NBA

Kyrie Irving: Der Dickkopf will arbeiten

Kyrie Irving will mit LeBron James endlich in die Finals
© getty

Nach Monaten in der Reha ist Kyrie Irving für die Cleveland Cavaliers endlich wieder im Einsatz. Besonders LeBron James freut sich über den Rückkehrer und hat Großes mit dem Point Guard vor. Die Euphorie um den Spielmacher kennt scheinbar keine Grenzen und dieser sprüht vor dem Duell mit den Golden State Warriors (2 Uhr im LIVESTREAM for FREE) vor Tatendrang.

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Noch 16 Sekunden auf der Uhr zwischen Dallas und den Cavaliers. Beim Stand von 106:105 für die Gäste aus Cleveland steht LeBron James zunächst an der Dreierline und dreht sich mit einem Spin Richtung Zone. Gegenspieler Deron Williams verliert ob der wuchtigen Bewegung von James das Gleichgewicht und will das Offensiv-Foul ziehen - ein Pfiff bleibt aus. James scheint aus der Halbdistanz zu zögern und findet plötzlich einen völlig offenen Kyrie Iriving hinter der Dreierline.

Uncle Drew lässt sich nicht zweimal bitten: eine fließende Bewegung, ein schneller Release, die Shotclock läutet - der Longball sitzt! Ohne große Aufregung dreht sich Irving um, schreitet mit ernster Miene Richtung Bank und sucht mit seinen Augen die Zuschauerränge ab. Was er wohl sucht? Zweifler, Kritiker?

"Viel Talent in Anzügen"

"Ich war die ganze Zeit über bereit! Wenn du mit so einem talentierten Spieler [wie LeBron James] zusammenspielst, dann erwartest du auch den Ball in solchen Situationen. Denn er weiß, dass es zu einem guten Wurf meist einen noch besseren gibt. Der Dreier war recht weit, aber ich habe das Selbstvertrauen, die Unterstützung meiner Kollegen - ich liebe diese Momente", sprudelte es aus Irving nach der Partie heraus.

Lange mussten die Cavaliers auf diese Momente, auf ihren Point Guard warten. Irving laborierte bis Mitte Dezember an seiner Knie-Verletzung. Diese brachte ihn nicht nur um die letztjährigen Finals, sondern sein Team auch um eine reelle Titelchance. So sah das zumindest Kollege James auf der letzten Pressekonferenz vor der Sommerpause: "Wir haben alles versucht , aber wenn so viel Talent in Anzügen auf der Bank sitzen muss...", das Ende des Satzes blieb James im Hals stecken.

Synergie-Effekt erwünscht

Auch für Irving war es ein frustrierender Saisonausklang, der durch weitere Negativstimmen befeuert wurde. Seit dem Beginn der zweiten Ära James sieht sich der Guard Kommentaren ausgesetzt, wonach sein Spielstil eine Zusammenarbeit mit anderen großen Namen unmögliche mache: "Das sind für mich die dümmsten Kommentare, die ich mir als Basketballer jemals anhören musste", erklärte Irving gegenüber NBA-Guru Adrian Wojnarowski.

Zumal teamintern ganz anders kommuniziert wird. Die Cavaliers bauen ganz bewusst auf den Synergie-Effekt zwischen James und Irving - das stellte James auch vor seiner Ankunft in Cleveland heraus. Er wollte Irving an seiner Seite wissen. Seitdem sind die Zwei auf Reisen unzertrennlich. Ähnlich wie bei den Heat mit Dwyane Wade weiß James um die Wichtigkeit eines zweiten Stars an seiner Seite: "Es hat noch nie ein Team gegeben, dass nur mit einem Allstar die Finals erreicht hat."

"Wir müssen uns vertrauen"

Deshalb will James 'seinen' Irving in Topform so schnell wie möglich zurück haben und deshalb spult das Duo gemeinsam mächtig Überstunden ab. Auf Auswärtsfahrten kann das für die restliche Cavs-Truppe recht anstrengend sein. Wenn die übrigen Spieler meist schon mit dem Duschen durch sind, fliegen bei James und Irving immer noch die Bälle durch die Halle.

"Ich verlasse den Court nicht ohne ihn", ließ LBJ vor wenigen Wochen verlauten: "Wenn er der letzte ist, der noch wirft, werde ich sicher nicht gehen. Das weiß er auch." Der Grund für diese Extra-Schichten ist simpel: "Am Ende des Spiels wird der Ball in unseren Händen sein, wir müssen uns vertrauen können, das Team muss uns vertrauen können."

"Manchmal ein kleiner Dickkopf"

Speziell James sieht sich in der Verantwortung, seinen kongenialen Partner noch besser zu machen. Er will Iriving das Gefühl nehmen, ständig alles alleine machen zu müssen. Das musste James lernen, als er nach Miami ging und das muss der junge Point Guard nun lernen, nachdem er als No.1-Pick über drei Jahre den Alleinunterhalter in Ohio gespielt hat.

So stand er zuvor in der Pflicht, dass die Franchise in der Liga 'überlebt' - dafür brauchte es jeden seiner Würfe, jeden seiner Drives.

"Er soll verstehen, dass er für sein Team als Playmaker noch viel bedeutsamer sein kann", beschreibt James seine Intention: "Er begreift langsam, wie wichtig es ist, seine Mitspieler ins Spiel einzubinden - er ist ein guter Schüler, auch wenn er manchmal ein kleiner Dickkopf ist. Das ist aber in dem Alter völlig normal."

Was wäre wenn...

Auch wenn Irving kaum mehr als zehn Spiele in dieser Saison absolviert hat, überlässt ihm James inzwischen allzu gerne den Ballvortrag: "Es ist ein Prozess und umso mehr ich sehe, wie die Stats meiner Mitspieler nach oben gehen, sobald ich auf dem Feld bin, desto früher fängt man an, die neue Aufgabe anzunehmen und zu verinnerlichen", freut sich der 23-Jährige über die Entwicklung seines Spiels.

Gegen die Golden State Warriors will er sicher auch zeigen, was mit ihm alles möglich gewesen wäre. Was Steph Curry hätte leisten müssen, wenn er nicht nur von einem kratzbürstigen Matthew Dellavedova verteidigt worden wäre, sondern auch defensiv von einem wirbelnden Kyrie Irving gefordert worden wäre.

Suchen nach dem Rhythmus

Beim ersten Aufeinandertreffen in der neuen Saison waren Irvings Minuten noch limitert. Der Rückkehrer sah an Weihnachten ein Cavs-Team, das auf keinen Fall chancenlos gegen den aktuellen Liga-Primus war. Vielmehr erlebte Cleveland einen furchtbaren Wurfabend, der aber mit einem rollenden Irving vermutlich einen anderen Verlauf genommen hätte.

"Wir wollen keine Ausreden zählen lassen, aber wir bauen erst jetzt alle Puzzlestücke zusammen. Wir suchen noch nach unserem Rhythmus. Wir warten noch auf den finalen 'Click'", erklärte Irving jüngst den Gemütszustand in der Cavs-Kabine.

Es gibt keinen Druck

Der Spielmacher wartet vor allem auf seinen Distanzwurf: 17 Punkte und fast 4 Assists sind ein ordentlicher Start, doch nur 26,8 Prozent aus der Ferne bei fast 5 Versuchen pro Spiel zeigen deutlich, dass es noch ein bisschen dauern wird, bis Irving wieder völlig im Saft steht. Aber Schwächephasen des 23-Jährigen sind ohnehin noch einkalkuliert und werden bisher durch das solide Duo Mo Williams/Matthew Dellavedova aufgefangen: "Er hat intern keinen Druck", erklärte Coach David Blatt vor wenigen Tagen.

Nur die Fans und die fordernde Journalie werden mit zunehmender Spielpraxis neue Wunderdinge vom schnellen Wirbelwind erwarten. Dazu kommen Auftritt wie gegen Washington (32 Punkte) oder der entscheidende Wurf gegen Dallas - romantische Verheißungen, die verbunden mit der Sehnsucht nach einem Titel in Cleveland schnell wie Blei auf den Schultern liegen können.

Außerdem muss Irving jeden seiner Kollegen bei den Cavs bei Laune halten. Nicht nur LeBron James wird sich von dessen Playmaking einiges versprechen - auch Kevin Love, J.R. Smith, Tristan Thompson und Iman Shumpert wollen beachtet und eingesetzt werden.

Der Kreis soll sich schließen

An moralischer Unterstützung unter den Mitspielern mangelt es dem Rekonvaleszenten jedoch nicht: "Am Ende ist es völlig egal, wie viele Spiele er spielt. Kyrie ist ein Allstar, zusammen mit Curry der beste Point Guard der Liga", schwärmt James und Kollege Smith ergänzt: "Es ist völlig verrückt, absolut verrückt. Er ist wohl der beste 1-on-1-Spieler der Liga und seine Zahlen sind auch schon wieder überragend, wenn man bedenkt, dass er 10 Monate weg war."

Die Euphorie um Irving ist in Ohio auch deshalb so groß, da die Cavs mit ihm derzeit bei einer Bilanz von 10-2 stehen. Darunter der unglückliche Abend bei den Warriors und die jüngste Niederlage in San Antonio, wobei sich das Team zu diesem Zeitpunkt bereits durch einen 4-0-Roadtrip quälte.

Nach sechs Spielen sind die Cavaliers nun endlich wieder Zuhause und für Irving könnte sich gegen die Warriors nach Monaten der Frustration der Kreis endgültig schließen: "Ich würde lügen, wenn ich sage, dass es für mich ein ganz normales Spiel ist. Doch grundsätzlich wartet weiterhin viel Arbeit auf mich - und ich will arbeiten!"

Kyrie Irving im Steckbrief