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"Jetzt holt euch die 73!"

Die komplette Saison 2015/16 stand im Zeichen des Stephen Curry
© getty

Die Golden State Warriors sind beinahe am Ziel - mit einem Sieg über die Memphis Grizzlies (Do., 4.30 Uhr im LIVESTREAM FOR FREE) könnten sie sich die beste Bilanz der Liga-Geschichte sichern. Zweifler gibt es trotzdem immer noch, aber daraus ziehen Stephen Curry und Co. ohnehin Motivation.

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Es ist eine interessante Spielerei, sich die nun fast abgelaufene Saison ohne die Warriors vorzustellen. Es gäbe ein mehr als spannendes MVP-Rennen, mit mehr als qualifizierten Kandidaten. Es gäbe einen Top-Favoriten (San Antonio) und weitere Teams, denen man trotz einiger Schwächen einen Championship-Run zutrauen könnte.

Es gäbe auch ausreichend andere Storylines. Die letzte Saison von Kobe Bryant, einer der größten Legenden dieses Sports. Der zweite Akt von LeBron James in Cleveland, voller Melodrama, Chaos und passiv-aggressiver Tweets. Das gescheiterte Labor-Experiment in Philadelphia. Die kommende Free Agency von Kevin Durant.

Es bleibt jedoch bei der Spielerei - in der Realität drücken die Warriors alles andere in den Hintergrund. Wir schreiben das "Year of Steph", es ist also nur passend, dass das Ende der Regular Season ganz im Zeichen der Dubs steht.

ESPN hat sich festgelegt. In der Nacht zum Donnerstag wird das Warriors-Spiel gegen die Grizzlies gezeigt, das parallel laufende letzte Spiel von Bryant wird auf ESPN2 abgeschoben. Sorry, Kobe, danke für 20 tolle Jahre. Es interessiert nur einfach mehr Leute, ob sich die Dubs zum besten Regular-Season-Team der Geschichte aufschwingen können.

"Brecht den verdammten Rekord"

Kobe selbst wird das verstehen. Der Mann interessiert sich vielleicht mehr als jeder andere für die Geschichte des Sports und versteht, welch außergewöhnliche Chance sich den Dubs bietet. Bereits bei seinem letzten Duell mit Golden State sagte er: "Wenn man schon die Chance hat, muss man alles dafür tun, den verdammten Rekord zu brechen."

Am späten Sonntag wurde Bryant gefragt, ob ihn die ESPN-Planung stören würde: "Warum zur Hölle sollte mich das interessieren? Denkt ihr, das verletzt meine Gefühle? Ich hoffe selbst, dass sie den Rekord brechen. Ich würde dafür keine Sekunde pausieren und alles daran setzen."

Kobe ist nicht der einzige, der so denkt. Selbst aus dem Lager der '96er Bulls, die vor Golden State als einziges Team 72 Siege holen konnten, kommen mittlerweile ähnliche Rufe. "Die Reise zu 72 Siegen ist bereits ein beeindruckender Erfolg. Jetzt holt euch die 73", twitterte beispielsweise Phil Jackson, und Draymond Green zufolge hat Michael Jordan ihm höchstpersönlich gesagt, er solle mit seinem Team den Rekord brechen.

Dem GOAT soll man bekanntlich nicht widersprechen, wenn es nicht gerade um Draft-Picks geht. Es ist aber nicht so, dass die Dubs diese Extra-Motivation noch gebraucht hätten. Das ist ja einer der besonderen Aspekte an dieser unglaublichen Saison: Trotz der Bilanz der letzten Jahre, trotz der Meisterschaft im Vorjahr sind die Warriors immer noch ein Team, das etwas zu beweisen hat.

Ein Präsentkorb für Doc

Es wäre nicht überraschend, wenn Steve Kerr im Sommer einen Präsentkorb an Doc Rivers schicken würde. Rivers war nicht der einzige, aber vielleicht der prominenteste "Zweifler", der nach der letzten Saison und dem Titel vom "Glück" der Warriors sprach, die in der Postseason weder gegen San Antonio, noch gegen die Clippers antreten mussten - und die im Gegensatz zu vielen anderen keine größeren Verletzungen zu beklagen hatten.

Mehrere Spieler der Warriors haben seither zugegeben, dass sie das Gerede vom Glück umso mehr motiviert hat, und die Resultate sprechen Bände. Das Team hat im Kollektiv einen riesigen Schritt nach vorne gemacht, die 73 Siege wären, sollte gegen Memphis gewonnen werden, bei weitem nicht der einzige Rekord.

Es ist schwer möglich, alle beeindruckenden Zahlen herauszusuchen. Zwei Statistiken sollen hier jedoch erwähnt werden: Zum einen weist Golden State auswärts eine 34-7-Bilanz auf - das ist besser als die HEIMBILANZ aller anderen Teams außer San Antonio. Zum anderen haben sie in 13 Spielen gegen die Top-5-Teams der Liga genau ein einziges verloren. Es ist ein altes Klischee, aber: Dieses Team wächst mit seinen Aufgaben.

Bill Russell hat immer Recht

Insofern ist es verwunderlich, wie viele Zweifler, Hater und dergleichen sich auch jetzt noch noch finden. Golden State war nur noch wenige Siege von der Bulls-Marke 72 entfernt, da verkündete Scottie Pippen, seine Bulls hätten dieses Team locker gesweept. Charles Barkley äußerte ähnliches, von den absurden Aussagen der Kollegen Stephen Jackson oder Cedric Ceballos ganz zu schweigen. Das sind nur wenige von vielen Beispielen.

Die Diskussion, wer denn nun gewinnen würde und ob die beste Bilanz überhaupt gleichbedeutend mit dem Status "bestes Team ever" sein kann, ist so oder so müßig. Bill Russell sagte es einst perfekt: "Es ist leider unmöglich, gegen Geister zu spielen." Ohne damit die Legenden der Vergangenheit kleinreden zu müssen, kann man es aber schlichtweg anerkennen, dass die Saison der Dubs - 73 Siege oder nicht - für sich einfach verdammt beeindruckend ist. Einmalig sogar.

Pippen schaffte dies beim zweiten Versuch besser als mit der "Sweep"-Aussage. "Ehre wem Ehre gebührt. Gratulation an Steve Kerr und seine Warriors zu Sieg Nummer 72. Sie haben es sich heute verdient", twitterte die Bulls-Legende nach dem Sieg über San Antonio, und fügte hinzu: "Steph hat heute gezeigt, warum er der MVP ist. Er ist der kaltblütigste Shooter, den ich je gesehen habe, und sein Basketball-IQ ist überragend."

Form der Anerkennung

Die ständigen historischen Vergleiche sind andererseits natürlich auch eine Form der Anerkennung. Denn wenn man die Spurs ausklammert, finden sich aktuell einfach keine Teams, denen man es wirklich zutrauen würde, Golden State in einer Best-of-Seven-Serie zu schlagen. Im Kopf vieler ist der Repeat eigentlich längst sicher, sodass die Frage, ob der Rekord purzeln könne, fast schon zur interessanteren Frage wurde.

Sehr zur Sorge von Kerr übrigens, der kürzlich äußerte, das Gerede von der Rekordjagd habe sein Team "ein bisschen vom Weg abgebracht." Dem Coach war es zuletzt anzumerken, dass ihm der ganze Aufruhr nur bedingt recht war - seine Idealvorstellung wären vielleicht ein paar weniger Siege und dafür etwas mehr Konzentration auf die Playoffs gewesen. "Rekorde werden gebrochen, Meisterschaften dagegen halten für alle Ewigkeiten", so sein Mantra.

Der (seit Sonntag) doppelte Rekordhalter war allerdings klug genug, seinen Spielern keinen Riegel vorzuschieben. Er hätte sicherlich gerne ein paar Ruhepausen für Green, Curry oder Klay Thompson eingestreut, wusste aber auch, dass diese ihm das vermutlich übel genommen hätten. Die Harmonie ist jedoch eine der größten Stärken des Meisters.

Rekord ohne Titel: Wertlos...

So ergibt sich abermals eine interessante Konstellation für die Playoffs. Die Warriors mussten definitiv mehr Energie investieren als in einer "gewöhnlichen" Regular Season - wer weiß, ob sich das noch negativ auswirken wird. Dass der Rekord ohne den Titel wertlos wäre, ist allen Beteiligten klar.

Doch das spielt erst ab Donnerstag wieder eine Rolle. Vorher geht es darum, gegen die von Verletzungen völlig dahingerafften Grizzlies Geschichte zu schreiben. "Holt euch den verdammten Rekord!"

Und dann kann die richtige Saison endlich beginnen.

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