"Nachdenken macht es zur Qual"

Von Christoph Köckeis
Thomas Diethart geht als Titelverteidiger in die anstehende Vierschanzentournee
© imago

Zwischen Anonymität und Ruhm liegen manchmal nur wenige Tage: Thomas Diethart weiß das am besten. Der 22-Jährige schrieb Anfang 2014 sein persönliches Märchen. Aus der Versenkung landete er auf dem Skisprung-Thron. Nun bekommt er die Vergänglichkeit schneller Erfolge zu spüren. Ihm, dem österreichischen Titelverteidiger, setzt vor der 63. Vierschanzentournee (So., 16.30 Uhr im LIVE-TICKER) eine ausgewachsene Krise zu. Im SPOX-Interview spricht er über seine Sternstunde, die Qual des Grübelns und die Angst vor dem One-Hit-Wonder.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

SPOX: Thomas, in Ihrer Auffassung wird Skispringen vor allem im Kopf entschieden. Wie kann man das verstehen?

Thomas Diethart: Dort kitzelt man die letzten Prozente heraus. Klar, zuerst muss das Technische ausgereift sein. Im Wettkampf sollte das nicht mehr aktiv gesteuert, sondern das Abgespeicherte locker abgerufen werden - ohne viel nachzudenken. Wenn ein Rädchen in das andere greift, reizt man im mentalen Bereich alles aus. Es gibt zahllose Talente, die auf einem hohen Level sind, es im Ernstfall aber nicht bringen. Das sind die Trainingsweltmeister. Ich bin keiner. Meine Stärke ist es, wenn es darauf ankommt, nicht groß zu überlegen und das Ganze laufen zu lassen.

Martin Schmitt im Interview: "Haben uns nie gegenseitig bekämpft"

SPOX: Derzeit gelingt es nur bedingt: Erst vergangenen Samstag, vier Wochen nach dem Weltcup-Auftakt, haben Sie Ihre ersten Punkte geholt - mit Platz 17 in Engelberg.

Diethart: Ich bin es gewohnt, im Winter die Zeit zu haben, mich einzufinden. In diesem Jahr war das witterungsbedingt nicht möglich. Wir sind gleich in Klingenthal rein gestartet. Ich konnte meine Leistung lange nicht abrufen. Wo noch nichts abgespeichert ist, gibt's nichts. Ich habe versucht, die Fehler auszumerzen - im Wettkampf ist das problematisch. Bei mir war das zu sehen.

SPOX: In Lillehammer rangierten Sie gar am Ende des Tableaus. Woran hapert es?

Diethart: Materialmäßig bin ich unterwegs wie im Vorjahr. Ich bin kein Tüftler. Läuft es, belasse ich es dabei. Bei mir liegen die Mängel im technischen Bereich, ich fühle mich in der Hocke nicht wohl. Den Fehler habe ich mir im Sommer angewöhnt. In der Keramikspur besteht viel mehr Reibung. Ich bin sehr empfindlich und war nicht frei. Ich musste die Blockade lösen. Dafür habe ich Einheiten gebraucht, um mich in der Position endlich wohl zu fühlen. Die Pause nach Lillehammer war sehr wichtig. Ich konnte die Ruhe nutzen und im Training den Anlauf wählen, mit dem ich ins Fliegen komme. Jetzt glaube ich wieder daran, es zeigen zu können.

SPOX: Im Vorjahr zeichnete Sie die innerliche Freiheit sowie Unbekümmertheit aus. Wie erinnert man sich daran zurück?

Diethart: Ich denke schon daran, wie es damals war. Leider lässt sich das Tournee-Feeling nicht so reaktivieren, das muss automatisch geschehen. Wenn man weit springt, kehrt das Selbstvertrauen zurück, dann tut man sich leichter. Immer zu grübeln, um den zweiten Durchgang und eine gute Leistung zu zittern, ist hart. In der letzten Woche bin ich auf Dinge gestoßen, die es aus dem Bewegungsablauf zu löschen gilt. Nun muss ich am Feinschliff arbeiten.

SPOX: Egal, ob Skipendler, ob zu früh oder zu spät - gnadenlos sind Sie marschiert. Wann begann das Nachdenken?

Diethart: Nach mehreren Sprüngen, die nicht so wie erwünscht gelaufen sind. Jeder weiß, es geht in dem Sport schnell - an die Spitze und retour. Nachdenken macht es zur Qual. Leider ist das ein normaler Prozess, den man schwer beiseite schieben kann. Du musst eingreifen. Bietet sich die Möglichkeit dazu nicht, sprich, hast du kein Training, wird es noch schlimmer. Bei der Tournee sind mir die Sprünge von der Hand gegangen, alles war easy. Ich musste überhaupt nicht überlegen. Die Erfolge kamen von selbst. Ich war in...

SPOX: ...einem positiven Flow?

Diethart: Ja, ich konnte es nicht realisieren, was gerade mit mir passierte, welcher Hype um mich entstand. Etwas Besseres konnte mir nicht passieren. Wenn man sich damit auseinandersetzt, beschäftigt dich das. Und Nachdenken stört den Flow. Die Saison über war ich auf einer Welle - auf die möchte ich zurück.

SPOX: Kurz vor Weihnachten 2013 aus dem Nichts emporgestiegen, waren Sie drei Wochen später der umjubelte Held. Eine Erklärung?

Diethart: Die gibt es immer! Im Sommer zuvor konnte ich sehr gut trainieren. Ich war endlich mit der Berufsschule fertig und hatte meine Lehre abgeschlossen. Mir ist da großer Druck abgefallen. Es fiel ein weiterer Teil weg, über den ich mir keine Gedanken mehr machen musste. Ich kam gleich in das Innsbrucker Heeressport-Zentrum - da hatte ich beste Möglichkeiten. Es lief befreiter. Mein Ziel war, im Continental Cup aufzuzeigen und bei der Tournee am Bergisel und Bischofshofen in der nationalen Gruppe anzutreten. Ich hatte keine großen Erwartungen, wollte Spaß haben.

SPOX: Ehe der Anruf von Ex-Coach Alexander Pointner kam, der sie nach Engelberg beorderte.

Diethart: Die Entscheidung, mitfahren zu dürfen, kam so überraschend, dass ich keine Zeit hatte, mir was neues vorzunehmen. Ich bin drauflos gehüpft - ohne mir den Kopf über andere Nebensächlichkeiten zu zerbrechen. Meine Technik war zu dem Zeitpunkt recht sauber. Ich musste nicht daran feilen, sondern ließ es laufen. Ich hatte total Freude daran. Immerhin kämpft man sein Leben lang auf den Weltcup hin.

SPOX: Als Emporkömmling des Jahres würfelten Sie die teaminterne Hierarchie durcheinander. Wie reagierten die Alphatiere Gregor Schlierenzauer und Thomas Morgenstern darauf?

Diethart: Cool. Alle paar Jahre schlägt ein Neuer ein und stiftet Unruhe. Jeder findet sich damit ab. Als Thomas alles gewonnen hat, Olympiasieger war, tauchte Gregor auf. Morgi wusste auch nicht, was gerade passierte. Wenn man ihn jetzt fragt, war es für ihn der normale Lauf der Zeit. Es wird immer jemanden geben, der einem arrivierten Star die Show stiehlt. Deswegen schuften alle hart, um oben zu stehen. Neid gab es nie.

SPOX: Dafür Unterstützung?

Diethart: Ich kann mich erinnern, als Gregor vor dem zweiten Durchgang in Bischofshofen zu mir kam. Er sagte: "Jetzt hau einen G'scheiten runter und zieh' das Ding durch." Es ist sehr cool, wenn eine Legende dir das mitgibt, und bringt zusätzlich Vertrauen. Ihm ist das hoch anzurechnen, denn er hatte mit seiner Form zu kämpfen. Und mir ging alles auf.

Seite 1: Diethart über seine Krise, den Tournee-Sieg und Neid

Seite 2: Diethart über die Scheiß-Drauf-Mentalität, das One-Hit-Wonder & Lamborghini

Artikel und Videos zum Thema