NBA

Alle bösen Geister vertrieben

Von Philipp Dornhegge
Steve Nash, Jason Richardson und Grant Hill sind neben Amare Stoudemire Phoenix' Schlüsselspieler
© Getty

Ganz Amerika reibt sich verwundert die Augen über den unerwarteten Conference-Finals-Einzug der Phoenix Suns. Dabei liegen die Gründe auf der Hand. Ist Everybody's Darling nach etlichen Enttäuschungen nun reif für den ersten Titel?

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Seien wir ehrlich: Die Wiederauferstehung der Phoenix Suns konnte nur so kommen. Und nur so macht es doch richtig Spaß. Mit einem Sieg über den großen Rivalen.

Das 107:101 in Spiel vier bei den San Antonio Spurs bedeutete den Sweep für die Suns und den ersten Sieg gegen San Antonio in einer Playoff-Serie seit 2000. "Was für eine Genugtuung", freute sich Point Guard Steve Nash anschließend. Für Phoenix war dies der vorläufige Höhepunkt einer Saison, die für Fans und Experten fast aus dem Nichts kommt.

Denn eigentlich waren die Suns doch auf dem absteigenden Ast, das Fenster für einen möglichen Titelgewinn längst geschlossen. Obwohl die Truppe aus der Wüste von Arizona zu den konstantesten Teams der letzten Jahre gehörte und spätestens seit der Ankunft des zweimaligen MVPs Nash ein ständiger Anwärter auf den Titel war, kamen ihnen immer wieder diese verdammten Spurs dazwischen. Viermal seit 2003, um genau zu sein.

Shaq: ein grandioser Fehler

Besonders die dritte Niederlage gegen die Spurs 2007 erschütterte Phoenix' Franchise nachhaltig. Nach dem Verkauf der Suns 2004 an Robert Sarver wurde dessen Intimus Steve Kerr als neuer Manager angeheuert und mit dem Auftrag ins Rennen geschickt, in erster Linie Kosten zu sparen - weil man mit dem aktuellen Kader gegen San Antonio ja sowieso nichts würde ausrichten können.

Dies gelang dem ehemaligen Profi zwar mit den Verkäufen einiger Spieler, aber das ganz auf schnelle Offensive ausgerichtete Team nahm nachhaltig Schaden an der Umstrukturierung. Nicht zuletzt die Verpflichtung von Shaquille O'Neal im Tausch für Shawn Marion erwies sich als grandioser Fehler.

Kerr wollte - übrigens mit der Unterstützung von Coach Mike D'Antoni - die Defensive stärken und das Team mit einer erwiesenen Low-Post-Kraft fit für die halfcourt-orientierte Postseason machen, allein in der ersten Playoff-Runde warteten erneut die Spurs.

Alvin Gentry ein Glücksfall als Coach

Nachdem Tim Duncan seinem Team mit einem Fabeldreier den Sieg in Spiel eins beschert hatte, stand Phoenix kollektiv unter Schock, schenkte drei der restlichen vier Spiele her und stand 2008 erneut vor einem Scherbenhaufen. D'Antoni wollte plötzlich von Anfang an gegen den O'Neal-Trade gewesen sein, votierte außerdem gegen die langsamere Spielweise und verschwand schließlich Richtung New York.

Der neue Mann Terry Porter konnte die Erwartungen nicht erfüllen und fand nie Zugang zu seinen Spielern. Nach wenigen Monaten musste er wieder gehen. Erst Assistant Coach Alvin Gentry brachte die Franchise als Interimscoach wieder auf Kurs.

Unter dem Mann, der nie professionell Basketball spielte und stattdessen seit seiner College-Karriere eine Trainerlaufbahn verfolgte, blühte das Team auf. Gentry löste in der Offensive alle Fesseln und ließ das Team wieder rennen, rennen, rennen. In den ersten drei Spielen unter Gentry verbuchten die Suns jeweils über 140 Punkte und unterstrichen abermals, dass man mit Spielern wie Leandro Barbosa oder Neuverpflichtung Jason Richardson eben so spielen muss.

Perfekte Rollenspieler

Nach einer 18-13-Bilanz im Saisonfinish verpasste das Team zwar die Playoffs, Gentry wurde dennoch offiziell als Headcoach bestätigt. Einer blieb bei der Wiedergeburt des Run-and-Gun-Stils allerdings auf der Strecke: Der inzwischen 37-jährige O'Neal hechelte dem Tempo seiner Mitspieler nur noch hinterher und musste folgerichtig gehen. Außer Draft-Pick Earl Clark war Center Channing Frye jedoch der einzige Spieler, den Phoenix seinen Anhängern als namhaften Neuzugang präsentieren konnte. Die Fans stellten sich deshalb im Herbst 2009 auf eine Saison des Neuaufbaus ein.

Der 55-jährige Gentry und seine Spieler hatten allerdings insgeheim andere Pläne. Rollenspieler wie Jared Dudley, Louis Amundson oder Nash-Backup Goran Dragic entwickelten sich prächtig und passten perfekt ins Konzept des Coaches, Routinier Grant Hill spielte erneut stark auf und machte vor allem defensiv einen großen Sprung. Frye zeigte völlig unerwartet, dass er ein starker Distanzschütze und seltsamerweise wertvoller für das Team ist, als es Shaq je war.

Die neuen Suns harmonierten von Beginn an, führten die Liga erneut als beste Offensivmannschaft an und machten dank Gentry erstmals seit vielen, vielen Jahren auch hinten einen besseren Job. Der Lohn für die harte Arbeit war nach einem heißen Rennen mit den Mavericks, Nuggets und Jazz Platz drei in der Western Conference.

Der Schlüsselspieler: Amare Stoudemire

Der Schlüsselspieler im Endspurt war Amare Stoudemire, ein launischer Big Man, der fast die gesamte Saison in der NBA zum Tausch angeboten wurde und sich von den ständigen Gerüchten um seine Person deutlich negativ beeinflussen ließ. Als vor der Trading-Deadline praktisch feststand, dass Stoudemire gehen würde, wartete Kerr auf den Anruf eines Manager-Kollegen - aber niemand meldete sich.

Niemand wollte die Diva, die sich nicht selten zu schade für Defensivarbeit ist und so seinem Team häufig schadet. "Ich denke ständig daran, wieviel Glück wir in diesem Jahr hatten", gab Kerr unlängst zu.

"Wir hätten Stoudemire bei einem anständigen Angebot wahrscheinlich getradet." Sie taten es nicht, und als klar war, dass er bleiben würde, blühte Stoudemire in den letzten Wochen regelrecht auf, pflügte durch die Liga wie ein Verrückter und spielte den vielleicht besten Basketball seiner Karriere. Auch Gentrys Klasse als Coach und die Tatsache, dass Nash vor der Saison trotz vieler Querelen seinen Vertrag verlängerte, nennt Kerr ganz offen reines Glück.

Portland als dankbarer Gegner

Dennoch: Restzweifel blieben an der Playofftauglichkeit der Suns. Es wäre ja nicht das erste Mal gewesen, dass einer famosen regulären Saison eine bittere Postseason folgt. Mit Portland bekam man einen bissigen, aber irgendwie auch dankbaren Gegner für den Auftakt. Die Blazers gingen personell am Stock und konnten trotz großem kämpferischem Einsatz das Tempo des Gegners auf Dauer nicht mitgehen.

Und dann kam es in den Conference Semifinals zum erwähnten Aufeinandertreffen mit dem Erzfeind. Es war das fünfte Duell mit den Spurs in acht Jahren. In Phoenix machte sich schon wieder Unruhe breit. Spieler und Vereinsbosse rechneten fast schon damit, dass es wieder schief gehen würde.

Spiel eins bestätigte die Befürchtungen beinahe: Phoenix spielte stark, traf seine Würfe und gewann dennoch nur hauchdünn. Sollten die Spurs etwa erneut einen Weg finden, um der von 42 Jahren Misserfolg gebeutelten Franchise den Garaus zu machen?

Großer Zusammenhalt im Team

Den Suns war in Spiel zwei anzusehen, dass sie all die Pleiten im Hinterkopf hatten: Die Würfe wollten nicht fallen, schnell lag man zurück. Doch anstatt schon wieder einen kollektiven Zusammenbruch zu erleben, wehrten sie sich diesmal: Das spielerisch attraktivste Team der letzten Jahre spielte schmutzig.

Die Suns belagerten offensiv wie defensiv die Bretter und holten sich fast jeden Rebound, sie zogen zum Korb und erzwangen Freiwürfe. So drehten sie das Spiel - und sorgten für die Vorentscheidung in der Serie. "Ich kann mich nicht erinnern, jemals in einer Mannschaft gespielt zu haben, die so einen Zusammenhalt hat", kannte Edelverteidiger Hill den Grund für den Sieg.

Diesmal waren es die Spurs, die unter Schock standen und keine Antwort fanden. Der viermalige Champion wusste vorher, dass er keine Chance haben würde, wenn er sich auf Phoenix' Spielweise einlassen würde. Aber dass es diese Suns auch anders können und den Gegner mit seinen eigenen Waffen schlagen würden? Das war eine bittere Pille, die Duncan, Manu Ginobili und Co. nicht verdauen konnten.

Die Geschichte als gutes Omen

In Spiel drei standen sie staunend Spalier, als sie von Dragic gekillt wurden, und Ginobili gestand: "Solche Niederlagen sind demoralisierend. Ich glaube, wir müssen perfekt spielen, um sie zu schlagen." Sie taten es auch in Spiel vier nicht und verloren, weil sie 16 Turnover verbuchten und den Suns 35 Punkte im letzten Viertel erlaubten.

Phoenix hatte seinen großen Rivalen bezwungen und alle bösen Geister der Vergangenheit vertrieben. Selbst Spurs-Spielmacher Tony Parker konnte nicht umhin zu sagen: "Natürlich bin ich traurig, dass wir raus sind. Aber gleichzeitig freue ich mich für Steve und Amare, nachdem sie so viele Male gegen uns kein Glück hatten." Eins sollte nach der Serie jedoch klar sein: Die 2010er Version der Phoenix Suns hat kein Mitleid nötig. Dieses Team nimmt sein Schicksal selbst in die Hand.

Das wird auch in den Conference Finals gegen Titelverteidiger L.A. Lakers der Fall sein. Die waren 1982 und 2001 übrigens das bislang einzige Team, das San Antonio in den Playoffs einen Sweep zufügen konnte. Beide Male gewannen sie die Meisterschaft.

NBA: Ergebnisse der Playoffs im Überblick