NBA

Schießen, bis das Licht ausgeht

Von Max Marbeiter
Rudy Gay (r.) nimmt derzeit die meisten Würfe aller NBA-Spieler
© getty

Am Sonntag empfängt Toronto die Blazers (19 Uhr im LIVE-STREAM). Rudy Gay und DeMar DeRozan nehmen beinahe die Hälfte aller Raptors-Würfe - treffen aber unterirdisch. Entsprechend statisch und schwach ist Torontos Offense. Die Defense gibt jedoch Hoffnung. Was ist drin für die Kanadier?

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Spricht man über die wurffreudigsten Spieler der NBA, so kommt den meisten wohl zuerst Carmelo Anthony in den Sinn. Kyrie Irving ist ebenfalls nicht weit. Mit Sicherheit auch Kobe, so er denn fit ist. Aber Rudy Gay? Zugegeben, dass der Swingman gerne und häufig draufhält, ist bekannt, dass seine Abschlusswut ligaweit ihresgleichen sucht, überrascht dann aber doch ein wenig.

Nun wäre das alles nur halb so schlimm, träfe Gay wenigstens halbwegs verlässlich. Tut er jedoch nicht. Von 178 Versuchen fanden lediglich 65 ihren Weg durch die Reuse. 36,5 Prozent. Ein unterirdischer Wert für einen "Shooter".

Damit befindet sich Gay bei den Raptors allerdings in illustrer Gesellschaft. DeMar DeRozan hegt und pflegt seine Liebe zu ausgiebigen Wurforgien nämlich ähnlich leidenschaftlich wie sein Flügelpartner - bei natürlich ebenso schwachen Quoten (37,7 Prozent FG, 30,8 Prozent 3FG).

So vereinnahmen die beiden ohne größeren ersichtlichen Ertrag beinahe die Hälfte aller Abschlüsse Torontos (44 Prozent), was der Offense der Kanadier selbstverständlich nicht allzu sehr weiterhilft.

Isolation statt Inside-Out

Die zählt zu den schwächsten (97,3 Punkte, Rang 18) und ineffizientesten (46,5 Effective Shooting, Rang 25) der gesamten NBA. Dabei hatte Coach Dwane Casey vor Saisonstart noch die kühne Idee geäußert, seine Offense vermehrt auf Inside-Out und den designierten Franchise Player Jonas Valanciunas auszurichten. In der Theorie eine nachvollziehbare und auch sinnvolle Überlegung. Die Realität notiert für den Litauer jedoch lediglich 8 Wurfversuche pro Spiel (9 Punkte).

Sie sieht zudem viel Isolation und wenig Inside-Out. Während der Double-Overtime-Pleite in Houston nahmen Gay und DeRozan zusammen beispielsweise 57 Würfe, ersterer stellte mit 37 Schüssen sogar einen Franchise-Rekord auf. Dass der Wurf abermals nicht fallen wollte (Gay 29,7 Prozent FG, DeRozan 24 Prozent), interessierte dabei nur am Rande.

Anstatt ihre Athletik zu nutzen und zum Korb zu ziehen, verließen sich beide abermals zu häufig auf ihren wackligen Wurf. Beinahe macht es den Anschein, als seien sie sich ihrer wahren Stärken nicht bewusst. Zum Vergleich: Kevin Durant hat trotz eines True Shootings von 63,2 Prozent 39 Würfe weniger als Gay (45,1 Prozent) und 15 weniger als DeRozan (46,4 Prozent) genommen.

Gay: "Computer hat keine Ahnung"

Auf derlei Statistiken gibt Gay allerdings ohnehin nichts. "Der Computer hat doch keine Ahnung von Talent", sagt er. "Ginge es einzig um Analytics, würden mich meine Gegenspieler nicht so schätzen. Deshalb kann der Computer auch sagen, was er will. Solange ich den Respekt meiner Kollegen bekomme, ist alles in Ordnung." Einsicht und Aussicht auf Besserung klingen anders.

Es ist das große Dilemma der Raptors-Offense. Da die beiden Volume Shooter eher darauf gepolt sind, ihren eigenen Wurf zu kreieren, anstatt durch Ballmovement gute Abschlüsse herauszuspielen, bewegen sich die Raptors abseits des Balls unterdurchschnittlich. Ihre Assist-Rate ist die schlechteste der gesamten Liga (16,1).

Echter Point Guard gesucht

Hätte man nun einen echten Floor General auf dem Court, vielleicht ließen sich die Probleme wenigstens ein wenig kaschieren beziehungsweise beseitigen. Kyle Lowry steht allerdings nicht im Verdacht, zuerst an den Wurf der Mitspieler und erst dann an seinen eigenen zu denken. Auch Backup D.J. Augustin bringt keine Entlastung (0,9 Assists).

Dabei spielt Lowry nicht einmal eine schwache Saison (5,2 Assists, 13,3 Punkte, 43,2 Prozent FG), angesichts seines fehlenden Pure-Point-Guard-Gens gelingt es ihm jedoch nicht, Torontos Offense strukturiert ablaufen zu lassen.

Nicht zuletzt deshalb wurde und wird der Einser, wie eigentlich der gesamte Kader - laut "ESPN" ist für den neuen General Manager Masai Ujirih einzig Jonas Valanciunas unantastbar - immer wieder mit möglichen Trades in Verbindung gebracht. Sogar Steve Nash soll zuletzt ein Thema gewesen sein. Eine mögliche Rückkehr des Kanadiers in die Heimat gilt jedoch als unwahrscheinlich.

Hoffnungsträger Ujiri

Dennoch hofft man rund um den Ontario-See, dass Ujiri auch in Toronto gelingt, was er bei den Nuggets vollbrachte: Trotz kleinem Markt ein großes Team formen. Ohne Rücksicht auf Namen. Alles im Zeichen des Erfolgs. Den ersten Schritt in die richtige Richtung tat Ujri bereits im Sommer, als er Andrea Bargnani zu den Knicks tradete.

Durch den Abgang des Italieners wurden die Raptors ein dickes Faustpfand los - gerade in der Defense. Selbige ist auch Hauptgrund dafür, dass Toronto trotz seiner unterdurchschnittlichen Offense für den Moment einen Playoff-Platz belegt.

Starke Defense

Nur vier Teams lassen derzeit weniger Punkte zu als die Kanadier (94,9). Gegner halten sie bei 46 Prozent (Rang 9) und 30,5 Prozent von jenseits des Perimeters (Rang 4). Am hinteren Ende des Feldes nutzen die Raptors das Potential, das ihr Big-Men-Duo Valanciunas/Amir Johnson und die athletischen Flügel Gay und DeRozan mitbringen. Gay zeigte gerade gegen sein Ex-Team aus Memphis, dass er potentiell durchaus zu den besseren Defendern zählt.

Beim Sieg in Milwaukee schnappte sich Gay zudem für einen Small Forward herausragende 15 Rebounds und schloss sich damit Torontos emsigen Brett-Arbeitern an. Derzeit nimmt nämlich kaum ein Team die Arbeit unter dem Korb ähnlich ernst wie die Kanadier. 44,2 Abpraller landen pro Spiel in den Pranken der Raptors. Am offensiven Brett sind nur die Jazz erfolgreicher.

Natürlich begünstigen die Backsteinfabrikanten Gay und DeRozan derartige Zahlen, dennoch kann man zumindest den Big Men kaum den Vorwurf machen, sie würden aus den gegebenen Umständen nicht das möglichste herausholen. So sind Amir Johnsons 7,3 Rebounds und 11 Punkte bei 56 Prozent aus dem Feld durchaus ansehnlich.

Valanciunas strahlt zwar noch nicht die Dominanz eines (potentiellen) Franchise Players aus, 7,6 Rebounds und 9 Punkte (47,2 Prozent FG) sind angesichts der wenigen abfallenden Würfe aber noch im Bereich des Erträglichen. Ein gewisses, wenn auch sicherlich nicht endloses Potential bringen die Raptors also mit.

Playoff-Platz nur Momentaufnahme

Aber genug für ein Playoff-Team? Eher nicht. So ist Rang 7 im Osten derzeit eher ein Produkt der Schwäche Brooklyns, New Yorks und mit Abstrichen auch Detroits. Nun ist es jedoch nicht gesichert, dass sich all jene, die sich noch nicht gefunden haben, am Ende noch steigern werden. Tun sie dies und die Raptors verpassen die Postseason, winkt immerhin die Chance auf Kanadas aufregendstes Basketball-Erlebnis seit Steve Nash: Andrew Wiggins.

Auf der anderen Seite besitzt auch Toronto noch Raum für Steigerung. Die Grizzlies haben es nach dem Gay-Trade vorgemacht. Mehr Low-Post, weniger Outside. Einfache Abschlüsse am Korb anstatt ineffizienter Würfe aus der Mitteldistanz. Während der vier Saisonsiege funktionierte das bereits halbwegs. Wollen die Raptors wirklich Erfolg haben, müssten sich Rudy Gay und DeMar DeRozan allerdings schon dauerhaft aus der illustren Gesellschaft rund um Carmelo Anthony und Kyrie Irving verabschieden.

Der Kader der Toronto Raptors