NBA

Von den Göttern verdammt

Von Jan Dafeld
DeAndre Jordan, Chris Paul und Luc Richard Mbah a Moute gehören nicht mehr zur Liga-Elite
© getty

Der kollektive Kollaps der Los Angeles Clippers im Spiel gegen die Sacramento Kings ist das neueste Kapitel in einer Serie von zahlreichen Rückschlagen für die Franchise. Trotz seiner drei Superstars hat das Team nach wie vor ein Imageproblem. Im Sommer droht sogar das Ende der Big Three.

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"Die Kings sehen einfach überhaupt nicht selbstbewusst aus. Sie wirken, als hätten sie keine Ahnung, was sie auf dem Court überhaupt machen sollen. Wenn ich mal ganz ehrlich sein soll."

Als Clippers-Kommentator Ralph Lawler 5 Minuten und 24 Sekunden vor dem Ende des Spiels "seines" Teams gegen Sacramento den Versuch eines uninspirierten Floaters von Skal Labissiere mit ansehen musste, konnte man den spöttischen Unterton in seiner Stimme nicht überhören. Die Heimmannschaft führte mehr als komfortabel mit 94:76, die Stars des Teams saßen bereits draußen und waren mit den Gedanken wahrscheinlich schon unter der Dusche oder auf dem Weg nach Hause. Am Sieg des großen Favoriten zweifelte keiner mehr.

Keine Viertelstunde später hatten die Clippers verloren.

Eins zu 6746

Geschlagene fünf Minuten und 16 Sekunden blieb das vermeintliche Top-Team ohne einen erfolgreichen Feldwurf. Die drei erzielten Punkte in diesem Zeitraum sind ebenso indiskutabel wie die 22 Zähler, die die Clippers zuließen.

359 Mal führten Teams in dieser Saison fünf Minuten vor dem Ende mit 18 oder mehr Punkten. Kein einziges Mal setzte es eine Niederlage. In der Ligageschichte hatte es zuvor in 6746 Fällen eine Pleite gegeben. Dann kamen die Clippers - und machten zwei draus.

"Es ist eine schlimme Niederlage", zeigte sich Chris Paul enttäuscht, der die letzte Chance auf den Game-Winner und damit auch die letzte Möglichkeit auf eine Eindämmung der Peinlichkeit, vergab: "Das ist wahrscheinlich die schlimmste Regular-Season-Niederlage meiner Karriere."

"Diese Spiele sollten uns so viel mehr bedeuten"

Auf dem Papier ist es nur eine von bisher 31 Niederlagen in 75 Spielen, trotzdem war den Spielern der Schock deutlich anzusehen. Nachdem Pauls letzter Versuch vom Ring zurück ins Feld sprang, fiel der Point Guard zu Boden und blieb dort regungslos liegen. Es dauerte mehrere Sekunden bis mit Blake Griffin ein Mitspieler auf die Idee kam, dass man ihm vielleicht aufhelfen sollte.

18 Punkte Vorsprung, weggeworfen in fünf Minuten. Gegen ein Team, das eigentlich auf jeder Position schlechter besetzt ist. Was ist passiert? "Ich weiß, was passiert ist. Wir haben unseren Fuß vom Gaspedal genommen", erklärte nach dem Spiel ein merklich frustrierter Griffin.

"Diese Spiele sollten uns so viel mehr bedeuten als ihnen", brachte der Forward das Dilemma auf den Punkt. "Nichts gegen sie, aber wir haben haben noch etwas, wofür wir spielen. Und heute sah es so aus, als wäre das Gegenteil der Fall."

Von einem Rookie bloßgestellt

Die Clippers haben nicht nur einen der größten Einbrüche der NBA-Geschichte erlebt - es ist die Art und Weise, wie sie es taten. Die Kings sind ein Team, das eigentlich eher um Ping-Pong-Bälle und nicht um Siege kämpft. Mit DeMarcus Cousins hat die Franchise ihren besten Spieler abgeben. Der Spieler, der in den Schlussminuten das Comeback erst möglich machte und die Superstars Griffin und Paul wie Amateure aussehen ließ, ist Buddy Hield. Ein Rookie, den die New Orleans Pelicans nach nur einem halben Jahr ohne großes Zögern gleich wieder verschifften.

Während die Stars der Clippers, die in ihrer Karriere eigentlich bereits alles erlebt haben, lethargisch wirkten, sich den Ball schon beim Einwurf klauen ließen und die Shotclock aus den Augen verloren, feuerten die Spieler auf der Kings-Bank ihre Mitspieler an, als würde im Staples Center nicht Spiel 75 einer verkorksten Regular Season laufen, sondern als würden hier und heute die NBA Finals entschieden werden.

"Sie können es nicht auf schlechte Calls schieben, sie können es auf gar nichts schieben", polterte der für gewöhnlich alles andere als kritische Clippers-Experte Michael Smith während der letzten Auszeit in sein Mikrofon: "Sie haben nicht genug gearbeitet. Sie haben nicht genug gekämpft. Und damit haben sie schon das ganze Jahr Probleme gehabt. Der Umstand, dass sie es nicht schaffen, Teams auf Abstand zu halten, holt sie hier und heute ein."

Erinnerungen an 2015

Nicht nur bei Clippers-Anhängern durften nach der Schlusssirene Erinnerungen an die Playoffs 2015 wachgeworden sein. In den Conference Semifinals erlebte Los Angeles damals einen Kollaps gegen den die drei Niederlagen der Golden State Warriors in den Finals wie eine kleine Unaufmerksamkeit wirken: Gegen die Houston Rockets gaben die Clippers nicht nur eine 3:1-Führung aus der Hand, sie verspielten obendrein einen 19-Punkte-Vorsprung in Spiel sechs.

Ein 12:39-Lauf damals. Ein 3:22-Lauf heute. Es sind nicht die einzigen Gemeinsamkeiten.

Bereits 2015 implodierten die Clippers ausgerechnet an einem Punkt, als sie sich eigentlich im Aufwind befanden. In einer hoch intensiven Playoff-Runde hatte man die San Antonio Spurs ausgeschaltet, es war der wahrscheinlich größte Erfolg in der Geschichte des Teams.

Diesmal kam die Niederlage einen Tag nach dem Sieg über den direkten Konkurrenten aus Utah. Mit einer überzeugenden Vorstellung hatte man mit den Jazz kurzen Prozess gemacht und sich dadurch in eine Position gebracht, die enttäuschende Regular Season doch noch retten und den Heimvorteil in Runde eins erkämpfen zu können. Einen Tag später ist dieser Erfolg ebenso verflogen, wie die positive Energie, die daraus hätte gezogen werden können.

"Wir wollen LeBron sehen!"

Die Clippers können sich von ihrem negativen Image einfach nicht lösen. Auf jeden Erfolg scheint ein Dämpfer zu folgen. Alle Siege, alle großen Namen auf dem Feld und an der Seitenlinie, sowie alle Besitzer- und Logo-Wechsel haben die Franchise nicht vom Bild des ewigen Losers lösen können.

Als im März die Cleveland Cavaliers im Staples Center gastierten, dabei jedoch ihre besten Spieler schonten, schrie ein Anhänger an der Seitenlinie DeAndre Jordan an: "Wir wollen LeBron sehen!" Der konnte es nicht fassen. Musste er, der All-Star und Olympiasieger, sich so etwas wirklich anhören? In seiner eigenen Arena? Bei einer klaren Führung?

Die Clippers sind weiterhin das Team, in dem viele Kalifornier die Chance sehen, ihre Lieblingsspieler mal günstig aus der Nähe sehen zu können - nur sind das eben oft nicht Chris Paul, Blake Griffin oder DeAndre Jordan.

Die Frage, ob die Clippers die Lakers als DAS Team in Los Angeles ablösen können, hat sich erst einmal erledigt. Da können die Lakers derzeit so viel verlieren, wie sie wollen. Denn von ihrem "kleinen Bruder" haben sie nichts zu befürchten.

Gut, aber mehr auch nicht

Dabei sind die Clippers auf die gesamte Saison gesehen eigentlich alles andere als eine Lachnummer. Der Start war vielversprechend, die Playoff-Teilnahme wurde bereits zehn Spiele vor Saisonende gesichert - zum sechsten Mal in Serie! Auch der Heimvorteil in Runde eins ist immer noch im Bereich des Möglichen. Der zweite vergebene Game-Winner innerhalb weniger Tage sorgte nicht etwa für eine Pleitenserie, sondern verhinderte sechs Siege in Folge.

Was dem Team fehlt, ist das Flair - trotz all der Star-Power, über das es zweifelsohne noch immer verfügt. Griffin hat an Athletik eingebüßt, "Lob City" ist Geschichte. Was bleibt, ist ein überdurchschnittlich gutes Team. Für mehr reicht es jedoch nicht. "Du kannst nicht einen Schritt, nach vorne, zwei zurück, zwei nach vorne und wieder einen zurück machen", monierte auch Griffin: "Du kannst überhaupt keine Schritte zurück machen. Erst recht nicht in unserer Situation."

Die Conference Finals scheinen aufgrund dieser Rückschritte auch in diesem Jahr unerreichbar zu sein. In der zweiten Runde warten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Warriors und angesichts der brutalen Serie von neun Niederlagen in Folge ist ein Erfolg in Oakland kaum vorstellbar.

Die Basketball-Götter als Gegenspieler

Mehr und mehr Augenpaare schielen daher bereits auf den Sommer. Mit Paul, Griffin und JJ Redick werden drei der vier besten und wichtigsten Spieler Free Agents. Dass diese verlängern, ist zwar, vor allem unter Berücksichtigung der neuen CBA-Regelungen, alles andere als ausgeschlossen, aber: Einfach so weitergehen kann es aber eigentlich auch nicht.

Sollte zum Ende dieser Saison nicht Verrücktes mehr passieren, brauchen die Clippers einen Neuanfang, oder zumindest eine Veränderung. Doc Rivers sitzt mittlerweile alles andere fest im Sattel. Sollten Paul und Griffin bleiben, erscheint auch ein Trade von Jordan im Bereich des Möglichen. Wer auch immer der neue Hoffnungsträger des Teams werden soll, sei es nun ein Spieler oder ein Coach - seine Aufgabe könnte schwerer kaum sein.

Wem er für den Sieg danke, wurde Willie Cauley-Stein nach seinem Game-Winner gegen die Clippers gefragt. "Den Basketball-Göttern", antwortete der jubelnde Youngster. Allzu abwegig erscheint das nicht. Denn in deren Gunst standen die Clippers noch nie weit oben.

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