NBA

Mehr als der moderne Oscar

Russell Westbrook wurde endgültig aus dem Käfig gelassen
© getty

Russell Westbrook schafft derzeit etwas, was seit dem legendären Oscar Robertson niemandem mehr gelungen ist: Er legt ein Triple-Double im Schnitt auf. Ein Blick auf die Advanced Stats verrät jedoch: In gewisser Weise hat Russ "The Big O" längst überflügelt.

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Die Saison 1961/62 war eine in vielerlei Hinsicht auffällige für die NBA. Wilt Chamberlain legte mit 50,4 Punkten den höchsten Schnitt der Geschichte auf, garniert mit geschmeidigen 25,6 Rebounds. MVP wurde er trotzdem nicht - diese Ehre wurde Bill Russell zuteil, der dafür aus irgendeinem Grund nicht im All-NBA First Team auftauchte. Wie gesagt, ein auffälliges Jahr.

In der 13. Saison ihrer Existenz sah die NBA außerdem das erste Mal einen Spieler ein Triple-Double im Schnitt auflegen - 30,8 Punkte, 12,5 Rebounds und 11,4 Assists waren es für Oscar Robertson. Für The Big O war das keine riesige Sensation: Über seine ersten fünf(!) Saisons legte der Guard der Cincinnati Royals diese Zahlen schließlich im Durchschnitt auf. Seither hat dieses Kunststück allerdings niemand mehr erreicht.

Als die NBA ihre Kinderschuhe nach und nach ablegte, wurde Robertsons TD-Saison mehr und mehr zum Mythos - ein Modell für Vielseitigkeit, das ultimative Zeugnis eines kompletten Spielers. Wenn Magic Johnson 1981/82 noch ein paar mehr Rebounds und Assists erreicht hätte (18,6 Punkte, 9,6 Rebounds, 9,5 Assists), wäre er dafür sicherlich schon deutlich mehr gewürdigt worden als Oscar - schließlich hatte man nun deutlich mehr Vergleichswerte. Doch Robertson blieb ein Unikat.

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Bis jetzt zumindest. Jahrelang wurde gemunkelt, dass LeBron James ein Triple-Double auflegen könnte, wenn er es "wirklich wollte" - doch es ist ein anderer, der dies tatsächlich in die Tat umsetzt. Während James Harden mit 28,7 PPG, 11,7 APG und 8,3 RPG nicht allzu weit entfernt ist, legt Russell Westbrook derzeit "runde" 30,7 PPG, 10,5 RPG und 10,3 APG auf.

Höhere Pace, mehr Minuten

Sollte er dies über die Saison halten, würde er also in Robertsons "Fußstapfen" treten, heißt es. Das mag einerseits stimmen, wenn man es oberflächlich betrachtet - aber erzählt andererseits nur die halbe Wahrheit. Denn ob Westbrook nun am Ende drei zweistellige Zahlen vorweisen kann oder nicht: Seine Saison ist schon jetzt beeindruckender als die legendäre Robertson-Spielzeit.

Woran das liegt? Zum einen steht Westbrook heuer deutlich kürzer auf dem Court (34,6 Minuten) als Robertson 61/62 (44,3) - das sind fast zehn Minuten. Ein noch wesentlich größerer Unterschied ist jedoch der gängige Stil der Liga: 61/62 wurden pro Spiel im Schnitt 107,7 Würfe abgefeuert und 71,4 Rebounds eingesammelt, die Pace war eine ganz andere - das erklärt auch die absurden Zahlen Chamberlains. Naja, zumindest ein bisschen.

In Westbrooks NBA sind es 85,3 Würfe und nur 43,6 Rebounds. Sein Anteil an den verfügbaren Punkten, Assists und Rebounds ist also ungleich höher als der von Oscar und wird in deutlich kürzerer Zeit erreicht. Stats-Experte Tom Haberstroh von ESPN machte sich kürzlich die Mühe, Russ' Zahlen an Pace und Spielzeit von Robertson 61/62 anzugleichen - und kam dabei auf Durchschnittswerte von grob 50 Punkten, 17 Assists und 17 Rebounds. Soviel dazu...

Aus dem Käfig gelassen

Russ ist mehr als der "moderne" Oscar - er ist vielmehr eine Naturgewalt, die man auf der Point-Guard-Position so noch nie gesehen hat. Und er wurde nach dem Abgang von Kevin Durant endgültig aus dem Käfig gelassen. Die Thunder gehen so weit, wie Westbrook sie tragen kann - und keinen Schritt weiter.

Selten war ein Team so stark auf einen Spieler ausgerichtet - man könnte sogar argumentieren, dass es noch nie der Fall war. Der Rekord für die Usage-Rate, die bestimmt, wie viele Plays eines Teams ein Spieler nutzt, solange er auf dem Court steht, liegt bei 38,74 Prozent und wurde 2005/06 von Kobe Bryant aufgestellt. Russ liegt derzeit bei 41,1 Prozent. Den zweithöchsten Wert der Geschichte nennt er bereits sein Eigen (14/15: 38,4).

Und das ist noch nicht alles: Mit Westbrook auf dem Court erzielen die Thunder auf 100 Ballbesitze gerechnet 5,3 Punkte mehr als der Gegner, was ligaweit für Rang 7 reichen würde, besser als beispielsweise die Cavaliers (+3,8). Ohne Russ verlieren die Thunder mit -11,1 Punkten, was deutlich schlechter wäre als NBA-Schlusslicht Brooklyn (-8,5). Zwischen Top-Team und Bodensatz kann manchmal nur ein Spieler liegen, wenn sein Name Westbrook ist.

Kein Co-Star in Sicht

Es ist diese Abhängigkeit, die Russell - gepaart mit dem historischen Triple-Double-Schnitt - zu einem legitimen MVP-Kandidaten macht, selbst wenn Harden mit seiner 32-12-Bilanz (OKC: 25-18) derzeit wohl als Topfavorit gelten dürfte. Es lässt sich trotzdem problemlos dafür argumentieren, dass Westbrook in dieser Saison der wertvollste Spieler der Liga ist. Fraglich ist wiederum, wie gesund die sportliche Total-Eskalation langfristig ist - sowohl für Russ als auch für sein Team.

Westbrook ist nach allen Ereignissen des Sommers verständlicherweise auf einer Mission. Er hat schon immer mit mehr Einsatz gespielt als nahezu jeder andere, wobei er sich defensiv seit Jahren (zu) viele Pausen nimmt. Nun hat er jedoch erstmals in seiner Karriere keinen Spieler mehr an seiner Seite, der seine Alleingänge irgendwie ausbalanciert.

Victor Oladipo wurde als eine Art Co-Star geholt, tatsächlich hat Westbrooks Backcourt-Partner in OKC aber die niedrigste Usage-Rate seiner Karriere und hat sich in mehreren Kategorien zurückentwickelt. Steven Adams und Enes Kanter spielen jeweils sehr gute Saisons, das liegt allerdings auch daran, dass sie als Big Men vor allem von Offensiv-Rebounds und Durchsteckern Westbrooks leben. Adams verwandelt nach Vorlage von Westbrook gar 65 Prozent seiner Würfe.

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