Der FC Dundalk aus Irland stand vor dem Aus. Finanzielle Probleme, ein marodes Stadion und der Fast-Abstieg bedrohten den Klub. Vier Jahre später haben die Lilywhites drei Meistertitel in Folge eingefahren und sorgen mit einem Ensemble aus Teilzeit-Architekten und Elektrikern selbst in der Europa League für Furore. Vater des Erfolgs ist Trainer Stephen Kenny, den man ohne Übertreibung einen Revolutionär nennen darf.
Es klingt wie ein Szenario, das sich eigentlich nur im Videospiel realisieren lässt. Mit Real Madrid die Champions League gewinnen? Mit Bayern München deutscher Meister werden? Mit einem verdienten Traditionsverein urplötzlich gegen den Abstieg spielen? Das kann jeder. Doch wer versucht schon, einen fast insolventen, abstiegsbedrohten Verein mit Halbprofis in die Europa League zu führen?
Der Experte dafür heißt Stephen Kenny und zeigt derzeit beim irischen Erstligisten FC Dundalk, wie das gemacht wird. Einfache Jobs sind dem Trainer offensichtlich zu langweilig. Das wusste er bereits ganz genau beim Verfassen der Thesis zu seiner UEFA Pro Lizenz. Oder wieso sollte diese sonst den Titel "Wie man einen Klub aus dem Nichts aufbaut" tragen?
Doch bevor das Märchen begann, stand auch Kenny selbst vor dem Nichts. Zwei Meisterschaften in Serie gewannen die Shamrock Rovers, bevor der heute 44-Jährige aus Dublin den vakanten Trainerposten von Michael O'Neill übernahm. Die Erfolgsserie der Rovers konnte er aber nicht weiterführen. Vielleicht waren die Voraussetzungen nicht kompliziert genug für ihn.
Gesucht und gefunden
Am Ende der Saison stand ein enttäuschender vierter Platz zu Buche und in der Champions League-Qualifikation war der FK Ekranas aus Litauen eine Nummer zu groß. Kenny musste nach nicht einmal einem Jahr die Koffer packen und unterschrieb nur zwei Monate später in Dundalk - im Nachhinein ein Glücksfall.
Der FC Dundalk stand zu dieser Zeit am Abgrund, der Abstieg war eigentlich schon besiegelt. Der Klub beendete die Saison mit 20 Punkten aus 30 Spielen und einem Torverhältnis von -40 als Schlusslicht der Tabelle. Einzig die finanziellen Schwierigkeiten von Monoghan United, die einen Rückzug des Vereins aus dem Ligabetrieb bedeuteten, retteten die Lilywhites in die Relegation. Diese konnte das Team zwar gewinnen, doch die Probleme waren tiefgreifender.
Dundalk vor dem Aus
Nicht nur sportliche Misserfolge, sondern auch schlechte Wirtschaftlichkeit machten dem Verein aus der Nähe von Dublin zu schaffen. Gehälter blieben unbezahlt und in den baufälligen Oriel Park verirrten sich zu Heimspielen teils weniger als 300 Zuschauer.
Paul Brown und Andrew Connolly erklärten sich bereit, den maroden Verein, dessen Ende eigentlich besiegelt war, zu übernehmen. Ihr bisheriger Job? Kleinkram wie Schrauben, Muttern und Dübel verkaufen. Aber sie wussten offenbar ganz genau, wie man große Dinge regelt. Und vor allem wussten sie, Stephen Kenny ohne Argumente zu überzeugen. "Zu der Zeit war Dundalk keine gute Adresse, der ganze Klub bröselte vor sich hin, aber wir flehten ihn an", rekapitulierte Brown in der Irish News die unkonventionelle Verhandlungstaktik.
Gleichzeitig fasste er die damalige Situation seines Herzensvereins ungeschönt zusammen: "Was konnten wir bieten? Wir konnten nichts bieten. Unser Platz war fürchterlich, das Stadion zerfiel förmlich, es gehört uns sogar in Moment noch nicht einmal, aber wir wollen es renovieren." Kenny hatte sich bereits in der Theorie mit der anstehenden Mammutaufgabe beschäftigt, jetzt durfte er es auch in der Praxis. Vielleicht der Grund für die Zusage.
Erfolg als Problemlöser
Wie in einem Videospiel folgten nach der Übernahme unmittelbar die Vize-Meisterschaft 2013 und die Meisterschaften 2014 und 2015. Nur zwei Jahre nach dem Wechsel in der Chefetage verbuchte der Klub einen Gewinn von 26.323 Euro. Rekord! Dieses Jahr geht die unfassbare Erfolgsgeschichte nicht nur angesichts der vorzeitig gesicherten dritten Meisterschaft in Folge weiter - auch international gibt es für die Lilywhites derzeit kein Halten.
Die Basis, auf der dieser sportliche und mittlerweile auch wirtschaftliche Erfolg fußt, ist dabei mehr als bemerkenswert. Vor allem im Kontrast zu den Gegnern, mit denen sich Dundalk international messen muss. Am Donnerstag geht es gegen Zenit St. Petersburg (19 Uhr im LIVETICKER). Ein Duell der Gegensätze.
Basketball-Coach als Innenverteidiger
Im Sommer gaben die Russen insgesamt 20 Millionen Euro für drei Spieler aus, ganz zu schweigen von den knapp 100 Millionen, die Zenit vor vier Jahren in Hulk und Axel Witsel investiert hat. Eben zu jenem Zeitpunkt als Dundalk kurz vor dem Aus stand.
Die Iren backen hingegen deutlich kleinere Brötchen. Der Verein beschäftigt mit dem Geschäftsführer und dem Pressesprecher nur zwei Festangestellte abseits des Platzes. Alles, was sonst noch anfällt, ist Job von Ehrenamtlichen. Organisiert ist der Verein in einer Liga, in der der Topverdiener unter den Spielern 40.000 Euro pro Jahr verdient, der Durchschnitt aber nur bei 16.000 Euro liegt und die übliche Vertragsdauer 40 Wochen - eine Saison - beträgt.
So wundert es nicht, dass die Verteidigung der Lilywhites aus einem Elektriker, einem Fleischhändler und einem Basketball-Coach besteht. Der gefährlichste Stürmer David McMillan, der derzeit in der Torschützenliste der irischen Liga auf Platz eins rangiert, ist halbtags Architekt. Kurz: Der FC Dundalk hat ein Budget von einer Million Euro - dafür würde sich Axel Witsel nicht einmal die Schuhe zubinden.
Mit den bisherigen Einnahmen aus der Europa League, die bereits jetzt schon das Sechsfache des Jahresbudgets ausmachen, will der Klub erst einmal die maroden Gebäude sanieren. Der heimische Oriel Park ist der UEFA zu baufällig, was bedeutet, dass die internationalen Heimspiele im knapp 80 Kilometer Luftlinie entfernten Tallaght Stadium in Dublin ausgetragen werden müssen. "Unsere Einrichtungen sind gelinde gesagt armselig. Ich könnte mir gut vorstellen, dass der Großteil des Geldes in die Infrastruktur fließt", gibt Kenny zu.
Ziel der Iren: Nicht irisch sein
Es ist aber nicht nur der steile Aufstieg aus dem Ruin und der plötzliche Erfolg, der Dundalk viel Achtung einbringt, sondern auch die Art und Weise, wie Kenny seine Jungs auf dem Platz spielen lässt. Als Dundalk Mitte September ein respektables 1:1 in Alkmaar erspielte, lobte AZ-Coach John van den Brom Kennys Truppe und gab zu, dass "sie besser waren als wir mit ihrem Kurzpassspiel".
Dabei negiert Stephen Kenny die eigentlich als typisch irisch abgestempelten Attribute wie Robustheit und eine körperbetonte Spielweise bewusst. "Es ist wichtig, sich nicht darauf zu versteifen, dass wir von diesem Teil der Erde kommen und deswegen weniger talentiert sind und uns deshalb auf physische Attribute und Zielstrebigkeit verlassen müssen und das war's. Dieses vorherrschende Denken hat sehr lange existiert. Und es hat unseren Klubs gewiss nicht gutgetan", erörterte Kenny im Guardian seinen Standpunkt.
Und genau daran passt er seinen Spielstil auch an: "Da muss es einen anderen Weg geben. Ich glaube, dass wir sehr talentierte Spieler in Irland haben und es um den Versuch geht, ihnen absoluten Glauben in sich selbst zu vermitteln." Der internationale Erfolg gibt ihm bisher Recht. Zurzeit rangiert Dundalk mit vier Punkten auf Platz zwei der Gruppe D.
Selbst wenn der Klub in der Europa League scheitern sollte, ist die Geschichte vom Aufstieg des FC Dundalk ein kleines Fußball-Wunder. In der beschaulichen 30.000-Einwohner-Stadt nördlich von Dublin wird genau das Realität, was Stephen Kenny einst in der Theorie umriss: Aus dem Nichts ist ein Klub entstanden.
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