NFL

Identitätskrise und Rücksichtslosigkeit

Die Minnesota Vikings wollen auch 2017 wieder mit ihrer Defense dominieren
© getty

Die Minnesota Vikings waren vor etwa einem Jahr ein ganz heißes Team - nicht wenige sahen in den Vikes um Mike Zimmer und seine starke Defense einen Playoff-Kandidaten. Es folgte die Verletzung von Teddy Bridgewater und eine desolate, durch Ausfälle dezimierte Offensive Line. 2017 reden weniger Experten über die Vikes, dabei ist es auch in diesem Jahr ein Team, das für Furore sorgen könnte. Auch wenn es einen markanten Wandel durchläuft.

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Würde man eine Umfrage unter Vikings-Fans zu ihrem persönlichen Adrian-Peterson-Highlight machen, man bekäme vermutlich verschiedenste Antworten. Da wäre jenes magische Spiel gegen die San Diego Chargers in Petersons Rookie-Saison, als er mit unglaublichen 296 Yards und drei Touchdowns in die Rekordbücher lief. Oder sein erbarmungsloser 64-Yard-Touchdown-Run durch die Browns-Defense 2009. Oder natürlich das Regular-Season-Finale 2012, als Peterson die 2000 Rushing-Yard-Schallmauer knackte und die Vikings in die Playoffs trug.

Für fast ein Jahrzehnt war Peterson der Mittelpunkt der Vikings-Offense und lange auch das Gesicht und das Herz des Teams. Über die vergangenen Jahre mag sich das im Zuge der Suspendierung ein wenig geändert haben - trotzdem wird sich Minnesota 2017 endgültig eine neue offensive Identität aufbauen müssen. Mehr Balance zwischen Run und Pass, ein Running-Back-Duo statt des Platzhirsches Peterson.

Dazu gehören allerdings auch andere Aspekte: Kann sich das Receiving-Corps weiter entwickeln? Kann Sam Bradford an seine gute Vorsaison anknüpfen? Und ist die Offensive Line zumindest durchschnittlich?

Die Vikings haben noch immer eine Defense, die zu den unumstritten besten Defenses der Liga gehören kann. In der vergangenen Saison hat das nicht gereicht, auch weil die Offense zu wenig Unterstützung lieferte. Trotzdem aber geht Minnesota auch in die Vorbereitung auf die 2017er Saison als eines der spannendsten Teams.

Minnesotas Probleme in der Offensive Line

Wer an die Vikings 2016 denkt, dem fällt unweigerlich eine Sache ein: Eine Offensive Line aus der Albtraum-Kategorie. Sam Bradford hatte zwar das zweitbeste Passer-Rating gegen Pressure (87,7), hatte aber auch mit am häufigsten Druck durch die Defense. Dass er trotzdem 20 Touchdowns, nur fünf Interceptions und einen NFL-Rekord mit 71,6 Prozent angekommenen Pässen aufstellte, spricht klar für den häufig vorschnell kritisierten Quarterback.

Immerhin wurde er zusätzlich zu der dezimierten, desolaten Line direkt vor dem Saisonbeginn im Zuge der Bridgewater-Verletzung verpflichtet. Gegenüber dem Star Tribune verriet Bradford jetzt: "Ich war noch nie in einer solchen Lage, ich denke, nicht viele Leute generell haben das schon erlebt. Die Situation in diesem Jahr ist deutlich besser: Ich bin in den Meetings und kann die Offense wirklich lernen und verstehen. Ich habe schon mit Pat Shurmur (der neue Offensive Coordinator, d. Red.) gearbeitet, das hilft mir sehr. Ich denke gegen Ende der vergangenen Saison hatte ich schon ein gutes Verständnis der Offense."

Vikings: Running Backs und Receiver in der Pflicht

Noch schlimmer aber war der Effekt der schwachen Line im Run Game: Nur die Running Backs der San Francisco 49ers (0,4) verzeichneten im Schnitt weniger Yards vor erstem Gegnerkontakt, als die der Vikes (0,7). Umso besser passt es, dass Dalvin Cook im College die mit Abstand meisten durchbrochenen Tackles (92) sowie die zweitmeisten Yards nach Gegnerkontakt pro Run (4,29) hatte. Cook bringt eine neue Explosivität auf der Running-Back-Position mit sich, wie sie Minnesota schon seit einer Weile nicht mehr hatte. Er erreicht seinen Top-Speed beeindruckend schnell, was ihn schon im College zu einem Homerun-Back gemacht hat.

Doch Minnesota wird in jedem Fall besseres Line-Play brauchen, um die Rückkehr in die Playoffs zu schaffen. Und dafür wurde in der Offseason investiert. Mit Riley Reiff und Mike Remmers wurden mal eben zwei neue Starting-Tackles geholt, die per se erst einmal niemanden vom Hocker hauen, im Vergleich zur Vorsaison aber klare Upgrades darstellen. Rookie Pat Elflein könnte zudem direkt als Center beginnen. Das sollte Offensive Coordinator Pat Shurmur dabei helfen, auch im Passing Game kreativer zu werden.

Und die Waffen dafür sind da: Cook sollte auch als Receiver eine Rolle spielen - eine weitere Änderung zu den Peterson-Tagen - und gleichzeitig hat sich Stefon Diggs in der Vorsaison als brandgefährlicher Slot-Receiver entpuppt: Über 62 Prozent seiner Routes lief er aus dem Slot. Unklarer ist allerdings die Rolle der größeren, physischen Receiver: Michael Floyd wurde für die ersten vier Spiele gesperrt, Vorjahres-Rookie Laquon Treadwell spielte 2016 ganze 79 Snaps - bei denen er stolze drei Targets (1 REC, 15 YDS) erhielt.

Minnesotas Defense: Noch mehr Aggressivität?

Ein zweiter Gedanke, neben der O-Line, sollte aber beim Thema "Vikings 2016" ebenfalls schnell kommen: Der rasante, beeindruckende Start der Defense. Minnesotas Defense war in den ersten Wochen der Vorsaison extrem dominant, die Front Seven spielte schnell, die Blitz-Pakete funktionierten und die Secondary erntete Turnover. Im Laufe der Saison aber wurden die Löcher größer, zwischenzeitlich wurde gar über eine Art Meuterei auf dem Platz berichtet - die Spieler sollen einen Play-Call von Head Coach Mike Zimmer ignoriert haben.

Umso überraschender war Zimmers jüngste Ankündigung mit Blick auf seine Defense: "Ich werde in diesem Jahr versuchen, noch etwas rücksichtsloser und aggressiver zu sein. Unsere Front spielt insgesamt sehr diszipliniert. Wenn ich diese Jungs noch etwas mehr entfessele, machen sie vielleicht noch mehr Plays." Unter anderem mehr Pre-Snap-Movement und mehr kleinere Post-Snap-Änderungen, um die Offense zu verwirren, sollen geplant sein.

Das Blitzing, ganz besonders der zentrale Double-A-Gap-Blitz, war schon in der vergangenen Saison eine große Stärke: Minnesota ließ 6,3 Yards pro Pass mit drei oder vier Pass-Rushern zu, waren es derer fünf fiel die Zahl auf 5,7 und mit sechs oder mehr auf 3,2. Mit dominanten Spielern wie Everson Griffen und Danielle Hunter, einer der effektivsten Pass-Rusher der Vorsaison, verfügt Zimmer über individuelle Qualität. Das Blitzing hilft dabei, diese Qualität noch besser herauszubringen.

Trotzdem schmerzt der Ausfall von Sharrif Floyd (Nervenschaden im Bein) in der Front. Hier sollte die Rotation greifen, etwa mit den Neuzugängen Datone Jones und Will Sutton. Wer Floyds Platz auch einnimmt: Der herausragende Nose Tackle Linval Joseph wird seinen Nebenleuten Eins-gegen-Eins-Duelle verschaffen, während er selbst auch im Zentrum Plays macht.

Die Vikings-Secondary: Rhodes und Newman glänzen

All das muss 2017 allerdings auch in der Red Zone wieder zu besseren Resultaten führen: Minnesota war in der vergangenen Saison das Liga-Schlusslicht innerhalb der eigenen 10-Yard-Line. Gegner schlugen aus 90,9 Prozent dieser Situationen Kapital, von den 32 zugelassenen Touchdowns kassierten die Vikings 21 von innerhalb der 10-Yard-Line.

Dabei sollte auch die Secondary eine große Hilfe sein, Minnesotas Defense nämlich ist auch vor der kommenden Saison wieder auf allen Ebenen mit Stars besetzt. Dazu gehört ganz eindeutig auch Xavier Rhodes: Der Cornerback, der den Start der vergangenen Spielzeit verpasst hatte, ist nicht nur einer der besten Cornerbacks gegen den Run - er ließ nur 0,94 Yards pro Coverage zu und ließ ein Passer-Rating von 47.0 bei Pässen in seine Richtung zu. Kein Cornerback war hier besser.

Ihm gegenüber wird Trae Waynes um Snaps kämpfen, der 38-jährige Terence Newman aber ist noch immer ein Phänomen: Newman ließ 2016 die wenigsten Yards pro Coverage Snap bei Third Down (0,37) und die wenigsten Yards pro Coverage Snap insgesamt (0,57) zu. 14,7 Coverage-Snaps spielte er pro zugelassener Reception, nur Richard Sherman (14,9) war hier besser.

Harrison Smith ist darüber hinaus einer der komplettesten Safeties in der NFL, offen ist die Frage nach dem Nickel-Cornerback. Hier verließ Captain Munnerlyn Minnesota, Mackensie Alexander scheint gute Karten auf den Posten zu haben. Alexander hatte in seiner Rookie-Saison noch einige Probleme, Zimmer aber schwärmte zuletzt von den Fortschritten des Cornerbacks.

Minnesotas Rendezvous mit Adrian Peterson

Es muss das Ziel dieses Vikings-Teams sein, in die Postseason zurückzukommen - der Kader ist dafür ohne Frage stark genug, auch wenn der Hype geringer ist als noch im Vorjahr. Mehr noch: Es ist Zeit für den ersten Playoff-Sieg seit dem Januar 2010, als Brett Favre die Cowboys zerlegte. Auch wenn Zimmer klarstellte: "Erwartungen? Ich kümmere mich nicht um Erwartungen von außerhalb. Ich denke, die Jungs wissen, was wir ihnen beibringen wollen. Wir sind aktuell in einer guten Situation."

Noch vor allen Playoff-Träumereien allerdings gibt es das Rendezvous mit der eigenen Vergangenheit: Gleich in Week 1 der Regular Season sind Adrian Peterson und die New Orleans Saints zu Gast in Minnesota. "Ich kann es nicht erwarten, gegen ihn zu spielen", stellte Linebacker Eric Kendricks beim NFL Network bereits klar. "Ich kenne den Schedule nicht und weiß nicht, gegen wen wir spielen. Aber ich weiß, dass wir gegen die Saints in Week 1 spielen. Und ich kann es kaum abwarten."

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