"Die Spieler müssen mehr von sich geben"

Michael Stich hat sich 1991 zum Wimbledon-Champion gekrönt
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tennisnet.com: In einer Ära der "Super-Coaches" fragt man sich, ob Sie sich von vornherein aus der Verlosung genommen haben. Oder ist einfach noch nicht das richtige Angebot gekommen?

Stich: Es gab ja mal ein Projekt, als Andy Roddick noch gespielt hat. Da hatten wir Gespräche. Aber ich muss ehrlich sagen, ich wäre nicht in der Lage und hätte auch keine Lust, 25 Wochen im Jahr um die Welt zu reisen. Das ist nicht mein Lebensweg. Ich habe sehr viel mit Mischa Zverev und Tobias Kamke in Hamburg trainiert. Da habe ich schon eine Form der Förderung wahrgenommen und mich eingebracht.

tennisnet.com: Andy Roddick ist ein Jahr jünger als Roger Federer. Der kommt jetzt nach einem halben Jahr Pause zurück. Was trauen Sie ihm zu?

Stich: Ich kann nicht beurteilen, wie er jetzt drauf ist. Aber man hat ihn schon einige Male abgeschrieben und gesagt, die Federer-Zeit sei vorbei. Aber dann hat er doch wieder Halbfinals oder Finals bei den Grand Slams gespielt, auch wenn er sie nicht gewonnen hat. Wer so weit kommt, der kann auch einen Majortitel holen. Aber das hängt davon ab, wie Roger physisch und mental in Form ist. Hier jetzt Prognosen abzugeben, wäre ungerecht. Aber es ist auf der anderen Seite natürlich sehr spannend, zu sehen, wie er zurückkommt.

tennisnet.com: Sie haben als Turnier-Direktor im letzten Jahr Marvin Möller und Louis Wessels mit Wild Cards gefördert. Welche Schritte müssen diese Teenager nun als nächstes nehmen, um im Profitennis Fuß zu fassen?

Stich: Erstmal muss man sagen, dass Alexander Zverev auch in dieser Hinsicht eine absolute Ausnahme ist. In so jungen Jahren schon so weit vorne zu stehen, ist heutzutage eigentlich nicht mehr möglich, weil das Spiel so physisch geworden ist, dass die jungen Spieler diese Fähigkeiten noch nicht haben können. Und es gibt nur sehr wenige Teenager, die über die spielerischen Elemente und das Spielverständnis verfügen, um das ausgleichen zu können. Ich glaube, die Jungs müssen noch härter und professioneller arbeiten. Dennoch muss man ihnen Zeit geben, weil der Eintritt in die Top 100 heutzutage nicht mehr mit 18, 19 Jahren, sondern mit 22 oder 23 üblich ist. Sie dürfen sich nicht verrückt machen lassen. Aber die Konkurrenz da draußen ist groß. Und: man muss auch in sich selbst investieren und kann nicht immer nur nach Förderung von draußen schreien.

tennisnet.com: Die Australian Open stehen an, gespielt wird auf Hardcourt. Einem Belag, der sich von der Spielweise her nicht so eklatant von anderen unterscheidet wie noch zu Ihrer Zeit. Wie sieht da die Zukunft aus Ihrer Sicht aus?

Stich: Wenn wir Tennis wieder interessanter machen wollen, muss es wieder mehr in Richtung Unterschiede zwischen den Belägen gehen. Sagen wir es einmal so: Ein Rafael Nadal hätte zu unserer Zeit niemals Wimbledon gewonnen. Nicht, weil er ein schlechter Tennisspieler ist, sondern weil der Belag viel schneller war und seinem Spiel einfach nicht entgegen gekommen wäre. Deswegen sind damals Thomas Muster oder Sergi Bruguera gar nicht nach Wimbledon gefahren, weil sie wussten, sie haben eh keine Chance, dort zu gewinnen. Ganz so weit muss man ja nicht gehen, aber ich finde, man sollte schon wieder Unterschiede erkennen. Die Beläge sind viel zu ähnlich. Und damit auch das Tennis: Es wird überall von hinten gespielt. Man kann an den Bällen arbeiten, am Untergrund. Gerade weil sich auch das Material über die letzten Jahre so verändert hatte, sollte man die verschiedenen Spielstile wieder fördern. Und das geht nur durch unterschiedliche Beläge.

tennisnet.com: Was erwarten Sie abschließend vom ersten Grand-Slam-Turnier 2017 in Melbourne?

Stich: Wir sagen immer gerne, warum nicht ein Außenseiter? Aber das hat in den letzten zehn Jahren nicht funktioniert. Von daher wünsche ich mir schon, dass ein Nishikori, ein Raonic, selbst ein Kyrgios in seinem Heimatland eine Überraschung zustande bringt. Aber sicherlich sind die Etablierten wieder die großen Favoriten. Federer und Nadal sind die großen Unbekannten, Murray und Djokovic der engste Favoritenkreis. Ich würde mir wünschen, dass Nick Kyrgios ins Halbfinale käme, weil das gut für das Tennis wäre, gut für Australien, mal wieder einen Spieler weit vorne in einem Grand-Slam-Turnier zu haben.

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