NBA

Die Celtics-Helden von der Bank

Von Florian Regelmann
Glen Davis und Nate Robinson führten die Celtics zum Sieg gegen die Lakers
© Getty

Die Boston Celtics gewinnen Spiel vier der NBA Finals gegen die Los Angeles Lakers mit 96:89 und gleichen damit in der Best-of-seven-Serie zum 2-2 aus. Topscorer bei den Celtics ist Paul Pierce mit 19 Punkten, die Helden des Abends kommen aber von der Bank. Kobe Bryant erzielt 33 Punkte für die Lakers.

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Einer der am häufigsten verwendeten Begriffe im US-Sport-Fachjargon lautet: "Must-win-Game." Das ultimative Beispiel für eine solche Begebenheit: Spiel vier der Finals für die Celtics.

Wir führen uns kurz einige Dinge vor Augen: 1. Von Phil Jackson gecoachte Teams haben eine makellose 47-0-Bilanz, wenn sie Spiel eins einer Serie gewonnen haben. Die Lakers haben bekanntlich Spiel eins gewonnen. Check.

2. Seit 1985 werden die Finals im 2-3-2-Format ausgetragen. Zehn Mal stand es nach den ersten beiden Spielen 1-1. Zehn Mal hat das Team, das Spiel drei für sich entscheiden konnte, auch die Championship gewonnen. Die Lakers haben bekanntlich Spiel drei gewonnen. Check.

3. Noch nie hat ein Team in den NBA Finals einen 1-3-Rückstand aufgeholt. Die Celtics würden bei einer Pleite 1-3 in Rückstand liegen. Check.

Boston enorm unter Druck

Wem diese Statistiken noch nicht reichen, der braucht nur noch seinen basketballerischen Verstand einzusetzen. Dass die Celtics alle drei Heimspiele gewinnen und damit viermal in Folge die Lakers schlagen, um den Titel zu gewinnen? Selbst der größte Celtics-Fan muss zugeben, dass man das nicht erwarten konnte.

Aber genauso klar ist, dass es für Boston ein absolutes Muss ist, zwei der drei Heimspiele zu gewinnen, um mit einer 3-2-Führung zurück nach L.A. zu fliegen. Selbst dann wäre die Meisterschaft noch schwierig, aber wenigstens realistisch. Kommt Boston aber mit einem Rückstand zurück ins Staples Center, so ist das zu 99,99 Prozent das sportliche Todesurteil.

"Sie stehen mit dem Rücken zur Wand. Sie sind gefährlich", warnte Jackson in seiner Kabinenansprache vor dem Spiel sein Team. Nicht zu unrecht. Die Celtics wussten um ihre Situation - und so spielten sie auch von Beginn an.

Vor allem Paul Pierce. Der Finals-MVP von 2008 war in Spiel drei überhaupt kein Faktor und mit seiner Leistung zuletzt mehr als unzufrieden gewesen. Foulprobleme hatten ihm jede Aggressivität und jeden Zug zum Korb genommen - das sollte ihm in Spiel vier nicht noch einmal passieren.

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Pierce zu Beginn überragend

Pierce suchte immer wieder energisch den Weg in die Zone und war mit zehn Punkten im ersten Viertel der überragende Mann auf dem Feld. In einer von der Defense beider Teams geprägten Anfangsphase führte Boston nach zwölf Minuten mit 19:16. Kurz vor Schluss des ersten Viertels sorgte Nate Robinson mit einem Dreier für die Celtics-Führung. Zu diesem Zeitpunkt konnte man nur ahnen, was Robinson und seine Bank-Kollegen im weiteren Verlauf der Partie für einen riesigen Einfluss auf das Spiel haben würden.

Im zweiten Viertel drehte sich das Spiel aber zuerst zugunsten der Lakers. Kobe Bryant lief jetzt heiß und machte innerhalb von nur 63 Sekunden acht Punkte. Dreier, Dreier, noch ein Jumper - dann noch ein schön gezogener Layup des starken Lamar Odom und schon war L.A. plötzlich sechs Punkte weg (39:33).

Aus Sicht von Boston zeichnete sich zu diesem Zeitpunkt ein sehr beunruhigender Trend ab. Die Celtics bekamen in der Offense beste Würfe - aber sie trafen absolut nichts. Selbst die einfachsten Korbleger wollten nicht reingehen.

Pierce wurde in der Offense unerklärlicherweise fast vergessen, Ray Allens Schuss (1/6) wurde weiter per Vermisstenanzeige gesucht - kurz: es lief nicht für Boston. Als Kevin Garnett mit dem Buzzer einen Jumper zum 42:45 traf, mussten die Celtics eigentlich noch froh sein, dass sie trotz ihrer ganzen Unzulänglichkeiten im Angriff nur mit drei Punkten in Rückstand lagen.

Bynum verletzt raus

Im dritten Viertel verbesserte sich die Lage für Boston zunächst nicht. Sie verschossen offene Würfe, haderten mit den Refs - bei einem albernen Drei-Sekunden-Pfiff gegen Garnett allerdings völlig zu Recht - und liefen weiter einem kleinen Rückstand hinterher (48:53). Dennoch hatten auch die Lakers mit Problemen zu kämpfen. So begann Odom das dritte Viertel, weil der am Knie angeschlagene Andrew Bynum nicht mehr zur Verfügung stand.

Gute Defense und ein Zufallskorb von Kendrick Perkins waren dann die Initialzündung für einen 6:0-Run, der die Celtics kurzzeitig wieder nach vorne brachte (54:53). Dass sie richtig das Kommando übernehmen konnten, verhinderte Bryant, der gegen Ende des dritten Viertels mit zwei Dreiern innerhalb von kürzester Zeit erneut von Downtown aufdrehte. Vor dem Schlussviertel lagen die Lakers deshalb knapp in Führung (62:60).

Ohne zu übertreiben, kann man sagen, dass nun das wichtigste Viertel der Saison für die Celtics anstand. Und was machte Headcoach Doc Rivers? Er schickte Ray Allen mit vier Bankspielern aufs Parkett - Robinson, Tony Allen, Rasheed Wallace und Glen Davis. Taten sagen manchmal mehr aus als tausend Worte. Es war der absolute Vertrauensbeweis eines Trainers an seine Ersatzspieler. und sie sollten ihn nicht enttäuschen.

Nicht nur, dass diese Celtics-Lineup eine exzellente Defense spielte. Sie spielte auch in der Offense mit einer Leidenschaft und einem Willen, dem die Lakers nicht genug entgegensetzen konnten. Vor allem die Leistung von Glen "Big Baby" Davis (18 Punkte) verdient nur eine Note: Eine Eins mit Sternchen.

Rivers lässt Stars auf der Bank

Davis ackerte am Korb wie ein Tier, er tankte sich durch, holte sich die Offensivrebounds und vollendete. Ein Dreipunktespiel von Davis war das Ende eines 11:2-Runs zu Beginn des Schlussviertels, mit dem die Celtics das Blatt wendeten (71:64). Aber es war eben nicht nur Davis. Auch Robinson spielte grandios und traf immer wieder wichtige Würfe. L.A. hatte riesige Probleme mit Lil' Nate, der großen Druck auf die Lakers-Defense ausübte, weil man ihn im Gegensatz zu Rajon Rondo ja nun mal nicht frei stehen lassen kann.

Dazu kam ein Tony Allen, der vorne ein Dreipunktespiel machte und hinten famos gegen Bryant verteidigte. Und ein Wallace, der sich emotional wie eh und je ein Technisches Foul abholte, aber dann auch einen ganz wichtigen Dreier zum 79:70 traf.

Rivers musste sich jetzt entscheiden, wann er seine Stars wieder ins Spiel bringen sollte. Und er tat sich ungeheuer schwer damit. Mehrmals schickte er vor allem Garnett zur Einwechslung vor, nur um ihn dann wieder zurückzuholen, weil er sah, wie gut seine Bankspieler spielten. Es war beeindruckend.

"Rondo und der Rest haben mich alle gebeten, sie im Spiel zu lassen. 'Nimm sie nicht raus, nimm sie nicht raus!' Es war großartig. So laut habe ich unsere Bank noch nie gesehen - und es waren die Starter, die die Jungs von der Bank aus angefeuert haben. Ich fand es einfach toll", sagte Rivers nach dem Spiel.

Pierce und Rondo machen den Sack zu

Erst knapp drei Minuten vor Schluss kamen Garnett, Pierce und Rondo bei einer 8-Punkte-Führung (85:77) zurück und bekamen die Aufgabe, den Sack zuzumachen. Was sie dann auch formidabel taten. Pierce nahm in echter Superstar-Manier das Heft in die Hand und sorgte mit seinen Punkten für die Entscheidung. Als er 1:16 Minuten vor Ende ein Dreipunktespiel zum 90:81 erzielte, war die Partie so gut wie gelaufen.

Bryant wurde zwar im Anschluss noch einmal bei einem Dreierversuch gefoult und führte die Lakers von der Linie wieder etwas heran, aber dann zerstreute Rondo mit einem tollen Steal und Fastbreak-Layup zum 92:84 jeden letzten Zweifel am Celtics-Sieg. Die bekannten "Beat L.A.! Beat L.A.!"-Sprechchöre hallten durch den TD Garden - nach drei Niederlagen in Folge haben die Celtics die Lakers mal wieder zuhause geschlagen - und vor allem die Finals wieder richtig spannend gemacht.

Weil sie das Duell der Bänke (36:18) und das Duell am Brett (41:34-Rebounds, 16:8-Offensiv-Rebounds) deutlich für sich entschieden. Vier Spiele sind in den Finals absolviert, viermal hat das Team gewonnen, das die Boards kontrolliert hat. Man muss kein Prophet sein, dass es auch in Spiel fünf am Sonntag nicht anders sein wird.

Spiel 3: Lakers gehen wieder in Führung