Nadal triumphiert in einem US-Open-Allzeitklassiker: "Ich habe gelitten da draußen"

Von Jörg Allmeroth
Rafael Nadal bezwingt Dominic Thiem in einer epischen Partie
© getty

New York. Es begann als Alptraum, als Demütigung, als Schmach für den größten Kämpfer, den das Tennis kennt. 24 Minuten waren gespielt, da schimmerte auf der riesigen Anzeigetafel des Arthur-Ashe-Stadions ein 0:6 auf - es war der niederschmetternde, irreal anmutende Zwischenstand aus Rafael Nadals Sicht, im Viertelfinal-Duell mit seinem österreichischen Herausforderer Dominic Thiem.

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Aber knapp vier Stunden später, es war inzwischen 2.04 Uhr morgens, da stand Nadal wie in Trance auf dem Centre Court, beide Hände in den Himmel gereckt, in der Pose des sanften Triumphators nach einem der denkwürdigen Allzeitklassiker in New York.

Grenzerfahrung für den Weltranglistenersten

Es war die ultimative US Open-Erfahrung, die den Schwergewichtsfight der beiden Matadore entschied: Ein Tiebreak-Thriller am Ende einer mehrstündigen Abnutzungsschlacht, aufgepeitschte Atmosphäre mit nahezu hysterischen Fans - und schließlich ein einziger bitterer Fehler von Thiem, ein himmelweit aus dem Feld gejagter Schmetterball bei Matchball Nadal, der das Drama entschied.

0:6, 6:4, 7:5, 6:7 (4:7), 7:6 (7:5) - so lautet die Fünf-Satz-Abrechnung nach 289 Minuten in neuerlich grausamer Dschungelhitze, mit dem erschöpften, erleichterten Sieger Nadal, der offen bekannte: "Ich habe gelitten da draußen. Es ging an die Grenze." Und mit einem enttäuschten, aber auch stolzen Verlierer Thiem: "Es war das erste richtig epische Match meines Lebens. Tennis kann manchmal grausam sein, so wie heute."

Nun spielt Nadal am Freitag in der Vorschlussrunde gegen den formstarken Argentinier Juan Martin del Potro um einen Finalplatz - und die Chance, das Major-Spektakel im Big Apple zum vierten Mal nach 2010, 2013 und 2017 zu gewinnen.

"Es tut mir leid für Thiem"

Thiem erzielte zwar fünf Punkte mehr in diesem herausragenden Duell - 171 zu 166 -, doch das letzte Wort hatte der muskelbepackte Mallorquiner Nadal, der Mann, der nirgendwo und niemals aufgibt, bis nicht der letzte Ballwechsel gespielt ist. "Du musst immer weitermachen, egal, wie schwer es ist. Thiem war ein großartiger Gegner, es tut mir leid für ihn", sagte der 31-jährige Nadal nach einem seiner faszinierendsten US Open-Siege überhaupt.

Faszinierend deshalb, weil er auf den ersten Metern dieses Zweikampfs mit Österreichs Star Thiem regelrecht überrollt wurde - eine Erfahrung, die sonst nur die Gegner des bulligen Spaniers machen. "Thiem spielt wie im Traum", meinte TV-Experte John McEnroe zum Start dieser Partie, "es ist unglaublich, was hier passiert."

Never say die

Aber wenn gegen Nadal eine Weisheit zählt, dann die: Es ist egal, wer als Schnellster losläuft. Es ist wichtig, wer als Erster ins Ziel kommt. Denn Nadal verzagt nie, mögen die Umstände und Bedingungen noch so schwierig sein. Auch gegen Thiem kämpfte er sich mit seiner Never say die-Attitüde wieder ins Match zurück, gewann die Dominanz, erlitt einen Rückschlag im vierten Satz, wirkte müde zum Start des fünften und letzten Aktes.

Nur um sich dann wieder hellwach und energiegeladen zu zeigen, als es zählte, weit jenseits von Mitternacht, gegen den viel jüngeren Kollegen aus Lichtenwörth. Wie ein Symbol für seinen Einsatz und Aufwand wirkte der Berg von verbrauchten, schweißnassen Handtüchern, der neben seiner Pausenbank aufragte. "Es gibt nur eine Devise: Weiter, immer weiter", sagte Nadal im spanischen Fernsehen, "das ist es, was meine ganze Karriere ausmachte und definierte."

Steiniger Weg zum möglichen Titel

Dabei hatte Nadal schon vor dem Anpfiff zu diesem Viertelfinal-Duell allerhand Tennis in den Knochen. Erst meisterte er in der dritten Runde die beinharte Prüfung gegen den russischen Riesen Karen Khachanov in vier Sätzen, dann brauchte er noch einmal vier Achtelfinal-Sätze, um den Georgier Nikoloz Basilishavili in die Knie zu zwingen.

"Ich habe schon eine Menge Tennis gespielt hier, auf diesem Court", sagte Nadal, "und es wird noch ein bisschen was dazu kommen, schätze ich." Will Nadal seinen insgesamt 18. Grand Slam-Pokal in die Höhe stemmen, müsste er neben del Potro vermutlich auch noch im Endspiel in einen weiteren Tennis-Marathon gegen den "Mann der Stunde" im Circuit gehen, gegen den wiedererstarkten Novak Djokovic.

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