Kampf den Klischees

Christoph Köckeis
02. August 201310:48
Beitske Visser: 18 Jahre jung und schon die Hoffnung von Formel-1-Boss Bernie Ecclestoneimago
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Daniel Ricciardo entstammt der Nachwuchsschmiede. Jean Eric Vergne ebenfalls. Doch sie stehen im Schatten Sebastian Vettels. Den berühmtesten Zögling des Red Bull Junior Teams zieren drei Formel-1-Kronen. Eine überdimensionale Bürde, die seit April erstmals auf weiblichen Schultern lastet: Beitske Visser (18). Die Niederländerin sagt klassischen Stereotypen den Kampf an und lässt Big-Boss Bernie Ecclestone wieder träumen.

Extravagant. Faszinierend. Laut. Seitjeher umgibt die Motorsport Königklasse eine schillernde Aura. Ungeachtet von Weltwirtschaftskrise und Sparpolitik. "Es scheint und glitzert, aber es wird vom Promoter dazu gebracht", konzedierte Toto Wolff, Mercedes' Motorsportchef (Der Anti-Haug), einst.

Über Jahrzehnte wurde das Image schmuck aufpoliert. Prägend Bernie Ecclestone. Er, der Businessmann, professionalisierte die Formel 1, globalisierte sie. Autokratisch, ohne Kollateralschäden zu scheuen, modellierte er eine Weltmarke.

Was ihr bis heute fehlt, erkannte der Visionär Ecclestone längst: das weibliche Element. Er meint nicht die hübsche Begleitung an der Seite der Superstars, die die Boxengasse zum Catwalk macht und dem Spektakel eine Prise Glamour verleiht. SPOX

Auch nicht die wohl geformten und tief dekolletierten Grid Girls, welche zum eigentlichen Blickfang in der Startaufstellung avancierten.

Vielmehr würde der Zampano zu gerne eine Frau hinter dem Steuer sehen. Sein Objekt der Begierde: Danica Patrick. Sie wirbelte die IndyCar Serie in den Nullerjahren durcheinander, drängte unaufhaltsam in die Männerdomäne. Die Macho-Welt Formel 1 war ihr schließlich zu befremdlich.

Auf Vettels Spuren

"Die Frauen-Bewegung", meinte sie, "ging in den USA schneller über die Bühne." Eine Anekdote in einer britischen Nachwuchsserie exemplifiziert dies: "Einmal war ich im Training voran. Der Besitzer konnte es kaum glauben. Er sagte zu meinen Kollegen: 'Sie ist die Schnellste - was macht ihr? Raus da, los!' Er war jemand, der seiner Gattin noch sagt, dass sie ihm Bier holen soll."

Trotz heftigem Werben erteilte sie Europa eine Absage. Patrick wollte nicht zum optischen Aufputz im Paddock verkommen. Obwohl Ecclestone, der das "Projekt" zur Chefsache erklärte, beteuerte: "Die Fragen, ob Frauen den G-Kräften gewachsen sind, hat sie beantwortet - sie hat es allen gezeigt."

Selbst Red Bull, dreifacher Konstrukteurs-Weltmeister und Branchenprimus, hegt keinerlei physische Vorbehalte. Von den Fähigkeiten der Amerikanerin scheint man indes weniger begeistert. Im Februar proklamierte Motorsportberater Helmut Marko aufreizend: "Danicas Ergebnisse in Straßenrennen reichen nicht. Wir suchen Fahrer nach Leistungen aus, nicht nach Quote."

Zwei Monate später verblüffte der Brausehersteller: Erstmals wurde eine Frau in den erlesenen Zirkel des Junior Teams beordert. Beitske Visser, eine von sechs Hoffnungsträgern für die Saison 2013. Sie wandelt auf den Spuren Sebastian Vettels.

Vom Kart zu Red Bull

Schon im Teenager-Alter erfreute sich der Heppenheimer potenter Unterstützung. Jeden investierten Cent wusste er in der Formel 1 mit eindrucksvollen Vorstellungen zu rechtfertigen. Sein Aufstieg - unnachahmlich. Visser bleibt im Gespräch mit SPOX gelassen, den Red-Bull-Spirit personifiziert sie: "Ich verspüre keinen Druck. Mein Ziel ist, zu gewinnen. Red Bulls Ziel ist, zu gewinnen."

Erst vergangenes Jahr wagte sie den Karrieresprung in die Formel ADAC. Zuvor lediglich im Kart unterwegs, verschaffte sich die Niederländerin bald Akzeptanz. Speziell beim Grand Prix von Zandvoort. Das Qualifying endete in den Reifenstapeln. Nach einem Verbremser rauschte sie ungebremst durch das Kiesbett - ein böser Aufprall mit vermeintlich glimpflichem Ende.

"Im Krankenhaus wurden keine groben Verletzungen festgestellt. Ich bekam Schmerzmittel. Das erste Rennen verpasste ich, das letzte konnte ich gewinnen." Eine Woche nach dem Heim-Triumph revidierten die Ärzte die Diagnose. Visser erlitt eine schwere Rückenverletzung - von wegen mangelnde Wettkampfhärte.

Letztlich klassierte sich die Newcomerin auf dem achten Gesamtrang. Genug, um die Aufmerksamkeit von Red Bull auf sich zu lenken. Im Frühjahr durfte sie den heiligen Hallen in Milton Keynes einen Besuch abstatten.

"Wir hätten doppelt so viele Fans"

"Nach den Simulator-Tests wurde alles unter Dach und Fach gebracht", sinniert Visser. Mittlerweile ist sie Stammgast in der Fabrik, bereitet sich regelmäßig auf die nahenden Aufgaben vor. "Darüber hinaus wird mir beim physischen Training geholfen. Wenn ich mein Programm ordentlich bestreite, kann ich die Anforderungen der Formel 1 erfüllen."

Selbstbewusst formuliert die 18-Jährige, die sich sonst eher wortkarg präsentiert, ihr ambitioniertes Bestreben. Das induzierte in der Medienwelt einen obligatorischen Automatismus: Schnell wurde sie hochstilisiert - zur Inkarnation von Ecclestones Traum. Zum europäischen Pendant von Patrick. Zur zukunftsträchtigen Erbin von Giovanna Amati, die 1992 letztmals für ein Rennen gemeldet war.

"Seit mehr als zehn Jahren sage ich Bernie, dass er deppert ist, weil er es nicht schafft, eine Frau zu holen", erklärte Niki Lauda der "Bild". Ohne das Wesentliche aus dem Auge zu verlieren - den monetären Aspekt. "Wenn wir es schaffen würden, dass sie unter die besten Sechs fährt, hätten wir doppelt so viele Fans."

Die exponierte Attitüde wäre Visser in der Szene garantiert - Nebengeräusche inbegriffen. Jene bekommt sie bereits jetzt zu spüren. Während das Gros junger, aufstrebender Piloten um Almosen flehen muss, wähnt sie hinter sich einen potenten Konzern.

Nur Leistung bringt Respekt

"Jeder hätte liebend gerne die Unterstützung eines Formel-1-Rennstalls", weiß die Tochter eines einstigen Tourenwagen-Piloten. Mit Eifersucht wurde sie jedoch niemals konfrontiert. Vielmehr kämpft sie gegen das Vorurteil, ein geschickter PR-Gag der Marketing-Maschinerie Red Bulls zu sein. Nur gut, dass die Stoppuhr unbestechlich bleibt.

Die Wahrheit liegt auf der Strecke. Dort, im Mann-gegen-Frau-Duell, erlangt sie Respekt, widerfährt ihr die bedeutendste Wertschätzung. Und dort ist Erbarmungslosigkeit das entscheidende Gut. Ob sie dafür eine Stallorder missachten würde, wie Sebastian Vettel beim Multi-21-Skandal in Malaysia GP, lässt sie vielsagend offen: "Wenn du Gefallen daran findest, hinterher zu fahren, wirst du nie ein Gewinner."

Visser kennt die Mechanismen und das Leistungsprinzip: "Mein Ziel ist die ADAC-Wertung zu gewinnen! Ich möchte mich bewähren." Nach drei Wochenenden rangiert sie auf dem enttäuschenden neunten Platz, betrieb zuletzt Schadensbegrenzung.

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Sechs Runden reichten auf dem Sachsenring, um die volle Punktzahl abzusahnen. Ob der Witterung wurde das Rennen abgebrochen. Ein kurioser Erfolg.

Die Männer-Bastion bröckelt

Um die Klischees - "meine Einpark-Skills sind nicht perfekt, glücklicherweise benötige ich sie nicht oft" - auszuradieren und die Hierarchien zu entern, bedarf es mehr. Zu präsent die zweifelhafte Episode um Maria de Villota, die bei Geradeaus-Testfahrten für Marussia schwer verunglückte.

"Bis in die Königsklasse sind es viele Schritte. So etwas lässt sich nicht planen", betont Visser. Jedenfalls liegt sie voll im Trend. Denn die Männer-Bastion Formel 1 bröckelt. Da wäre Monisha Kaltenborn. Sie leitet seit geraumer Zeit die Geschicke beim in finanzielle Schieflage geratenen Sauber Team.

Oder Williams' Susie Wolff, die bei den Young Driver Tests durchaus Ansprechendes bot. Und dann wäre noch Ecclestones visionäre Eloge in der aufkeimenden Diskussion um seine Nachfolge: "Warum keine Frau? Ich kann mir das absolut vorstellen", gestand er der "Sport Bild".

"Frauen müssen nicht auf den Golfplatz gehen, um Geschäfte abzuschließen. Sie müssen einfach härter arbeiten - und genau das tun sie. Sie verfügen über ein nicht so ausgeprägtes Ego, entscheiden weniger emotional." Die Königsklasse wäre um eine Facette reicher.

Der Formel-1-Kalender im Überblick