Mallow beschimpft deutschen Dachverband

SID
Jürgen Mallow
© Getty

Peking  - Mit einem beispiellosen Rundumschlag hat Chef-Bundestrainer Jürgen Mallow die Schuld am Olympia-Debakel der deutschen Leichtathleten fast komplett auf die Politik und den Sport-Dachverband abgewälzt.

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"Irgendwann ist der Geduldsfaden gerissen, weil die so arrogant und hochnäsig mit uns umgehen. Die wollen immer mehr Medaillen, und was tun sie dafür? Nichts, nichts, nichts!", schimpfte der Leitende Bundestrainer des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) in Peking auf das Bundesinnenministerium (BMI) und den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB).

Die "massive Benachteiligung" bei der Förderung ist für Mallow der Hauptgrund für den historischen Absturz des DLV: Nur einmal Bronze (Speerwerferin Christina Obergföll) gab es bei Olympischen Spielen zuletzt vor 104 Jahren.

"In vielem sind wir wie ein zahnloser Tiger"

Mallow kritisierte vor allem die unzureichende finanzielle Unterstützung und bürokratischen Hemmnisse bei den Gesprächen mit dem BMI. "Das BMI nennt das Verhandlungen, ich nenne das Diktat! Das ist eine Farce", kritisierte der 64-Jährige das "entwürdigende Spiel" des staatlichen Geldgebers.

Wenn es nach dem Willen der "Schreibtischtäter" gegangen wäre, hätte der DLV viele Disziplinen längst einstellen müssen: Sprint, Lauf, Hürden, Stabhochsprung. "Die sind bekloppt", meinte Mallow. "In vielem sind wir wie ein zahnloser Tiger. Unsere Hauptkonkurrenten, die Nationen auf den Plätzen vier bis zehn, werden alle erheblich besser gefördert", erklärte der Cheftrainer. "Hinter uns stehen in der Förderung vielleicht ein paar Länder wie Honduras."

Prokop kritisiert verbalen Amoklauf

Nach dem verbalen Amoklauf seines Spitzen-Angestellten war der entsetzte DLV-Präsident Clemens Prokop um Schadensbegrenzung bemüht. "Ich bedaure die Art und Weise der Äußerungen und missbillige sie. Das ist nicht produktiv", sagte der Jurist aus dem bayerischen Kelheim.

"Ich finde es besser, wenn man Kritik auf Fakten beschränkt." Auch beim DOSB lösten "Mallows Tiraden" Unmut aus. "Ich finde die Anschuldigungen unverständlich. Es zeigt ein erstaunliches Maß an Unkenntnis über das Fördersystem", konterte Chef de Mission und DOSB-Generaldirektor Michael Vesper und mutmaßte: "Er neigt dazu, die Schuld bei anderen zu suchen."

Fördermittel um 650.000 Euro gekürzt

Fakt ist, dass dem DLV nach der Pleite von Athen 2004 (zwei Silbermedaillen) die Fördermittel um 650.000 Euro gekürzt worden waren. Darüber regt sich auch DLV-Vizepräsident Leistungssport Eike Emrich auf. "Mangelnder Erfolg, weniger Geld - das ist die falsche Logik. In der Industrie wird seit Jahrzehnten antizyklisch investiert", argumentierte der Soziologie-Professor aus Saarbrücken. Emrich forderte einen "Sondertopf, damit die Leichtathletik wieder auf die Beine kommt". Für die Heim-WM 2009 in Berlin käme selbst das aber zu spät. "Das greift dann erst 2012 in London."

Für das laufende Olympia-Jahr kennt Mallow noch nicht einmal seinen Etat. Sein "Wunsch" für 2009 wären fünf Millionen Euro, aber "wir brauchen mindestens das Doppelte". Sonst hinkt die einstige Leichtathletik-Großmacht der Konkurrenz noch weiter hinterher.

"Unser Ehrenpräsident ist ein Dummschwätzer"

Geld alleine macht keine schnellen Beine, und auch im DLV liegt einiges im Argen: Die Einstellung der Athleten zum Spitzensport, die Qualität der Trainer, nur wenige effektive Leistungszentren, die mangelnde Bereitschaft zum internationalen Konkurrenzkampf. Kritiker wie Helmut Digel bügelte Mallow brüsk ab: "Unser Ehrenpräsident ist ein Dummschwätzer."

Mit Bronze im Hochsprung war Paul Weinstein 1904 genauso effektiv wie das 60-köpfige DLV-Team 104 Jahre später. In Peking haben einige Trümpfe nicht gestochen: Hochspringerin Ariane Friedrich (7.), Kugelstoßerin Nadine Kleinert (7.) und Diskus-Vizeweltmeister Robert Harting (4.) hatten sich mehr ausgerechnet.

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Nur in der Zahl der Endkampf-Platzierungen (Peking: 16) gab es im Vergleich zu Athen (14) einen marginalen Aufwärtstrend. Aber die "glorreichen Zeiten einer Heike Drechsler" sind nach Mallows Ansicht aus anderen Gründen schon längst vorbei: "Diese Zeiten wollen wir nicht haben. Diese Zeiten waren dopingverseucht. Das war Kalter Krieg."