlich für eine kontinuierliche Gesamtentwicklung des Vereins war und eine gewisse Konstanz erschwerte.

SPOX: Ist mit Andre Breitenreiter nun der Übungsleiter gefunden, mit dem bei diesem Thema Kontinuität Einzug erhält?

Höwedes: Ich bin mir sicher, dass wir uns unter Andre Breitenreiter Schritt für Schritt weitentwickeln werden. Er genießt innerhalb der Mannschaft absolutes Vertrauen und hat einen guten Draht zu allen Spielern. Ich glaube, ich kann für alle sprechen wenn ich sage, dass wir uns sehr freuen würden, wenn wir längere Zeit mit ihm zusammenarbeiten dürften.

SPOX: Die Schalker Mannschaft ist sehr jung, zum Teil stehen sechs, sieben Mann aus der eigenen Jugend in der Startelf. Muss man es künftig schaffen, die gute Jugendarbeit noch deutlicher zur Marke des Vereins zu machen?

Höwedes: Ich finde, dass das zumindest in Teilen bereits der Fall ist. Der Klub ist unheimlich stolz auf seine selbst ausgebildeten Spieler. Doch man muss auch festhalten, dass die Erwartungshaltung bisweilen problematische Ausmaße annehmen kann. Auch andere Vereine investieren viel Geld und haben teure Kader, daher ist und bleibt es enorm schwer, sich in jeder Saison für die Champions League zu qualifizieren - selbst wenn man in den Vorjahren dort regelmäßig vertreten war. Man muss jungen Talenten einfach die Zeit geben, sich an das höhere Niveau zu gewöhnen.

SPOX: Draxler hat den enormen Druck als Hauptgrund für seinen Abgang genannt.

Höwedes: Das bleibt natürlich auch immer eine subjektive Wahrnehmung, jeder geht ja anders damit um. Mir scheint, man hat eingesehen, dass man eine individuelle Entwicklung nicht einfach von außen beschleunigen kann. Wenn ich die Reaktionen nach Niederlagen sehe, selbst im Derby gegen Dortmund, dann ist die Stimmung jetzt deutlich positiver. Es wird anerkannt, dass die Mannschaft alles probiert und viel investiert.

SPOX: Manuel Neuer und Mesut Özil beispielsweise konnten den Aussichten bei noch größeren Klubs nicht widerstehen. Sie dagegen sind Schalke immer treu geblieben. Warum?

Höwedes: Erst einmal ist es überhaupt nicht verwerflich, wenn man sich irgendwann einmal sportlich verändern möchte. Jeder Spieler kann unterschiedliche Sichtweisen auf den Fußball haben und andere Dinge erleben wollen. Mesut und Manuel sind so gut, dass sie ganz oben in Europas Spitze ihr Können unter Beweis stellen wollten. Auch ich hatte Möglichkeiten, den Verein zu verlassen. Doch als ich Kapitän wurde, spürte ich noch einmal eine größere Verantwortung dem gesamten Klub gegenüber. Zudem fühle ich mich hier auch einfach enorm wohl.

Seite 1: Höwedes über Schalkes Talente, Breitenreiter und mangelnde Kontinuität

Seite 2: Höwedes über Wechselgedanken, Identifikation mit S04, Haltern und Paris

SPOX: Was müsste passieren, damit Sie dem Klub den Rücken kehren?

Höwedes: Daran verschwende ich aktuell keinen Gedanken. Ich habe aber nie einen Hehl daraus gemacht, dass mich das Ausland unter Umständen vielleicht auch noch einmal reizen würde. Im Sommer habe ich mich dagegen entschieden, weil ich als Kapitän das vermeintlich sinkende Schiff nicht verlassen wollte und schnell den Ehrgeiz entwickelte, Schalke wieder auf Kurs zu bringen.

SPOX: Mats Hummels sagte einmal, ihm sei es wichtiger, bei einem Verein zu spielen, dessen Fußball zu ihm passt, als mit einem x-beliebigen Klub Titel zu sammeln. Für Sie nachvollziehbar?

Höwedes: Hundertprozentig. Wäre ich nicht derselben Meinung wie Mats, würde ich wohl nicht mehr auf Schalke spielen. Zwar ist Geld für einen Fußballer nicht unwichtig, die Identifikation mit meinem Arbeitgeber bleibt für mich aber essentiell. Herz und Leidenschaft spielen eine große Rolle. Als Teil einer nur mit viel Geld zusammengewürfelten Truppe sehe ich mich nicht.

SPOX: Hummels meinte auch, sollte er einmal den BVB verlassen, dann solle der Verein eine hohe Ablösesumme erzielen und auch frühzeitig Bescheid wissen, um sich um eine Nachfolgelösung zu kümmern. Haben Sie sich über ein solches Szenario auch schon einmal Gedanken gemacht?

Höwedes: Nein. Ich könnte mir aber vorstellen, dass ich zu einem ähnlichen Ergebnis kommen würde wie Mats. Ich spiele jetzt seit 14 Jahren auf Schalke, das ist mein Verein und ich werde ihm auf ewig sehr dankbar sein. Einen Abgang durch die Hintertür würde es bei mir sicherlich nicht geben. Ich sehe jedoch aktuell keinen Anlass, mir über solche Themen den Kopf zu zerbrechen.

SPOX: Sie sprechen es an: Sie sind ein Schalker Urgestein, das man sich kaum in einem anderen Trikot vorstellen kann. Einen Wechsel innerhalb der Bundesliga schließen Sie weiterhin aus, oder?

Höwedes: Ja, dabei bleibt es auch. Ein anderes deutsches Wappen käme mir nicht auf die Brust.

SPOX: Auf Schalke dagegen würden Sie endgültig zur Legende werden, wenn Sie dort Ihre Karriere beenden. Wie sehr reizt eine solche Perspektive?

Höwedes: Das spricht mich allein schon deshalb an, weil es in der heutigen Zeit ein tolles Alleinstellungsmerkmal wäre. Das ist in der Tat auch Teil meiner Gedanken. Allerdings möchte ich mich nicht so sehr darauf versteifen, damit mir das im Nachhinein nicht vielleicht doch einmal vorgeworfen werden kann. Ich will mit offenen Karten spielen und denke auch, dass ich das tue.

SPOX: Welchen Anteil hat denn Breitenreiter daran, dass Sie im Sommer nicht gegangen sind?

Höwedes: Wir führten mehrere richtig gute Gespräche, als bei mir der Gedanke an einen möglichen Wechsel noch bestand. Ich bin ihm dann deshalb gefolgt, weil er mir ein super Gefühl dafür vermittelte, wie er hier mit einer jungen und hungrigen Truppe etwas aufzubauen gedenkt. Ich konnte viel Enthusiasmus für die Aufgabe bei ihm erkennen und dieser hat sich letztlich auf mich übertragen. Ich halte ihn für einen fachlich herausragend ausgebildeten Trainer und bin sicher, dass er unsere Mannschaft weiter entwickeln wird.

SPOX: Das Fußballjahr 2015 neigt sich dem Ende entgegen. Für Sie keine leichte Zeit: die schwache Vorsaison, die schwere Sprunggelenkverletzung, dazu die Flugzeugkatastrophe, die Ihren Heimatort Haltern am See traf sowie der Terror rund um die Länderspiele in Paris und Hannover. Würden Sie 2015 gerne streichen?

Höwedes: Nein, das sollte man nie tun. Es gab einige negative Ereignisse, sportlich wie persönlich. Betrachtet man allerdings das gesamte Jahr, dann überwiegen meiner Ansicht nach die guten Erlebnisse. Ich konnte beispielsweise selbst aus meiner Verletzungsgeschichte etwas lernen und Positives herausziehen für die Zukunft.

SPOX: Sie haben während des Länderspiels in Kaiserslautern gegen Australien Ihre Solidarität mit den Opfern aus Haltern gezeigt und ein Schild mit der Aufschrift "Haltern trauert" in die Luft gereckt. Wie schwer fiel Ihnen dieses Spiel?

Höwedes: Extrem schwer. Ich konnte mich kaum konzentrieren, ich konnte das nicht alles mit dem Anpfiff ausblenden. Meine Gedanken waren ständig in Haltern. Ich stand schon seit dem Vortag, als die Nachricht durchsickerte, unter Schock. Ich habe überlegt, was ich tun könne, um den Menschen beizustehen. Man hat es im Fernsehen vielleicht nicht sehen können, aber mir kamen die Tränen, als ich das Schild in der Hand hielt. Auch die Schweigeminute war nicht einfach für mich.

SPOX: Wie haben Sie und Ihre Bekannten in der Heimat diese Tragödie verarbeitet?

Höwedes: Man kennt in Haltern über ein, zwei Ecken viele Menschen. Es blieb nicht aus, dass Betroffene dabei waren. Auch den Schulleiter kenne ich sehr gut. Ich habe versucht, den Menschen Gehör zu schenken und beispielsweise viele Leute zu unseren Spielen auf Schalke eingeladen. Ich habe mich ihnen gegenüber bemüht, eine gewisse Anteilnahme zu zeigen und Nähe zu schenken, um das Geschehene in einer sehr schwierigen Zeit verarbeiten zu können.

SPOX: Nach den Terroranschlägen in Paris sind Sie zum Länderspiel nach Hannover gereist, um ein Zeichen "für Demokratie und Freiheit" zu setzen, wie Sie über Facebook bekannt gaben. Wie sehr hat Sie die Absage der Partie getroffen?

Höwedes: Mich hat das sehr mitgenommen. Ich wollte der Freiheit willen in Hannover dabei sein und zeigen, dass wir als Mannschaft zusammenstehen. Als ich die Meldung der Absage erhielt, war ich zusammen mit meiner Frau rund 100 Meter vom Stadion entfernt. Man denkt immer, Terroranschläge seien weit von einem entfernt. Diesmal gab es in Deutschland so eine Gefahr und wir waren selbst involviert. Das macht einen schon stutzig und nachdenklich.

SPOX: Wie reflektiert man das als Fußballspieler? Sie waren in Paris aufgrund Ihres Mittelhandbruchs nicht dabei, werden aber mit Ihren Teamkollegen darüber gesprochen haben.

Höwedes: Ich habe mich mit ein paar Spielern ausgetauscht und auch mit Oliver Bierhoff telefoniert. Leroy Sane war ja auch mit dabei, er hat nach seiner Rückkehr davon erzählt. Es war eine Extremsituation und es ist nicht ganz einfach als betroffener Spieler, das auf Anhieb problemlos zu verarbeiten. Ich will nicht sagen, dass ich das Glück hatte, meine Hand gebrochen zu haben. Aber wäre das nicht passiert, hätte ich die Tage von Paris auch hautnah erlebt. So war es Schicksal, das mir das erspart blieb. Die Angst darf aber niemals Überhand nehmen, sie sollte niemanden einschüchtern.

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