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J.T. O'Sullivan im Interview: "Patriots waren komplett anders als jedes andere Team"

J.T. O'Sullivan berichtet im SPOX-Interview von seinen Erfahrungen unter Bill Belichick bei den Patriots.
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Brady, Favre - und das Erfolgsgeheimnis der Patriots

Gleichzeitig haben Sie selbst auch mit einigen der größten Quarterback-Superstars zusammengearbeitet - unter anderem Brett Favre und Tom Brady. Was haben Sie daraus mitgenommen? Wo waren sie unterschiedlich?

O'Sullivan: Ja, ich hatte das Glück, mit einigen der Besten überhaupt zu arbeiten und ich habe versucht, immer - nicht nur von den Hall-of-Fame-Spielern - ein paar Details mitzunehmen. Brett war einer meiner Kindheitshelden, ich wollte so spielen wie er. Das ist natürlich etwas merkwürdig, wenn man dann mit einem seiner Helden arbeitet; aber Brett hat meine Erwartungen daran, wie er spielt und wie er trainiert, noch übertroffen. Er hat immer den Wettbewerb gesucht, dabei aber diese Freude vermittelt, die ansteckend war. Man hat sofort gemerkt, dass er das Spiel geliebt hat - und so war er jeden Tag. Das habe ich für mich mitgenommen, so zu trainieren und zu arbeiten. Ich hätte nie spielen können wie er, weil ich dafür nicht den Arm hatte. Aber auf der anderen Seite ist er ein fantastischer Geschichtenerzähler, auch in der Hinsicht ist er ansteckend und das habe ich versucht, mitzunehmen.

Und wie lässt sich das mit Tom Brady vergleichen?

O'Sullivan: Als ich Tom erlebt habe, hatten die Patriots gerade schon einiges gewonnen und er war dabei, der Beste aller Zeiten zu werden. Ich habe ihn im Training studiert, die enorm hohe Aufmerksamkeit für Details, auf die sie in New England achten - und New England generell ist in meinen Augen eine komplett einzigartige Situation. Wie Bill (Belichick, d. Red.) alles koordiniert, wie sie operieren, wie sie reden, wie sie trainieren: All das kann man nicht einfach kopieren, deshalb haben Coaches, die aus New England weg gehen, anderswo oft Probleme, weil die Patriots so einzigartig sind. Ich persönlich habe einige Dinge daraus mitgenommen, wie Bill und Tom miteinander kommunizieren und dass sie ein tiefer gehendes Verständnis für den jeweils anderen haben als die meisten Head Coaches mit ihrem Quarterback. Und ich habe gesehen, wie das entsteht, wie viel Zeit sie miteinander verbringen. Das versuche ich als Coach zu übernehmen.

Haben Sie ein Beispiel dafür, wie genau sich die Patriots im Alltag von anderen Teams unterscheiden?

O'Sullivan: Das vermutlich einfachste Beispiel ist dieses: Bill Belichick ist wahrscheinlich der einzige Head Coach, zumindest unter denen die ich erlebt habe, der ein NFL Elite Position Coach für jede Position sein könnte. Die meisten Head Coaches sind entweder in der Offense, der Defense oder im Special Teams zuhause. Ich hatte den Eindruck, dass Bill jede Position auf einem sehr hohen Level coachen könnte. In der NFL gibt es während einer normalen Trainingswoche an jedem Morgen ein Team-Meeting. Da sagt der Head Coach ein paar Worte, es geht vielleicht um ein paar Schlüsselduelle gegen den kommenden Gegner oder auch mal um logistische Details für eine Auswärtsreise. Normalerweise dauern diese Meetings etwa zehn Minuten - bei Bill war es eher eine halbe Stunde. Und er hat dabei über Offense, Defense und Special Teams gesprochen, mit Video-Beispielen zu allem. Aus dem Training, zum kommenden Gegner, aus unserem letzten Spiel. Und dann hat er uns erklärt, was wir machen müssen, um zu gewinnen. Das ging so für jede Position, und er hat dabei auch künftige Hall-of-Famer vor dem Team kritisiert. Das gibt es so bei anderen Organisationen nicht und ich denke, deshalb gibt es dieses hohe Maß an Verantwortungsbewusstsein bei den Patriots. Gleichzeitig aber sieht man deshalb vermutlich auch diese Spannungen, über die bei den Patriots immer berichtet wird. Das ganze System ist um seine Fähigkeit aufgebaut, so ziemlich jede Position coachen zu können. Und das war für mich komplett anders als bei jedem anderen Team.

Und man braucht als Coach auch ein gewisses Standing dafür, oder? Einmal das Wissen, aber eben auch das Standing, um große Spieler vor dem Team zu kritisieren. Ist das auch ein Grund dafür, dass Head-Coach-Kandidaten, die aus New England kommen, anderswo Probleme haben?

O'Sullivan: Ich denke, das ist genau richtig. Wenn Spieler die Patriots verlassen, ist es nicht selten, dass sie Dinge sagen wie: "Ich will einfach Spaß beim Football haben" - diese emotionale Befreiung, einfach weil diese permanente Spannung dort die Kultur ist. Bill kreiert das absichtlich, und natürlich hat es sehr gut funktioniert - aber ich glaube, andere Coaches haben nicht die Kapazitäten, um das umzusetzen und das ist der Unterschied: Seine Fähigkeiten zu coachen, zu lehren und zu beeinflussen.

O'Sullivan über die NFL Europe und den Umgang mit Geisterspielen

Bevor Sie zu Favre nach Green Bay kamen, spielten Sie Ihre erste von zwei Saisons in der NFL Europe bei Frankfurt Galaxy, eine Liga, die hier noch heute viele vermissen. Wie war die Atmosphäre damals aus Ihrer Sicht, was für eine Erfahrung war das für einen NFL-Spieler?

O'Sullivan: Ich hatte so viel Spaß in dieser Liga, und es macht mich auf verschiedenen Ebenen traurig, dass es sie nicht mehr gibt. Für die Fans, für das Umfeld - Frankfurt hatte tolle Fans und jede Menge Support -, aber auch für die Spieler. Insbesondere mit Blick auf die Spielerentwicklung, gerade bei Quarterbacks. Am Ende des Tages spielt innerhalb eines Teams nur ein Quarterback, und wenn man sich wirklich weiterentwickeln und verbessern will, dann braucht man eine Gelegenheit, um spielen zu können. Bei mir war es so, dass ich bei beiden Gastspielen in Europa gut genug war, dass das meinen weiteren Karrierepfad geebnet hat: Nach dem ersten Mal tradeten die Packers aufgrund meines Tapes aus Europa für mich, nach dem zweiten Mal (2007, d. Red.) war ich im Prinzip schon raus aus der NFL. Mike Martz sah mein Tape aus Europa und hat mich deshalb geholt. Das hat mir fast fünf weitere Jahre in der Liga beschert. Aber ich habe es auch persönlich unheimlich genossen. Es hat Spaß gemacht, aus diesem Amerikanismus raus zu kommen und eine globalere Perspektive zu bekommen. Als ich zum zweiten Mal drüben war, hat mein Bruder außerdem parallel Rugby in Frankreich gespielt, deshalb konnte ich viele seiner Spiele sehen und wir konnten zusammen reisen. Ich bin ein Junge aus Kalifornien, und es ist schwierig für mich, diesen schönen Ort dauernd zu verlassen. Aber das war eine tolle Zeit in meinem Leben, die ich bis heute zu schätzen weiß.

Sollte die NFL wieder mehr in eine Entwicklungsliga investieren?

O'Sullivan: Football ist einfach so teuer. Und es ist ein Sport, der unheimlich stark mit der TV-Übertragung zusammenhängt. Wenn man also keine Primetime-Liga ist, hat man nicht die Möglichkeiten, um die Einkünfte zu erzielen, die für eine Profi-Liga notwendig wären. Football ist wie gemacht für die TV-Übertragung, mit den Timeouts, mit der Zeit zwischen Plays. Wenn man sich ein Fußballspiel anschaut, ist alles so fließend und es gibt keine Unterbrechung - dann ist die Werbung irgendwo in der Ecke des Bildschirms, statt ein Spot alle paar Minuten. Football ist ideal, um hier Einnahmen zu erzielen und es ist schwierig, auf einem zweitklassigen Level darum etwas aufzubauen. Aber es wird weiterhin Versuche in der Richtung geben, einfach weil die Menschen hier Football lieben.

Und mit Blick auf die weitere Internationalisierung?

O'Sullivan: Die NFL Europe war auch deshalb so großartig, weil sie dabei helfen konnte, den Sport international wachsen zu lassen. Und das ist auch etwas, das ich jetzt bei meinem YouTube-Kanal mag: Ich kann mit Leuten aus Südamerika, Europa oder Asien kommunizieren - und es gibt einen riesigen Wissensdurst. Das Spiel wird weiter wachsen, aber ich frage mich, ob es so einen Moment geben wird, wie das "Dreamteam" bei den Olympischen Spielen 1992, das das Basketball-Interesse international auf ein komplett anderes Level gehoben hat. Ich weiß nicht, wie so etwas im Football aussehen könnte, aber das wäre faszinierend zu beobachten.

Zum Abschluss ein kleiner Ausblick: Wir könnten dieses Jahr eine sehr ungewöhnliche Saison erleben, unter anderem mit Geisterspielen. Inwieweit würde das die Spieler beeinflussen?

O'Sullivan: Ich würde es nicht in die Richtung formulieren wollen, dass die Spieler nicht gut spielen können, wenn keine Zuschauer dabei sind. Ich sehe es so: Ich hoffe, die Liga ist innovativ genug, um daraus auch Positives machen zu können. Viele Zuschauer würden nur zu gerne mehr hinter die Kulissen schauen, vielleicht etwas aus dem Huddle mitnehmen, oder offene Mikrofone an der Seitenlinie haben, womöglich Ausschnitte aus einem Meeting mitnehmen. Das wäre faszinierend. Wenn wir von der Energie in einem Stadion am Sonntag sprechen, dann ja, das ist nur schwer zu kopieren. Für viele von uns ist das gerade die neue Normalität, aber ich hoffe, dass die Liga es als Möglichkeit zur Innovation betrachtet. Und ich denke, das Spiel würde enorm davon profitieren, ein paar Blicke hinter die Kulissen zuzulassen. Dass Zuschauer womöglich sehen, wie Plays kommuniziert werden, was die XFL ja kürzlich versucht hat. Einfach neue Wege zu finden, um die Zuschauer mitzunehmen.

Also aus der Not eine Tugend machen und die Umstände nutzen, um Football zugänglicher zu machen?

O'Sullivan: Einer der Gründe, warum mein YouTube-Kanal existiert, ist, dass, als ich selbst alles über Football lernen wollte, die Informationen die ich haben wollte nicht wirklich einfach zugänglich waren. Diese Lücke will ich mit dem Kanal schließen, für Leute, die wissen wollen, was genau eigentlich auf dem Feld passiert. Was ist die Strategie? Was machen wir mit Blitzes, mit Personnel-Gruppen, mit allen möglichen exotischen Dingen? Aber wenn man ein Grundverständnis hat, ist es alles nicht mehr so kompliziert - letztlich kann man nur eine begrenzte Anzahl an Dingen mit elf Spielern machen. Ich mag den Vergleich zum Schach: Ja, die Großmeister spielen auf einem anderen Level, aber am Ende geht es darum, Muster zu erkennen. So ist es auch im Football. Und dann sieht man die Dinge mit der Zeit immer schneller. In meinen Augen gibt es den Raum für gewissermaßen eine globale Weiterbildung, aber gleichzeitig ist Football so unterhaltsam und so ideal fürs Fernsehen, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass es nicht auf einem hohen Level funktioniert. Selbst, wenn sie in einem Park spielen würden.

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