Und siehe, die Welt ist schlecht!

Von SPOX
Ben, Johnson, Carl, Lewis, Linford, Christie
© Getty

München - Ja, ist schon wieder Olympia?! Mit mächtiger Show und Feuerwerk wurden in Peking die Olympischen Spiele eröffnet.

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SPOX konnte nun auf die Schnelle niemanden auftreiben, der über die bisherigen 28 Veranstaltungen beredt Auskunft geben kann, deshalb haben wir uns selbst mit der Frage konfrontiert: Welcher olympische Moment hat mich am meisten bewegt, schockiert, begeistert, angerührt?

Da die meisten Redakteure bei SPOX sich an fünf bis sieben Olympia-Auflagen gut erinnern können, sind ein paar brauchbare Antworten bei der ganzen Sache rausgekommen. Hier sind sie.

Was mich bewegt hat: Seoul. 1988. Ben Johnson. Carl Lewis. Der Jahrhundertlauf. Ich war elf. Und unglaublich beeindruckt. Von Ben Johnson. Diesem Lauf. Diesem Erlebnis. Dann kam raus: Doping! Zum ersten Mal der Gedanke: Die Welt ist schlecht! Ich: unglaublich enttäuscht. Von Ben Johnson. Der Leichtathletik. Den Olympischen Spielen. Jegliche Begeisterung: Auf einen Schlag weg! Bis heute kam sie nicht so recht zurück. Olympische Spiele: Für mich ungefähr so interessant wie Radsport, Skispringen und Hallenhalma.

Was mich bewegt hat: Mein bester Olympia-Moment ereignete sich 1996 in Atlanta. Ein Moment, der zwei Tage andauerte. Frank Busemanns unfassbarer Zehnkampf. Was dieser 21-jährige Kerl aus Recklinghausen ablieferte, war einfach nur sensationell. Ein unglaublicher Wettkämpfer, gefangen in einem Körper, der nicht für große Wettkämpfe geschaffen war. 8706 Punkte, Rang zwei hinter Dan O'Brien, es wird mir immer in Erinnerung bleiben. Genau wie O'Briens Frage: "Who is Bus man?"

Was mich bewegt hat: Den Namen Michael Groß kannte ich als Elfjähriger schon, daher waren die 200 Meter Freistil eine Pflichtnummer. Groß oder Biondi würden das unter sich regeln, hieß es. Gewonnen hat 1988 in Seoul aber der Australier Duncan Armstrong. Eine Sensation. Die eigentliche olympische Sternstunde spielte sich jedoch auf der Tribüne ab, wo Armstrongs Mentor Laurie Lawrence komplett ausflippte. Als sich abzeichnete, dass Armstrong Gold gewinnen könnte, fing Lawrence an, seinem Vordermann vor Begeisterung und Nervosität mit einem Programmheft auf den Schädel zu hämmern. Nachher im Interview ohrfeigte er noch einen Journalisten und nahm ihn in den Schwitzkasten. Einmalig!

Was mich bewegt hat: Sydney 2000, 800 Meter der Männer. Nils Schumann läuft um Gold. Ich kann's aber nicht sehen. Bin mit einem Kollegen unterwegs. Im Kleinbus. Als Zivi. Hinten drin ein älterer Herr (so um die 80) und eine rüstige Dame. Beide hungrig. Wollen zum Mittagessen. Hilft ja aber nix, der Schumann braucht unsere Unterstützung. Also schnell rechts rangefahren, das Radio laut gestellt und den Deutschen zum Sieg gebrüllt. Ein Blick nach hinten: Die Dame lächelt, der Herr klatscht mit. Und ab zum Mittagessen.

Was mich bewegt hat: Pasquale Passarelli ist und bleibt mein Olympia-Held. 1984 in L.A. 84 Sekunden in der Brücke gegen Masati Eto. Der Japaner liegt nach einer kleinen Wertung hinten, Passarelli hat den Kampf bis 90 Sekunden vor Schluss unter Kontrolle. Dann läuft er unachtsam in einen Hebelgriff und gerät in Rückenlage. Eigentlich ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis Eto beide Schultern Passarellis gleichzeitig auf die Matte kriegt und gewinnt. Passarelli macht eine Brücke und holt Sekunde um Sekunde heraus. Im Hintergrund sind Etos Trainer zu sehen, die immer verzweifelter werden und fünf Sekunden vor Schluss entnervt das Handtuch werfen. Nach dem Sieg ist Passarelli komplett am Ende und hat Tränen in den Augen.

Was mich bewegt hat: Mein bester Olympia-Moment war kein sportlicher. Als Muhammad Ali 1996 in Atlanta die Fackel in die Höhe gestreckt und dann das olympische Feuer angezündet hat, liefen mir kalte Schauer den Rücken runter. Diesen vielleicht größten Sportler aller Zeiten in so einem erhebenden Moment zu sehen und dabei zu wissen, was für ein Mann er war und was für ein schweres Schicksal er durch seine Parkinson-Krankheit mit sich trägt, hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt.

Was mich bewegt hat: Samstagabend, ich 20 Jahre alt, klare Sache: Weggehen und Party machen. Davor aber noch schnell die Goldene von Kiwi und Shaker mitnehmen. Nur irgendwie lief das nicht wie geplant. Gonzalez holt sich Bronze im Einzel. Braucht aber viel zu lange. Meine Freunde werden ungeduldig. Ich sage: "Das läuft schon, der ist platt. Gold ist gleich eingetütet. Muss ich noch sehen." Nach vier vergebenen Matchbällen und unzähligen Flüchen saß ich dann bis halb vier morgens vorm Fernseher und hatte nur Silber. Meine Kumpels waren da schon längst im Delirium.

Was mich bewegt hat: Meine frühen Olympia-Jahre waren stark vom Zehnkampf geprägt, vom Duell Jürgen Hingsen gegen Daley Thompson. Hier der verkniffene, angespannte deutsche Riese Hingsen, da der quirlige, explosive, lockere Brite Thompson mit dem großen Mundwerk. Auf dem Weg zu den Spielen 1984 in L.A. wurde Hingsen Zweiter bei der EM, Zweiter bei der WM und auch bei Olympia langte es "nur" zu Silber. Immer war Thompson im Weg. 1987 machte Thompson dann Schluss, und der Weg für Hingsen zum Gold war frei, dachte ich mir. Und was macht der? Was macht der in Seoul? Bis heute frage ich mich, was der da 1988 gemacht hat. Man kann nicht drei Fehlstarts hintereinander machen. Wenigstens wurde Christian Schenk dann Olympiasieger.