NFL

Die Seattle Seahawks in den Playoffs: Nur noch drei Auswärtssiege bis zum Super Bowl

Von Jan Dafeld
Pete Carroll und Russell Wilson treffen in den Playoffs auf die Philadelphia Eagles.
© getty

Vor dem Playoff-Start gehen die Meinungen über die Seattle Seahawks auseinander. Sind sie glücklich in die Playoffs eingezogen? Oder zählt das Team zu den ernsthaften Titelanwärtern? Mut machen den Seahawks die eigene Auswärtsstärke sowie drei Beispiele aus der Vergangenheit. Das Spiel gegen die Philadelphia Eagles seht ihr am Sonntag ab 22.40 Uhr live auf DAZN.

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Es ist keine Woche her. Die Seahawks lagen zur Halbzeit mit 0:13 gegen die San Francisco 49ers zurück. Und sie sahen keineswegs aus wie ein Playoff-Team. Seattle hatte in den ersten beiden Vierteln drei Mal gepuntet, keine 100 Yards produziert, kein Mal die gegnerische Red Zone und nur ein Mal die gegnerische Hälfte erreicht. Die Seahawks-Offense präsentierte sich noch schlechter als in der Vorwoche bei der 13:27-Pleite gegen die Arizona Cardinals.

Sind die Seahawks nach drei Niederlagen aus ihren letzten vier Spielen der Regular Season - wovon es nur in einem gegen ein anderes Playoff-Team ging - also zu Unrecht in den Playoffs? Sind sie gar ein willkommener Gegner für die Konkurrenz in der NFC?

Sollte es tatsächlich so kommen, die Erklärungsansätze wären schnell gefunden. Die Seahawks verloren ihre drei besten Running Backs - Chris Carson, Rashaad Penny und C.J. Prosise - allesamt verletzungsbedingt in den letzten Wochen der Saison. Left Tackle Duane Brown fehlte in den letzten beiden Saisonspielen ebenso wie Safety Quandre Diggs. Mit Will Dissly, Justin Britt, Josh Gordon und Al Woods hatte Seattle zudem bereits zuvor wegen Verletzungen und Sperren auf mehrere wichtige Spieler verzichten müssen.

Gute Teams sollten zwar im Stande sein, Verletzungen über ihr Scheme sowie ihre Backups aufzufangen, allerdings gilt dies auch nur bis zu einem gewissen Grad. Diesbezüglich braucht man nur bei der Defense der 49ers oder der Offense der Eagles, Seattles Gegner am Sonntagabend, nachzufragen.

Seattle Seahawks: Nur durch Glück in den Playoffs?

Und doch gehen Seattles Probleme tiefer. Die Pass-Protection ist in diesem Jahr beispielsweise - mal wieder - eine echte Problemzone. Nur zwei Teams ließen mehr Quarterback Hits zu, nur zwei Teams erlaubten häufiger schnellen Druck (unter 2,5 Sekunden) auf den Quarterback. Laut ESPNs Pass Block Win Rate waren die Seahawks in diesem Jahr das fünfschlechteste Team in puncto Pass-Blocking und gegen Philadelphia wird Duane Brown wohl abermals fehlen. Philly könnte also durch die Mitte und über außen Druck kreieren.

Auch Head Coach Pete Carroll steht trotz des weitgehend erfolgreichen Saisonverlaufs immer wieder in der Kritik. Seine Qualitäten als Leader und Motivator sind nach wie vor unbestritten, die In-Game-Entscheidungen des 68-Jährigen wirken allerdings mehr und mehr aus der Zeit gefallen.

Seattle spielt mehr als zwei Drittel seiner defensiven Snaps in Base Personnel, also mit nur vier Defensive Backs auf dem Feld - nur vier andere Teams kommen überhaupt auf mehr als ein Drittel! Auch bei Fourth Downs bleibt Carroll nach wie vor erzkonservativ: Die Seahawks entschieden sich bei mehr als 80 Prozent der Fourth Downs, in denen das mathematische Modell der New York Times empfiehlt, das Down auszuspielen, dafür, zu punten. Nur zwei Teams agierten hier noch ängstlicher.

All das sind Teile der Erklärung dafür, dass Seattle so viele enge Spiele spielt - selbst wenn man das eigentlich bessere Team ist. Eine bei Reddit entstandene Grafik machte in der vergangenen Woche in den sozialen Medien die Runde. Sie zeigt: Wären alle Spiele, die durch acht oder weniger Punkte entschieden wurden, in der vergangenen Saison andersherum ausgegangen, wären die Seahawks das schlechteste Team der Liga.

Knappe Siege und Niederlagen sagen rein statistisch wenig über die Qualität eines Teams aus. Mannschaften, die viele knappe Spiele gewinnen, schneiden in der darauffolgenden Saison meist schlechter ab; bei Teams, die viele solcher Spiele verlieren, ist davon auszugehen, dass sie im nächsten Jahr mehr Siege einfahren werden. Haben die Seahawks also nur durch Glück elf Siege einfahren können? Haben sie es rein zufällig in die NFC-Playoffs geschafft?

Russell Wilson: "Wir haben alles, was zählt"

Es gibt natürlich auch eine andere Seite der Medaille. Die Seahawks mögen zwar mehr so genannte One-Score-Games gewonnen haben als jedes andere Team in der NFL, teilweise täuschte das Endergebnis dabei aber auch über den Charakter des Spiels hinweg.

Gegen die Falcons führte Seattle weniger als zwei Minuten vor dem Ende noch mit zehn Punkten Vorsprung, gegen die Eagles waren es weniger als eine Minute vor Schluss noch 14 Punkte und gegen die Panthers waren es fünf Minuten vor dem Ende noch 20 Punkte Vorsprung. Alle drei Spiele wurden letztendlich durch acht oder weniger Punkte Unterschied entschieden, wirklich in Gefahr schien ein Sieg Seattles dabei allerdings kaum.

Auch die angeblich so schwache Form der Seahawks in den letzten Saisonspielen wirkt etwas aufgebläht: Nach ihrer enttäuschenden ersten Halbzeit legten Wilson und Co. im zweiten Durchgang in Woche 17 schließlich 269 Yards und 21 Punkte gegen die 49ers-Defense auf. Letztlich trennten Seattle bekanntlich nur wenige Zentimeter von einem Sieg und der Krone der NFC West.

"Wir haben alles, was wir wollen, in unserer Kabine", zeigt sich Russell Wilson optimistisch. "Wir haben alles, was wir brauchen könnten. Wir haben alles, was zählt."

Seattle Seahawks: Philadelphia Eagles als gutes Matchup

Das Matchup mit den Philadelphia Eagles in der ersten Playoff-Runde dürfte den Stärken der Seahawks zudem durchaus entgegen kommen - wenn sie sie denn auch dementsprechend einsetzen. In der Single-High-Defense von Philadelphias Defensive Coordinator Jim Schwartz müssen die beiden Outside Cornerbacks viel in Eins-gegen-eins-Duellen bestehen. In dieser Spielzeit endete dies schon mehrfach in einer Katastrophe.

Kein Team ließ in diesem Jahr mehr Yards oder Touchdowns gegen Outside Receiver zu als Philadelphia. In puncto explosive Receptions waren nur drei Teams noch schlechter. Eine willkommene Gelegenheit für Wilson, den besten Deep Passer der laufenden Saison, und seine Deep Threats, zum Beispiel Rookie D.K. Metcalf (15,52 Yards pro Catch).

Aufgrund der eigenen Verletzungssorgen werden die Eagles offensiv zudem vermutlich viel auf ihr Running Game sowie ihre Tight Ends als Receiver im Passing Game setzen müssen. Nicht unbedingt das ausgemachte Erfolgsrezept gegen die Seahawks und ihre Three-Down-Linebacker.

Seattle Seahawks: Auswärts so gut wie noch nie

Dass die Seahawks dabei auswärts antreten müssen? Geschenkt. Bereits in Woche zwölf gewann das Team im Lincoln Financial Field in Philadelphia, es war nur einer von sieben Auswärtssiegen in der laufenden Saison. Nie zuvor in seiner Franchise-Geschichte gewann Seattle so viele Spiele in der Fremde, zudem wies kein Team in diesem Jahr eine bessere Auswärtsbilanz auf.

"Wir sind schon das ganze Jahr auswärts Krieger gewesen", so Carroll. "Unsere Jungs haben das gut gemacht. Uns macht das keine Sorgen, das steht fest." Der Resultate kommen dabei nicht aus dem Nichts: Die Seahawks sind in dieser Saison stets bereits zwei Tage vor dem Kickoff, also einen Tag früher als gewöhnlich, zu ihren Auswärtsspielen in anderen Zeitzonen aufgebrochen.

Der Erfolg kann sich sehen lassen: Seattle gewann seine fünf Spiele um 19 Uhr deutscher Zeit allesamt. Für Teams von der Westküste, die für gewöhnlich mehr als drei Stunden später spielen, ist dies alles andere als eine Selbstverständlichkeit.

Setzt man all diese Dinge zusammen, so kommt man zu dem Schluss, dass die Seahawks durchaus als Wundertüte bezeichnet werden können. Seattle ist selbst verantwortlich für viele der engen Siege, weil man zu konservativ coachte oder zu intensiv auf das Run Game setzte - ist das auch ein Thema gegen die Eagles, könnte man auch hier einen Gegner länger im Spiel halten als es womöglich nötig ist.

Seattle Seahawks: Das vierte Wildcard-Team im Super Bowl?

Gibt es so etwas wie ein gutes Jahr, um drei Auswärtsspiele in den Playoffs zu gewinnen? Und falls ja: könnte es für die Seahawks dieses Jahr sein? "Es muss es sein", meint Linebacker K.J. Wright. "Wir spielen auswärts. Wir müssen es drei Mal schaffen. Es wurde schon geschafft. Viele Teams habe es geschafft."

Viele Teams mag zwar übertrieben sein, doch tatsächlich gelang dieses Kunststück (seit die NFL 1990 das heutige Playoff-Format mit zwölf Teilnehmern einführte) bereits drei Mal zuvor. Durch drei Auswärtssiege in den Playoffs schafften es 2005 die Pittsburgh Steelers, 2007 die New York Giants und 2010 die Green Bay Packers in den Super Bowl.

Es besteht also durchaus Hoffnung für die Seahawks. Alle drei Teams krönten sich schließlich auch zum Champion.

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