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Der Schönspieler ist endlich erwachsen

Von David Digili
Gerald Green wurde 2005 an 18. Stelle von den Boston Celtics gedraftet
© getty

Tomahawks und Windmills ließen Gerald Green in einer Karriere-Sackgasse landen. Der heute 28-Jährige musste sich nach Stationen in Russland und China zurück in die NBA kämpfen. Bei den Phoenix Suns erhielt er zu Saisonbeginn die Chance seines Lebens - und bedankt sich nicht nur mit Highlight-Plays, sondern auch mit neuer Professionalität.

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Das US Airways Center in Phoenix entfaltet seine Schönheit erst am frühen Abend. Dann taucht die untergehende Sonne von Arizona den aus der Luft betrachtet eher schmucklosen Bau in ein malerisches Licht, und die dann illuminierte markante Glasfront verleiht jedem Event in der Halle einen würdigen Rahmen.

Hier hatte Frank Sinatra 1993 einen seiner letzten Auftritte, hier wurde "Piano Man" Billy Joel zur "USAC-Legende" ernannt. Die für nur 90 Millionen US-Dollar erbaute Halle erlebte die NBA Finals 1993 mit dem besten Basketballer der Geschichte auf dem Höhepunkt seines Schaffens, dann das All-Star Game 1995. Vor einigen Jahren begeisterte hier der Tempo-Basketball der Suns mit den verletzungsfreien Steve Nash und Amar'e Stoudemire das Publikum.

In dieser NBA-Saison 2013/14 aber sorgte bisher ein Name in diesem US Airways Center für "Oohs" und "Aahs", den nur treue Fans oder Experten mit hellseherischen Fähigkeiten noch auf der Rechnung hatten.

"Gerald übertraf alles"

"Der Junge lässt den schwierigsten Dunk wie ein Kinderspiel aussehen", schwärmt Kenny Smith fast Woche für Woche. "The Jet" hatte in der aktuellen Spielzeit bisher viele Gründe, in gepflegte Ekstase auszubrechen - denn Gerald Green spielt die Saison seines Lebens. 15,5 Punkte, 3,4 Rebounds und 1,6 Assists pro Spiel, dazu seine spektakulären Windmills und Tomahawks:

Der 28-Jährige ist eine der positiven Überraschungen dieser Spielzeit - die gesteigerte Einsatzzeit als Ersatz für den lange verletzten Eric Bledsoe zahlte sich aus in Arizona. "Es ist einfach fantastisch, wie Gerald an seinem Spiel gearbeitet hat. Er hilft uns in jeder Partie so viel weiter", schwärmt Suns-Coach Jeff Hornacek.

Anfang März lief Green dann zu noch größerer Form auf: 29 / 5,5 / 2,3 hieß es in den ersten vier Spielen des Monats, darunter seine 41-Punkte-Gala zum neuen Career-High beim 128:122-Sieg gegen die Oklahoma City Thunder. "Nicht viele Spieler können so heiß laufen", war Hornacek danach sprachlos ob der Glanzleistung.

"Wir wussten, dass er ein guter Schütze sein kann, aber das übertraf alles." Mehr noch: Aktuell 173 getroffene Dreier bedeuten ligaweit Platz fünf, die alte Bestmarke des Highflyers lag bei 95 Treffern.

Trotzdem sind es noch immer atemberaubende Dunks, die Green seit Beginn seiner Profikarriere in die Schlagzeilen bringen und seine anderen Qualitäten in den Schatten stellen. Lange haftete ihm der Ruf "eindimensionaler Schönspieler" an.

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"Ach, ich sehe das gar nicht so groß", betont Green selbst nun immer wieder. "Meine Dunks sollen einfach nur die Fans mitreißen und begeistern. Ich habe doch noch gar nichts geleistet. Unser Trainer leitet uns einfach wunderbar an und gibt den Weg vor." Was für Fan- und Reporterohren unspektakulär bis langweilig klingt, beweist vielmehr: Gerald Green weiß, woran er ist - er musste lange genug dafür kämpfen.

Dunks kamen vor Entwicklung

Schon 2005 begann eine lange Odyssee. Die Boston Celtics drafteten ihn direkt aus der High School als 18. Pick - doch statt Spielzeit im TD Garden ging es für den damals 19-Jährigen erst einmal in die D-League zu den Fayetteville Patriots, danach zu den Florida Flame.

Erst Ende Februar 2006 schaffte es Green fest ins Celtics-Roster - und machte in seiner spärlichen Spielzeit auf ringerschütternde Art und Weise auf sich aufmerksam: Die Celtics hatten plötzlich einen regelmäßigen Gast in den Highlight-Clips der Liga.

2006/07 steigerte er sich auf 10,4 Punkte, 2,6 Rebounds und 1,0 Assists pro Partie, dazu schrieb er sich in die Geschichtsbücher als Sieger des Dunk Contests beim All-Star Weekend. Green überzeugte die hochkarätigste Jury in der Geschichte des Wettbewerbs um Michael Jordan, Dominique Wilkins und Julius Erving mit Highlights wie einem No-Look-Dunk über Nate Robinson oder einem Windmill-Slam über einen Tisch - doch was noch heute auf Youtube die Klickzahlen nach oben schnellen lässt, war damals vielleicht sogar ein Entwicklungshemmnis.

"Er war damals noch so jung", versucht Clippers-Coach Doc Rivers, der Green in Boston trainiert hatte, heute eine Erklärung zu finden. "Ich weiß nicht, wie gesund es ist, in diesem Alter den Dunk-Contest zu gewinnen. Vielleicht hätte ich ihm die Teilnahme nie erlauben sollen. Auf einmal sind wir im Training, feilen an seiner Fußarbeit, und er sagt 'Morgen habe ich einen Termin zu Werbespot-Dreharbeiten'. Er musste erst erwachsen werden."

Sackgasse in China

Im darauffolgenden Sommer verfrachtete das Celtics-Management den Youngster im Zuge des Kevin-Garnett-Trades zu den Minnesota Timberwolves. Doch in Minneapolis fiel er einzig durch seinen "Cupcake"-Dunk beim All-Star Weekend 2008 auf. Im Februar tradeten ihn die Wolves in seine Heimatstadt nach Houston, die wiederum den Vertrag mit dem Ungeliebten nach nur einer Partie auflösten.

Auch bei den Dallas Mavericks konnte sich Green nicht für höhere Weihen empfehlen, obwohl er erstmals Zeichen von Professionalität zeigte, die Summer League zur Vorbereitung nutzte und Extra-Trainingseinheiten einlegte. Nach einer Saison mit 38 Spielen und 5,2 Zählern knapp 10 Minuten Einsatzzeit boten ihm die Mavs keinen neuen Kontrakt.

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Also ging es raus in die große, weite Welt: Krasnodar, Samara, Foshan. Die Top-Adressen im Basketball sind diese Städte wahrlich nicht. Mancher mag sagen: Wer bei Klubs wie Lokomotive Kuban Krasnodar und Krasnye Krylja Samara in Russland oder den chinesischen Foshan Dralions landet, der ist in einer Karriere-Sackgasse. Drei Stationen in zwei Jahren. In Foshan entließ ihn das Front Office vorzeitig aus dem Vertrag, aus "professionellen Gründen", wie es die Pressemitteilung blumig umschrieb. Ein Rückfall.

"Sein großer Vorteil war, dass er immer noch erst Anfang 20 war, als er nach Europa und China ging", analysiert Rivers. "So konnte er sich entwickeln, wie es andere am College getan hätten." Green lernte seine Lektionen. "Heute weiß ich zu schätzen, wie hart Coach Rivers zu mir war", erklärt er.

"Früher habe ich viele Dinge als selbstverständlich angesehen, empfand Basketball mehr als Hobby denn als Beruf. Als Kind hatte ich nichts, und plötzlich war Geld kein Problem mehr. Damit konnte ich nicht umgehen. Nach der Erfahrung in China aber habe ich begriffen: So kann es nicht weitergehen. Ich musste etwas ändern. Wenn die richtige Einstellung fehlt, hilft auch das beste Umfeld nichts. Diese Einsicht hat mir gerade zu Beginn gefehlt."

D-League als Sprungbrett

Die Schritt für Schritt verbesserte Einstellung trug - langsam - Früchte: Nur wenige Wochen nach dem Aus in Foshan holten ihn die L.A. Lakers im Dezember 2011 zurück in die NBA. Auch wenn Green den Roster-Cut nicht überlebte: Über die D-League konnte sich der Rückkehrer endgültig wieder für die große Bühne empfehlen.

Er erzielte für die L.A. Defenders 19,1 Punkte, 2,6 Rebounds und 1,6 Assists pro Partie und sicherte sich zudem die MVP-Trophäe beim D-League All-Star Game. Die New Jersey Nets belohnten Green mit einem Kurzzeitvertrag bis Saisonende 2011/12, in der vergangenen Spielzeit stand er als Role Player für die Indiana Pacers in 60 Partien auf dem Parkett.

Und die tradeten ihn im letzten Sommer zusammen mit Miles Plumlee für Luis Scola nach Phoenix. Hier wird er vielleicht zum ersten Mal in seiner Karriere geschätzt, hier ist er mehr als nur Platzhalter für Bledsoe, seine Dunks mehr Garnierung denn Selbstzweck. Dass er sich mittlerweile auch zu einem respektablen Schützen (39,1% von Downtown) entwickelt hat, wurde lange übersehen.

Hier stellt er sich bei Medientagen brav und unauffällig zwischen die hungrige Journalistenmeute in die Schlange am reichhaltigen Buffet, in Trainingskleidung und Badeschlappen. Dass er auch nun, nach Bledsoes Rückkehr, wichtiger Teil der Rotation bleiben wird, steht außer Frage. "Vor zwei Jahren noch stand ich vor dem Nichts. Ich bin älter, reifer, erwachsener geworden", sagt er im Rückblick. "Ich bin einfach glücklich, hier zu sein."

Es scheint, als wäre die lange Odyssee des Gerald Green an ihrem Endpunkt angekommen. Und das US Airways Center strahlt.

Gerald Green im Steckbrief

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