Liebling des Autokraten

Von Benedikt Treuer
Party-Time: Darya Domracheva feierte mit Staatschef Lukaschenko ihren Olympia-Sieg.
© Press Service of the President of the Republic of Belarus

Aus dem Nichts zum Star und vom Präsidenten zur Heldin gekürt: Die letzten Jahre liefen für die dreifache Olympiasiegerin Darya Domracheva wie gemalt. Dabei hat sich die weißrussische Biathletin selbst nie im Rampenlicht gesehen. Entscheidend in dieser Entwicklung waren zwei Dinge: Rückschläge und ein Deutscher. Beim Einzelrennen der Damen (Mi., 17.30 Uhr im LIVE-TICKER) geht sie als Favoritin an den Start.

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Das ranghöchste weißrussische Militär stand Spalier, das Blasorchester spielte erst die Nationalhymne, dann eine prunkvolle Variante von Queen-Hit "We are the Champions" und die mächtigsten Personen des Landes applaudierten mit stehenden Ovationen, als Darya Domracheva etwas schüchtern winkend auf den roten Teppich trat. "Liebe Dasha, du bist einfach großartig", verkündete Präsident Alexander Lukaschenko.

"Ganz Weißrussland freut sich mit dir und deinen Erfolgen! Moderne Geschichte kennt keine vergleichbaren Taten", ließ das Staatsoberhaupt weiter verlauten, ehe er Domracheva als "Heldin Weißrusslands" die höchste nationale Auszeichnung verlieh - als erste Frau überhaupt und als eine von bislang nur elf Trägern.

Biathlon-WM: Der Favoriten-Check

Es war vermutlich der wichtigste Moment ihrer bisherigen Karriere und der Punkt, an dem die Biathletin selbst wohl erstmals realisierte, welch rasanten Aufstieg sie in den letzten Jahren genommen hat. Erst wenige Tage zuvor hatte sie ihr historisches Gold-Triple bei Olympia in Sotschi gefeiert, als ihr Siege in der Verfolgung, im Einzel und im Massenstart gelangen.

Wie ein Fabel-Drehbuch

Ein Aufstieg, der für die mittlerweile 28-Jährige vor allem mit einem Namen in Verbindung steht: Klaus Siebert. Der deutsche Coach wechselte 2008 als verantwortlicher Schießtrainer zum weißrussischen Biathlon-Verband und formte die unerfahrene Domracheva binnen weniger Monate zur absoluten Weltklasse-Athletin, die seitdem neben insgesamt vier Olympia-Medaillen auch schon sechsmal Edelmetall bei Weltmeisterschaften gewonnen hat.

Die Erfolgsgeschichte des Duos liest sich wie in einem Fabel-Drehbuch, denn es brauchte erst den niederschmetternden Tiefpunkt, ehe der große Durchbruch gelang. "Darya hat die Fähigkeit, aus ihren Fehlern zu lernen. Jedes Mal, wenn sie einen kleinen Rückschlag erlebt, wird sie danach noch stärker", lobte Siebert einst. Er sollte Recht behalten.

Im Massenstartrennen des Weltcups in Oberhof kam Domracheva im Januar 2009 in Führung liegend zum zweiten Liegendschießen. Fälschlicherweise schoss die Weißrussin jedoch im Stehen und visierte so bei allen fünf Schüssen auch die Stehendscheiben an. Erst beim Verlassen des Schießstands bemerkte sie den Fehler - zu spät. Domracheva gab wenige Momente danach auf, als erste Athletin, der jemals ein solches Missgeschick in einem Massenstartrennen des Weltcups unterlaufen war.

Das Gesicht einer Nation

Was in den Jahren darauf folgte, war eine Demonstration von Willensstärke und Ehrgeiz. Zusammen mit Siebert, den sie immer wieder als Vaterfigur bezeichnete, entwickelte sich Dasha zur ärgsten Konkurrentin der dominierenden Magdalena Neuner - im Gesamtweltcup landete sie 2011/12 und 2012/13 jeweils auf dem zweiten Platz.

Als Neuner 2012 ihre Karriere beendete, schien der Weg frei für Domracheva. Viele erwarteten, dass sie auf Jahre den Sport beherrschen würde. Doch anfangs tat sich die zurückhaltende Weißrussin mit der gestiegenen Erwartungshaltung schwer: Zwar reichte es immerhin zu WM-Gold in der Verfolgung 2012 und dem Massenstart 2013, jedoch fehlte es nach wie vor an Beständigkeit. Auch deshalb war der Gesamtweltcup bis dato nie wirklich greifbar gewesen.

Doch dann folgten die Olympischen Spiele in Sotschi, mit denen Domracheva ihren größten Karriere-Prüfstein absolvierte. Sie wurde zum Gesicht einer ganzen Nation - im wahrsten Sinne: Briefmarken mit ihrem Portrait und den drei Goldmedaillen wurden gedruckt, große Werbeverträge flatterten ihr ins Haus und neben zahlreichen nationalen Auszeichnungen wurde sie vor zwei Monaten auch zu Europas Sportlerin des Jahres 2014 gewählt.

Durch den Hype beengt

Dass Domracheva diese enorme Aufmerksamkeit gerne genießen würde, ist ihr deutlich anzumerken - ebenso aber auch, dass sie sich von Blitzlichtern und dem Hype beengt fühlt. Außerhalb des Sports lebt die Biathletin zurückgezogen, öffentlicher Rummel ist ihr nicht geheuer. Wenn sich Kolleginnen medial in den Vordergrund drängten, gab Dasha zu verstehen, dass dies nicht ihr Ding sei.

Das zeigte sich auch im vergangenen Jahr an ihrer Reaktion auf die freizügigen Bilder ihrer Konkurrentin Miriam Gössner im Playboy. Sie hätten ihr gar nicht gefallen: "Miriam hat so viele andere Vorzüge. Sie braucht sich nicht ausziehen, um ihre Popularität zu steigern", so Domracheva kritisch.

Werbung für das eigene Land

Mittlerweile muss aber auch sie sich mit dem Leben auf der großen Bühne zurechtfinden. Auftritte abseits des Sports gehören zum Geschäft, wenn auch nicht immer ganz freiwillig. Einen ersten Vorgeschmack erhielt sie bereits 2013, als sie die weißrussischen Punkte beim Eurovision Song Contest verkündete - für das heimische Volk eine Ehre, für Dasha wohl eher eine Pflicht, die sie für die große Fan-Unterstützung aber gerne auf sich nahm.

Denn Domracheva ist sich der Wirkung ihrer Erfolge bewusst. Wenn sie als Vorbild für den Nachwuchs und andere Athleten dienen kann, möchte sie dem auch in jeder Hinsicht gerecht werden. Immer wieder postet sie in sozialen Netzwerken Videos und Berichte von weißrussischen Jugendsportlern und macht ihnen Mut, den gleichen Weg einzuschlagen wie sie selbst.

In erster Hinsicht sind ihre Erfolge daher Werbung für das eigene Land, das ihrer Meinung nach in der öffentlichen Wahrnehmung zu negativ bewertet wird: "Ich sage anderen Menschen immer, dass sie Weißrussland besuchen und sich mit ihren eigenen Augen ein Bild machen sollen. Viele kennen das Land nur aus den Medien, was aber nicht repräsentativ sein darf." Für sie ein weiterer Ansporn, noch erfolgreicher zu sein.

Der größte Rückschlag der Karriere

Nach dem Highlife des letzten Weltcup-Winters soll es dieses Jahr deshalb auch endlich die große Weltcup-Kristallkugel werden - und das trotz einer für sie entscheidenden Änderung in ihrem Umfeld: Trainer Siebert musste im letzten Jahr aus gesundheitlichen Gründen seinen Posten niederlegen. Der starke Mann an Domrachevas Seite kämpfte jahrelang gegen Krebs und musste sich einer weiteren Operation unterziehen.

Für seine Athletin ein großer Schock: "Ihn im Stadion zu haben, ist die beste Unterstützung, die ich mir wünschen kann. Ich hoffe, dass meine Goldmedaille ihm hilft, wieder richtig gesund zu werden", sagte eine emotional aufgewühlte Domracheva nach der Verkündung. Es war für sie der größte Rückschlag der bisherigen Karriere.

Als neuen Trainer präsentierte der Verband im Herbst den Österreicher Alfred Eder. Dass dieser erneut deutschsprachig ist, sei laut Domracheva aber die einzige Gemeinsamkeit: "Sie sind völlig unterschiedliche Charaktere. Während Klaus das Publikum rund um sich herum liebt, ist Alfred ein bescheidener Mann, der nicht die Aufmerksamkeit sucht." Einer wie Dasha selbst eben.

Prototyp der modernen Heldin

Sportlich scheint ihr der persönliche Verlust aber kaum zugesetzt zu haben. Domracheva hat auf dem Hochpunkt ihrer Karriere längst gelernt, wie man aus Rückschlägen hervorgeht. Ein Blick auf den Gesamtweltcup-Stand ist ein guter Beweis dafür: Mit 837 Punkten führt die Weißrussin knapp vor ihrer engsten und einzigen Verfolgerin Kaisa Mäkäräinen (827 Punkte).

Auf dem Weg zum ersten Saison-Gesamtsieg steht für Domracheva aber erst noch ein Zwischenstopp im finnischen Kontiolahti an. Dort könnte ihre beeindruckende Medaillen-Bilanz ein weiteres WM-Update erhalten und der Favoritin auf die Jahres-Krone das entscheidende Selbstvertrauen für die letzten Rennen verleihen.

"Du musst immer hungrig nach Erfolgen sein und darfst dich nicht zu sehr auf dem Erreichten ausruhen", betonte Domracheva unlängst. Es ist das Motto, das der Konkurrenz am Schießstand ordentlich Respekt einflößt - und das sie in ihrem Heimatland zum Prototyp der modernen Heldin hat werden lassen.

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