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NFL - Die Tampa Bay Buccaneers mit Tom Brady: Gleiches System, besserer Quarterback

Von Jan Dafeld
Tom Brady spielt seine erste Saison für die Tampa Bay Buccaneers.
© imago images/DouglasRClifford

Die Tampa Bay Buccaneers haben nach einem leicht holprigen Start mittlerweile gut in die Saison gefunden. Die Offense sieht von Woche zu Woche gefährlicher aus, auch weil Tom Brady sich in neuer Umgebung immer besser zurechtfindet. Gegen die Chicago Bears (Freitag, ab 2.20 Uhr live auf DAZN) wollen die Bucs den nächsten Schritt zu einem echten Titelaspiranten machen.

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Als Tom Brady und die New England Patriots im Frühjahr entschieden, getrennte Wege zu gehen, markierte dies auch das Ende einer 20 Jahre währenden Beziehung zwischen einem der erfolgreichsten Head Coaches und einem der erfolgreichsten Quarterback in der Geschichte der NFL. Bill Belichick und Tom Brady.

Und manch einer sah in der Trennung der beiden Legenden auch eine Chance. Eine Chance herauszufinden, wer in den vergangenen Jahren mehr vom jeweils anderen profitiert hatte. Die Ära der Patriots wurde nicht von allen schlicht als Zusammenarbeit zwischen zwei der größten Figuren in der Geschichte der NFL gesehen.

Einige glaubten, Brady habe Belichicks Erfolge erst möglich gemacht. Andere wiederum vertraten die Meinung, der Quarterback hätte in seiner Karriere in außergewöhnlichem Maße von seinem Coach profitiert. Und nach nur einer Woche in der neuen Saison schien sich die zweite Gruppe in ihrer Meinung bestätigt zu sehen.

NFL: Tom Brady mit vermeintlich schlechtem Debüt

Kein Wunder: Bradys Debüt für die Bucs hätte - zumindest makroskopisch - nicht viel schlechter verlaufen können: Gegen die Saints wurde der 43-Jährige dreimal gesackt und warf zwei Interceptions, darunter auch ein übler Pick Six, als Janoris Jenkins vor eine Out-Route von Justin Watson sprang und Bradys Pass abfing. Zudem verlor Tampa Bay das Spiel.

In seinen ersten zwei Spielen kam Brady auf drei Touchdown-Pässe bei drei Interceptions und zwei Fumbles, außerdem verzeichnete er gerade mal 6,4 Yards pro Passversuch. Ein so niedriger Wert, wie ihn Brady über eine gesamte Saison gesehen seit 2002 (!) nicht aufwies. Es gab somit durchaus Anzeichen zur Sorge.

War der erfolgreichste Quarterback der Geschichte mittlerweile schlicht zu alt geworden? Passte er nicht in das anspruchsvolle Offensivsystem von Head Coach Bruce Arians? Es war ein gefundenes Fressen für die diversen Sport-Talkshows in den USA.

Tampa Bay Buccaneers: Offense lief nicht direkt rund

Wer allerdings genauer hinsah und versuchte, sich ein Bild zu machen, das über die einfachen Stats hinaus geht, der bekam schnell einen anderen Eindruck. Brady warf den Ball tief und attackierte enge Fenster, mehr als er es in der Vorsaison bei den Patriots getan hatte. Mangelnde Armstärke schien auch kein Problem für den Veteranen zu sein.

Zudem zeichneten ihn nach wie vor die gleichen Qualitäten aus, die ihn über 20 Jahre zu einem der besten Quarterbacks der Welt gemacht hatten: Brady erkannte die gegnerischen Coverages schnell und brachte seine Pässe immer wieder mit stimmigem Timing an den Mann.

Darüber hinaus litt Brady unter mehr Drops als irgendein anderer Passer in der NFL, gleich mehrfach ließen ihn Receiver wie Scotty Miller oder Running Back LeSean McCoy im Stich. Die Offense in Tampa Bay lief in den ersten Wochen der Saison noch nicht ganz rund, an der Qualität ihres neuen Quarterbacks lag dies allerdings nicht.

In den darauffolgenden zwei Spielen schlug sich dieser Umstand auch in den klassischen Boxscore-Statistiken nieder. Gegen die Denver Broncos und die Los Angeles Chargers wurde Brady nur noch zweimal gesackt, er warf für acht Touchdowns bei nur einer Interception und verbuchte fast acht Yards pro Passversuch.

Tampa Bay Buccaneers: Gleiches System wie im Vorjahr

Bradys Interception-Quote, mit 2,6 Prozent ist diese so hoch wie seit 2005 nicht mehr, mag ein wenig besorgniserregend sein, in erster Linie ist diese allerdings schlicht ein Produkt von Bruce Arians' Offensiv-System. Dieses baut auf zahlreiche Option-Routes, auch vertikal im Feld. Missverständnisse zwischen Receiver und Quarterback sind dabei nahezu programmiert, erst recht, wenn Letzterer mit limitierter Saisonvorbereitung neu in dieses System finden muss - "GOAT"-Status hin oder her.

Die teilweise horrenden Interceptions von Jameis Winston aus der Vorsaison dürften jedem NFL-Fan noch im Gedächtnis sein, weniger bekannt ist derweil, dass auch Andrew Luck und Carson Palmer in ihren ersten Saisons in Arians' System haufenweise Fehler machten. Seit 2006 hat Pro Football Focus nur dreimal 40 oder mehr Turnover-würdige Spielzüge in einer Saison gezählt, jedes Mal war der Quarterback von Arians' Team für diese Zahl verantwortlich.

Tatsächlich spielt Tampa Bay in dieser Spielzeit praktisch das gleiche System wie im vergangenen Jahr, es gibt keine Mischung aus Arians' vertikaler Offense und Bradys mehr aufs Kurzpassspiel ausgerichteter Philosophie aus New England. Die Bucs laufen zahlreiche tief ausgelegte Route-Kombinationen und Brady attackiert diese durchaus aggressiv.

Bei Würfen auf seine Wide Receiver und Tight Ends beträgt Bradys sogenannte Targettiefe in dieser Saison 11,4 Yards, einer der höchsten Werte der Liga. Und: Sein Wert ist damit nur unwesentlich kleiner als jener von Winston, der als der wohl größte Gunslinger der Liga gilt, in der Vorsaison.

Tampa Bay Buccaneers: Tom Brady bei Mitspielern unumstritten

Der größte Unterschied zwischen Brady und Winston in Arians' System dürfte die Tatsache sein, dass Brady schneller und öfter erkennt, dass der tiefe Wurf bei einem bestimmten Play schlicht nicht da ist. Somit wirft Brady knapp 50 Prozent mehr Pässe auf seine Running Backs. Pässe, die nicht immer für großen Raumgewinn sorgen, aber doch Drives am Leben erhalten können.

Bei seinem Mitspielern ist und war Brady ohnehin unumstritten. "Wie kann man kein Vertrauen in ihn haben?", fragt Scotty Miller, der die Bucs nach vier Spielen überraschend in Receiving Yards anführt. "Er ist der Größte, der jemals gespielt hat."

"In seinem Kopf liegt Tom nie zurück, wir können das Spiel immer noch gewinnen", lobt auch Arians seinen Quarterback. "Ganz ehrlich: Letztes Jahr hätten wir hier mit 20 Punkten den Arsch versohlt bekommen", meinte Arians nach dem Sieg über die Chargers, in dem die Bucs zwischenzeitlich mit 7:24 zurückgelegen hatten.

NFL: Tampa Bay Buccaneers bald ein Contender?

Nach vier Saisonspielen überwiegt somit eindeutig der Optimismus in Tampa. Die Offensive Line ist bislang zweifelsohne eine positive Überraschung, das Receiving Corps, eigentlich die vermeintlich größte Stärke des Teams, hatte bislang unter Verletzungsproblemen zu leiden, die Passing-Offense könnte somit im weiteren Saisonverlauf noch besser werden - auch wenn Chris Godwin und Justin Watson gegen die Bears erneut ausfallen werden.

Defensiv scheint die junge Unit von Defensive Coordinator Todd Bowles derweil tatsächlich den nächsten Schritt in ihrer Entwicklung gemacht zu haben. Neben Linebacker Lavonte David spielen auch Talente wie Defensive Tackle Vita Vea groß auf. Nach vier Spielen belegen die Bucs laut DVOA (Defense-adjusted Value Over Average) Platz zwei in der Liga.

Noch ist längst nicht jede Entwicklung in Tampa Bay bewundernswert, in einigen Bereichen herrscht nach wie vor eine bemerkenswert konservative Denkweise, zum Beispiel beim Ausspielen von Fourth Downs oder dem Run-Pass-Verhältnis bei frühen Downs. Und doch dürften die ersten Wochen der Saison Fans und Verantwortlichen in Tampa Mut gemacht haben.

Die Buccaneers haben das Potenzial, um sich über die kommenden Wochen und Monate zu einem echten Titelaspiranten zu entwickeln. Brady könnte einmal mehr Teil eines tiefen Playoff-Runs werden. Diesmal allerdings im System von Bruce Arians. Nicht von Bill Belichick.

Tampa Bay Buccaneers: Die bisherigen Saisonspiele

DatumHeimGastErgebnis
13.9.2020New Orleans SaintsTampa Bay Buccaneers34:23
20.9.2020Tampa Bay BuccaneersCarolina Panthers31:17
27.9.2020Denver BroncosTampa Bay Buccaneers10:28
4.10.2020Tampa Bay BuccaneersLos Angeles Chargers38:31
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