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NFL Draft: Was ist ein Running Back (noch) wert? Travis Etienne hofft auf die erste Draft-Runde – zu Recht?

Von Jan Dafeld
Travis Etienne wechselt nach vier Jahren auf dem College in die NFL.
© getty

Travis Etienne gilt als der vielleicht beste Running Back im Draft 2021 und hofft, in der ersten Runde ausgewählt zu werden. Obwohl er seinen Draft-Status im vergangenen Jahr womöglich nochmal verbessert hat, könnte das ein schwieriges Unterfangen werden. Schuld ist die moderne NFL.

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Die Frage, welchen Wert ein Running Back in der modernen NFL noch besitzt, zählt zu den umstrittensten im Footballkosmos des 21. Jahrhunderts. Obwohl Runner wie Jim Brown, Barry Sanders oder Adrian Peterson einst als Superstars verehrt wurden, legen verschiedene Studien nahe, dass die Position heute zu den weniger wertvollen auf dem Football-Feld zählt.

Diese Debatten prägen die Medienlandschaft rund um die NFL immer wieder. Während der Saison zum Beispiel bei der Diskussion um die Vergabe des MVP-Titels. Während der Free Agency, in der in diesem Jahr beispielsweise die Packers ihren Running Back Aaron Jones teuer bezahlten. Aber eben auch unmittelbar vor dem Draft.

Kann ein Running Back in der modernen NFL noch einen Erstrundenpick wert sein? Mit Ezekiel Elliott, Leonard Fournette, Saquon Barkley, Josh Jacobs, Clyde Edwards-Helaire und Co. wurde in den vergangenen Jahren immer mindestens ein Running Back in der ersten Runde ausgewählt. Zu Recht?

"Einen Running Back in den Top-5 auszuwählen, macht wenig Sinn. Denn wenn du es geschafft hast, wieder gut zu sein, wirst du die besten Jahre deines Running Backs bereits verschwendet haben", meint Daniel Jeremiah, Draft-Analyst für das NFL Network. "Wenn du ein Team hast, das in die Playoffs einziehen kann und du diesem Team einen richtig starken Back hinzufügen willst, dann habe ich damit aber kein Problem."

NFL Draft: Es geht um bares Geld

Die Diskussion beschäftigt Teams, Medien und Fans. Besonders betroffen davon sind allerdings die Spieler selbst. Die finanziellen Unterschiede zwischen dem Vertrag eines Erst- und eines Zweitrundenpicks sind groß: Während Spieler, die in der ersten Draft-Runde ausgewählt werden, die ersten drei Jahre ihres Vertrags voll garantiert bekommen, ist dies ab dem 33. Pick nur noch im ersten Vertragsjahr der Fall.

Für jeden Spieler geht es im Draft somit um bares Geld. Für Running Backs sind diese Differenzen mittlerweile besonders entscheidend, da nur die wenigsten in der Free Agency noch wirklich absahnen können. Chris Carson, ein bewährter Starter, musste sich in diesem Jahr mit einem Zweijahresvertrag und nur 5,5 Millionen Dollar garantiertem Gehalt zufrieden geben.

"Die Spieler erneut unter Vertrag zu nehmen, ist nochmal eine ganz andere Diskussion", sagt auch Jeremiah. "Lass sie laufen bis die Räder abfallen und dann lass sie gehen. Für mich macht das mehr Sinn."

Umso stärker kämpfen Running Backs wie Travis Etienne um ihren Status als Erstrundenpick. Der Clemson-Star selbst sieht sich unter den ersten 32 Picks: "Ich denke, dass ich viele Dinge habe, die dir von Gott gegeben werden. Dinge, über die die meisten Spieler nicht verfügen."

Travis Etienne wechselt nach vier Jahren auf dem College in die NFL.
© getty
Travis Etienne wechselt nach vier Jahren auf dem College in die NFL.

Travis Etienne: Championship-Sieg mit Clemson

Tatsächlich ist Etiennes Talent unumstritten. Seit mittlerweile vier Jahren zählt der 22-Jährige zu den besten Running Backs auf dem College-Level, auf der High School dominierte er nach Belieben.

In 42 Spielen kam der Teenager für die Bulldogs der Jennings High School auf mehr als 7000 Yards und über 100 Touchdowns. Der Youngster beendete so viele Drives mit schnellen Touchdown-Runs, dass sein Coach ihn auch als Cornerback und Safety einsetzte. Etienne sollte nicht so viel Zeit an der Seitenlinie stehen müssen.

Nach seinem Wechsel zu Clemson stellte Etienne seinen überragenden Breakaway-Speed weiter unter Beweis. Bereits als Freshman verbuchte er 7,2 Yards pro Carry. Als er als Sophomore die Starterrolle übernehmen durfte, steigerte er seinen Schnitt auf unglaubliche 8,1 Yards pro Run. Seine Fabelsaison krönten er und seine Tigers mit einem dominanten 44:16-Sieg über Alabama im National Championship Game.

"Im Moment des Sieges habe ich es überhaupt nicht realisiert. Es hat sich angefühlt, als hätten wir in der nächsten Woche wieder ein Spiel. Du spürst den Moment nicht wirklich", sagt Etienne. "Erst in der Nacht, als ich im Bett lag, dachte ich: 'Wir haben echt die Natty gewonnen. Ich war Teil dieses Teams und wir haben etwas Besonderes geschaffen, an das ich mich für immer erinnern werde.'"

Travis Etienne blieb ein weiteres Jahr am College

Auch als Junior dominierte Etienne gegnerische Defenses immer wieder. Erneut verbuchte er mehr als 1600 Rushing Yards, erneut zogen seine Tigers ins National Championship Game ein - auch wenn Clemson sich dort LSU um Joe Burrow geschlagen geben musste.

An diesem Punkt hätte Etiennes College-Karriere vorbei sein können. Er hatte gezeigt, dass er zu den besten Runnern des Landes gehört, seine NFL-Tauglichkeit galt als erwiesen. Doch Etienne blieb am College - womöglich auch, weil eine Auswahl in der ersten Draft-Runde trotz seiner herausragenden Statistiken wohl außer Reichweite war.

Der Clemson-Star musste sich als reiner Runner zwar hinter keinem anderen Back im Draft 2020 verstecken, Spieler wie Clyde Edwards-Helaire und D'Andre Swift galten jedoch als komplettere Backs. Mit J.K. Dobbins und Jonathan Taylor als weiteren Running Backs war die Klasse in der Spitze zunehmend exzellent besetzt.

Etienne entschied sich also dafür, ein weiteres Jahr mit den Tigers auf Titeljagd zu gehen und den eigenen Draft-Status weiter zu verbessern. Hat es sich gelohnt? Darüber gehen die Meinungen auseinander.

Travis Etienne: Schlechtere Zahlen im Jahr 2020

Etiennes nackte Zahlen in seiner finalen College-Saison sehen unschön aus: Nach 1658 Rushing Yards als Sophomore sowie 1614 Rushing Yards in seiner Junior-Saison verbuchte Etienne 2020 nur noch 914 Yards. Seine Yards pro Carry fielen auf 5,4 Yards - fast 3 Yards weniger als in seiner besten College-Saison.

Doch die nackten Zahlen erzählen auch nur einen Teil der Geschichte. Etienne lief in der vergangenen Spielzeit hinter einer nahezu komplett neu zusammengestellten Offensive Line. Nach 3,8 Yards vor dem ersten Kontakt im Jahr 2018 und 2,8 Yards vor dem ersten Kontakt 2019 fiel der Wert 2020 auf nur noch 1,8 Yards.

Der Clemson-Star musste also deutlich mehr Yards auf eigene Faust kreieren. Mit 43 forcierten Missed Tackles stellte er seine Qualitäten erneut unter Beweis, Etiennes 822 Yards nach Kontakt waren der fünftbeste Wert des Landes.

Der größte Schritt nach vorne gelang Etienne allerdings nicht als Runner. Tatsächlich verwandelte der 22-Jährige eines seiner größten Fragezeichen in eine mögliche Stärke: Seine Qualitäten als Receiver.

Travis Etienne: Große Fortschritte als Receiver

In seinen ersten zwei Jahren für die Tigers hatte Etienne gerade mal 17 Pässe für nur 135 Yards gefangen. Er selbst gab zu, oft nervös zu werden, wenn er den Ball unter Druck fangen musste. 2020 war davon nichts mehr zu spüren: Etienne fing 48 Bälle für 588 Yards, mehrere davon spektakulär und unter Druck.

"Ich glaube, dass er verstanden hat, dass er, wenn er lange spielen und den Sprung in die NFL erfolgreich meistern will, diesen Teil des Spiels noch braucht", sagt Clemsons Offensive Coordinator Tony Elliott. "Auf der High School hatte er damit kaum Erfahrung. Er hatte schon immer die natürlichen Fähigkeiten, um den Ball zu fangen. Er hatte nur noch nicht das Selbstvertrauen."

"Ich bereue nichts", sagt Etienne daher über seine Entscheidung, ein weiteres Jahr am College zu spielen. "Ich bin definitiv besser geworden, sowohl physisch als auch mental. Ich habe so viel gelernt." Nicht wenige Experten teilen Etiennes Meinung, möglicherweise hat er seinen Status in Bezug auf den Draft tatsächlich weiter verbessert.

Travis Etienne: "Mein Traumszenario sind die Cardinals"

"Sie werden all das bekommen, was sie brauchen. Ein Spieler, der jedes Down auf dem Feld sein kann, der Special Teams spielen kann", beschreibt Etienne sich selbst. "Ich glaube, ich bin einzigartig. Ich bin der beste Running Back. Ein Team, das sich für mich interessiert, bekommt das volle Paket."

Doch wer wird am Ende dieses Team sein? Manch ein Football-Romantiker träumt davon, dass die Jacksonville Jaguars nicht nur Trevor Lawrence mit dem ersten Pick des Drafts auswählen, sondern ihm gleich noch dessen Clemson-Partner Etienne an die Seite stellen. Die Jags halten auch den 25. und den 33. Pick im Draft.

Etienne selbst hat allerdings eine andere Wunschvorstellung: "Mein Traumszenario sind die Cardinals an 16", sagt er ganz unverblümt. "Sie wären ein tolles Szenario. Sie haben gerade J.J. Watt geholt, ein neuer Baustein für ihre Offense, nachdem Kenyan Drake weg ist, könnte ihnen gut tun. Ich glaube, ich könnte eine großartige Verstärkung für das Team sein."

Festlegen möchte sich Etienne aber auch nicht. "Du brauchst die richtige Perspektive. Wenn es klappt, dann klappt es. Wenn nicht, dann nicht." Ein Albtraumszenario existiert für ihn nicht - auch dann nicht, wenn er nicht in der ersten Runde ausgewählt werden sollte: "Wo auch immer ich gedraftet werde: Ich werde dankbar sein und alles für mein Team geben."

Travis Etienne: Die Statistiken auf dem College

JahrSpieleAttYdsTDRecYdsTD
201713107766135570
20181520416582412782
201915207161419374324
20201216891414485882
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